Druckhinweis: Ausgedruckte 33 Blätter lassen sich herkömmlich kaum noch heften. Empfehlung: doppelseitig bedrucken oder (wenn Druckertreiber und Sehvermögen das erlauben): je zwei Seiten nebeneinander auf ein Blatt drucken!
1. Aufbau und Zustand des Rentensystems
2. Die Bedeutung der Demografie
2.1 Demografische Entwicklungen,
Lohnquote und Produktivität
2.2 Unterschiedliche
Lebenserwartungen
3. Rentensysteme und ihre Finanzierung
3.1 Das Säulenmodell der
Weltbank
3.2 Gestaltung des
Umlageverfahrens (UV)
3.3 Gestaltung des
Kapitaldeckungsverfahrens (KDV)
3.3.1 Betriebsrenten
3.3.2 Die Riester-Rente
3.4 Individueller Vergleich des UV mit dem
KDV
3.5 Gesamtwirtschaftlicher Vergleich
des UV mit dem KDV
3.5.1 Die Extrakosten
des Umstiegs
4. Stärkung und Erweiterung der Basis der
GRV
5. Kommende Altersarmut und Lösungswege
dazu
6. Arbeitsbelastung, Altersgrenze und
Generationengerechtigkeit
Verweise auf die Definitionen (nicht im Ausdruck)
Begründung für ein staatliches Zwangssystem: „Arbeitnehmer haben inkonsistente Zeitpräferenz und entscheiden sich für Selbstbindung” (auf deutsch: da die Vorstellung in jungen Jahren darüber, was man im Alter braucht, stark abweicht von dem, was man dann im Alter meint zu brauchen, müssen sich die Berufstätigen eine Zwangsabgabe auferlegen): ein Marktversagen, das Versicherungszwang erfordert (→Kur06). Dazu kommen Gerechtigkeitsaspekte: die Arbeitnehmer sollen im Alter einen ähnlichen Lebensstandard haben wie während des Berufslebens, und bestimmte Ausfallzeiten von gesamtgesellschaftlichem Nutzen sollen angerechnet werden. Gegen systematische Risiken kann man sich nur durch intertemporalen Risikoausgleich zwischen den Generationen schützen (→Fra04).
Das deutsche Rentensystem stützt sich schwerpunktmäßig auf die 1889 eingerichtete GRV. Daneben gibt es noch die von den Arbeitnehmern oder von beiden Sozialpartnern finanzierten Betriebsrenten und seit 2002 die nur von den Arbeitnehmern finanzierten privaten Riester-Renten. Die GRV wird in erster Linie von den Beiträgen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber finanziert. Die Höhe der Beiträge orientiert sich heute individuell an der Höhe des Einkommens und bestimmt die Höhe der späteren Leistung. Die Höhe der Rente wurde ab 1957 dynamisch der Lohnentwicklung angepasst, um einen gleichbleibenden Lebensstandard im Alter zu ermöglichen. Gleichzeitig wurde die feste Beitragshöhe auf einen Beitragssatz vom Bruttoeinkommen (damals 14%) umgestellt und eine frühe Form des UV eingeführt (es gab daneben noch einen beschränkten Kapitalaufbau), die 1968 auf das heutige reine UV umgestellt wurde. Seit 1972 gibt es die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung von Selbstständigen und Hausfrauen. 1986 wurde die Hinterbliebenenrente auch für Männer eingeführt.
Die Deutsche Rentenversicherung löste 2005 die zahlreichen eigenständigen Einzelversicherungsorganisationen ab. Die Deutsche Rentenversicherung Bund übernahm den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) und die BfA (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte). Unter den 16 rechtlich selbstständigen Versicherungsträgern der Deutschen Rentenversicherung gibt es 14 Regionalträger. Sie übernahmen nach einigen Zusammenlegungen die 22 LVAs (Landesversicherungsanstalten, für Arbeiter und Handwerker). Die Bundesknappschaft (für bergbaulich Beschäftigte), die Bahnversicherungsanstalt (für Bahn-Beschäftigte) und die Seekasse (für Seeleute) bildeten die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (lt. Wikipedia: →Deutsche Rentenversicherung). Neuversicherte Arbeitnehmer werden seit 2005 durch die Datenstelle der Rentenversicherung einem Rentenversicherungsträger zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt anhand der jeweiligen Versicherungsnummer in einem Ausgleichsverfahren, und auf alle Rentenversicherungsträger wird gleichmäßig verteilt. Organisiert ist die Deutsche Rentenversicherung als Selbstverwaltung aus den Sozialpartnern Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) und Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB).
Seit 1984 ist für einen Rentenanspruch ab dem 65. Lebensjahr nur noch eine Mindestversicherungszeit (neben Beitragszeiten, zu denen auch Kindererziehungszeiten zählen, auch Ersatzzeiten und Zeiten aus einem Versorgungsausgleich) von fünf Jahren (vorher 15 Jahre) erforderlich (→DRV: häufige Irrtümer).
In den letzten zwei Jahrzehnten gab es eine Reihe einschneidender Veränderungen.
1990 wurden die Ostrentner einschließlich aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes der DDR in die GRV aufgenommen. Manche sehen darin eine Ungerechtigkeit, da diese ja „gar nicht in die GRV eingezahlt hatten”. Dies verkennt aber das Wesen des Umlagesystems (Näheres siehe Abschnitt über das UV): es wurden schließlich auch die Beitragszahler dazu mitgebracht. Dass gleichzeitig auch die geringeren noch verbliebenen Kassenbestände der DDR-Rentenversicherungen entschädigungslos vereinnahmt wurden, empfinden wiederum einige ehemalige DDR-Bürger als ungerecht. Gewisse Ungleichgewichte ergaben sich in der weiteren Entwicklung allerdings daraus, dass der öffentliche Dienst in den neuen Bundesländern heute viel kleiner ist als zu Zeiten der DDR (die vielen neuen Beamten zahlen nicht in die GRV ein), und dass die dortige hohe Arbeitslosigkeit die GRV stark belastet.
1992 trat das SGB VI, das Sozialgesetzbuch für die GRV, in Kraft. Es regelt die Organisation und Leistungen der Träger der Deutschen Rentenversicherung, Renten wegen Alters, Rente wegen Erwerbsminderung und Hinterbliebenenrenten sowie Leistungen zur medizinischen, beruflichen und sonstigen Rehabilitation (Wikipedia: →SGB).
Seit 1992 wurde das gesetzliche Renteneintrittsalter der Frauen stufenweise an das der Männer heran geführt, beginnend mit dem Geburtsjahrgang 1941 und abzuschließen mit dem Geburtsjahrgang 1952. Die Anhebung sollte ursprünglich 2001 einsetzen und 2017 abgeschlossen sein. 1996 zog der Gesetzgeber aber die Anhebung der Altersgrenze für Renten wegen Arbeitslosigkeit vor und beschleunigte sie. Zum 1. Januar 1997 zog das WFG 1996 die Anhebung der Renten auch für Frauen vor und beschleunigte sie ebenfalls. Die Anhebung wurde danach 2009 mit dem Geburtsjahrgang 1944 beendet. Die Anhebung fällt also in den Zeitraum 1997-2009.
Mit der 2001 geänderten Rentenanpassungsformel wird das Rentenniveau mittelfristig von 70% auf 67% des Nettolohns gesenkt (später noch weiter). Ursache ist die →modifizierte Bruttolohnanpassung (S. 272) statt bisheriger Nettolohnanpassung: berücksichtigt bei der Rentenberechnung GRV-Beitragssatz und Riestersatz, nicht aber Steuern und die anderen Sozialbeiträge. Begründet wird das ungenau mit der demografischen Entwicklung (Anteil der Rentner an der Bevökerung steigt, Anteil der Beitragszahler sinkt), aber diese Absenkung (um ca. 4% von 70% = 2,8 Prozentpunkte) geht zum größten Teil auf die Extrakosten wegen der 2002 gestarteten Riester-Rente (Beitragssatz 4%; mehr dazu im Abschnitt Riester-Rente) in Form der vorgenommenen Einführung des Riester-Faktors (steigt in der Endstufe auf 4%) und des Faktors „wegen der erhöhten Beitragsbelastung” zurück.
Seit 2003 gibt es die Grundsicherung, eine steuerfinanzierte (also nicht von der GRV finanzierte), bedarfsorientierte (also in der Höhe unbestimmte) Basisleistung im Alter oder bei voller Erwerbsminderung (→Grundsicherung); seit 2005 Bestandteil des SGB XII.
2005 trat die nachgelagerte Rentenbesteuerung
(Alterseinkünftegesetz) in Kraft
(Quelle: →Str09):
• in den kommenden 35 Jahren werden für jeden neuen
Rentnerjahrgang der Besteuerungsanteil für Renten
neu und höher berechnet, der Versorgungsfreibetrag und
ein neuer Zuschlag für Pensionen und Betriebsrenten neu und
niedriger festgesetzt sowie der
Altersentlastungsbetrag für andere
Alterseinkünfte neu und geringer angesetzt;
• in den kommenden 20 Jahren ändern sich jedes Jahr der
abzugsfähige Höchstbetrag für
Altersvorsorgeaufwendungen bei allen
Erwerbstätigen und die Vorsorgepauschale bei
Angestellten und Versorgungsempfängern:
• in den kommenden 15 Jahren wird die Berechnung der
abzugsfähigen Vorsorgeaufwendungen deutlich
erschwert, weil die beiden neuen Höchstbeträge für
Altersvorsorgeaufwendungen und andere
Vorsorgeaufwendungen mit dem „alten”
Vorsorgehöchstbetrag des Jahres 2004 im Rahmen einer
sogenannten Günstigerrechnung verglichen werden
und der günstigere Betrag berücksichtigt wird.
Konsequenz: jeder Rentnerjahrgang (in 2%-Schritten ansteigend bis 2020, dann in 1%-Schritten ansteigend bis 2040) muss mehr versteuern, jeder aktiv Beschäftigte kann jedes Jahr (ansteigend bis 2025) mehr für die Altersvorsorge absetzen. Die Reform geht zurück auf ein Urteil des BVerfGs vom 6. März 2002: es sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der bisher unterschiedlichen Besteuerung von Renten aus der GRV und von Beamtenpensionen.
Sonderausgaben- abzug für Alters- vorsorgebeiträge |
Besteuerung der Renten | |||||
Jahr | Prozentsatz % |
Jahr des ersten Rentenbezugs | Anteil der zu versteuernden Rente in % |
Jahr des ersten Rentenbezugs | Anteil der zu versteuernden Rente in % | |
2005 | 60 | bis 31.12.2005 | 50 | 2026 | 86 | |
2006 | 62 | 2006 | 52 | 2027 | 87 | |
2007 | 64 | 2007 | 54 | 2028 | 88 | |
2008 | 66 | 2008 | 56 | 2029 | 89 | |
2009 | 68 | 2009 | 58 | 2030 | 90 | |
2010 | 70 | 2010 | 60 | 2031 | 91 | |
2011 | 72 | 2011 | 62 | 2032 | 92 | |
2012 | 74 | 2012 | 64 | 2033 | 93 | |
2013 | 76 | 2013 | 66 | 2034 | 94 | |
2014 | 78 | 2014 | 68 | 2035 | 95 | |
2015 | 80 | 2015 | 70 | 2036 | 96 | |
2016 | 82 | 2016 | 72 | 2037 | 97 | |
2017 | 84 | 2017 | 74 | 2038 | 98 | |
2018 | 86 | 2018 | 76 | 2039 | 99 | |
2019 | 88 | 2019 | 78 | 2040 | 100 | |
2020 | 90 | 2020 | 80 | |||
2021 | 92 | 2021 | 81 | |||
2022 | 94 | 2022 | 82 | |||
2023 | 96 | 2023 | 83 | |||
2024 | 98 | 2024 | 84 | |||
ab 2025 | 100 | 2025 | 85 | |||
Quelle: →vBr09 (Jan von Bröckel: Die Besteuerung von Renten, 2009) |
(Standard-)Rentenniveau nennt man das Verhältnis Eckrente / Durchschnittseinkommen der Erwerbstätigen im selben Jahr. Der Eckrentner hat 45 Jahre Beiträge gezahlt und immer genau den Durchschnittsverdienst gehabt. Bruttorentenniveau = Brutto-Standardrente / durchschnittliches Bruttoentgelt; das Nettorentenniveau (nach Steuern) wird seit 2005 nicht mehr verwendet; Nettorentenniveau vor Steuern = (Standardrente - darauf entfallende Sozialabgaben) / (Durchschnittsverdienst - durchschnittliche Sozialabgaben). 2004 wurden letztmalig alle drei ausgewiesen: Brutto 48,6%, Netto vor Steuern 53,0%, Netto nach Steuern 67,9% (Wikipedia:→Rentenniveau, auch:→Knu05).
Seit 2006 werden nur noch solche Riester-Versicherungen gefördert, die gleiche Tarife für Männer und Frauen anbieten („Unisex”-Tarife).
2006 wird auch die Basisrente („Rürup-Rente”) eingeführt: eine Kapital gedeckte Rente für Selbstständige sowie gutverdienende Angestellte und Beamte.
2007 beschließt die Grosse Koalition, das gesetzliche Renteneintrittsalter über 18 Jahre hin in Stufen von 2012 bis 2029 auf 67 Jahre zu erhöhen. Diese Entscheidung soll laut Gesetz 2010 noch einmal überprüft werden. Der Sachverständigenrat hatte eine solche Erhöhung vorgeschlagen — allerdings mit einer Übergangsphase von 24 Jahren. Das Gesetz sieht eine jährliche Erhöhung um einen Monat bis 2023 vor, danach um jeweils zwei Monate bis 2029.
Die für die Renten maßgeblichen demografischen Daten sind die Anzahl der Beitragszahler und die der Rentner. Die Zahl der Rentner wird von der Stärke der vor der Rente stehenden Jahrgänge, vom faktischen durchschnittlichen Renteneintrittsalter und von der sogenannten ferneren Lebenserwartung (Lebenserwartung, wenn die Person gerade 65 geworden ist — sie ist insgesamt höher als die Lebenserwartung bei Geburt) bestimmt. Daraus lässt sich die Rentnerzahl für die nächsten Jahre recht genau ermitteln. Die Zahl der Beitragszahler wird von der Stärke der Jahrgänge nachrückender Jugendlicher, von den Ausbildungsdauern, der Erwerbsquote bzw. Erwerbstätigenquote (siehe unten; insbesondere die der Frauen und Älteren hat sich gesteigert und ist weiter steigerbar!), der Zuwanderung von Migranten, dem Ausmaß der Erwerbsminderungen, der Stärke der vor der Altersrente stehenden Jahrgänge und natürlich auch dem faktischen durchschnittlichen Renteneintrittsalter bestimmt. Die Wirkung der Haupteinflussgrößen auf die Zahl der Beitragszahler lässt sich aus der Zusammensetzung der Alterskohorten (so nennt man in der Statistik die durch die Lebensjahre „marschierenden” Geburtsjahrgänge) mit Hilfe der Sterbetafeln für die nächsten Jahre gut vorhersagen. Der Einfluss der anderen Größen bleibt unbestimmt. Eine weltweite Sicht der demografischen Entwicklung biete ich später in der Tabelle Entwicklung der Bevölkerungszahlen und der Altersstruktur auf der Welt.
Erwerbstätigenquoten (= Beschäftigungsquoten) | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Jahr | Deutschland¹ | Westdeutschland¹ | Ostdeutschland¹ | Männer¹ | Frauen¹ | Ältere² | |||
1996 | 64,1 % | 64,4 % | 63,0 % | 72,7 % | 55,4 % | ||||
1997 | 63,6 % | 64,1 % | 61,8 % | 71,8 % | 55,2 % | ||||
1998 | 63,7 % | 64,5 % | 61,0 % | 71,7 % | 55,6 % | 37,7 % | |||
1999 | 64,8 % | 65,6 % | 62,1 % | 72,4 % | 57,1 % | ||||
2000 | 65,3 % | 66,3 % | 61,8 % | 72,7 % | 57,8 % | 37,4 % | |||
2001 | 65,7 % | 67,0 % | 61,2 % | 72,6 % | 58,7 % | ||||
2002 | 65,4 % | 66,6 % | 60,7 % | 71,8 % | 58,8 % | ||||
2003 | 64,9 % | 66,2 % | 60,3 % | 70,9 % | 58,9 % | ||||
2004 | 64,3 % | 65,5 % | 59,7 % | 70,0 % | 58,5 % | 41,4 % | |||
2005 | 66,0 % | 67,1 % | 61,3 % | 71,3 % | 60,6 % | 45,4 % | |||
2006 | 67,5 % | 68,6 % | 64,7 % | 72,8 % | 62,2 % | 48,4 % | |||
2007 | 69,4 % | 70,1 % | 66,4 % | 74,7 % | 64,0 % | 51,5 % | |||
Quelle: →bpb08 | ¹) Anteil der Erwerbstätigen an den 15–64-Jährigen ²) Anteil 60–64-jähriger Erwerbstätiger an den 60–64-Jährigen |
„Die Erwerbsquote steht für den Anteil der Erwerbspersonen — also Personen, die Arbeit haben oder suchen — an der gleichaltrigen Gruppe in der Gesamtbevölkerung.” (→bpb08) (in Deutschland 2007: 58,5% →Erwerbsquote international). Dagegen: Die Beschäftigungsquote bzw. „Die Erwerbstätigenquote entspricht dem Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 65 Jahren.” (→bpb08)
Jugend-, Alten- und Gesamtquotient mit Altersgrenze 65 Jahre | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Auf die 20–64-Jährigen (100 %) entfallen: | 2005 | 2010 | 2020 | 2030 | 2040 | 2050 |
unter 20-Jährige (Jugendquotient): | 32,9 % | 30,0 % | 28,1 % | 29,9 % | 29,9 % | 29,2 % |
65-Jährige u. älter (Altenquotient) : | 31,7 % | 33,6 % | 38,7 % | 52,2 % | 61,4 % | 64,3 % |
zusammen (Gesamtquotient): | 64,6 % | 63,6 % | 66,8 % | 82,1 % | 91,3 % | 93,5 % |
Quelle: 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung →Sta06a, Seite 57: Tabelle A 1 (Untergrenze „mittlere” Bevölkerung) | ||||||
unter 20-Jährige (Jugendquotient): | 32,9 % | 30,0 % | 28,1 % | 30,0 % | 30,0 % | 29,2 % |
65-Jährige u. älter (Altenquotient) : | 31,7 % | 33,5 % | 38,0 % | 50,3 % | 58,0 % | 60,1 % |
zusammen (Gesamtquotient): | 64,6 % | 63,6 % | 66,1 % | 80,3 % | 88,0 % | 89,3 % |
Quelle: 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung →Sta06a, Seite 58: Tabelle A 2 (Obergrenze „mittlere” Bevölkerung) | ||||||
Auf einen Rentner entfallen wieviele Erwerbsfähige? | 3,2 | 3,0 | 2,6 | 1,9–2,0 | 1,6–1,7 | 1,6–1,7 |
Auf einen Erwerbsfähigen entfallen wieviele Jugendliche+Rentner? | 0,65 | 0,64 | 0,66–0,67 | 0,80–0,81 | 0,88–0,91 | 0,89–0,94 |
Quelle: Eigene Berechnung aus den angegebenen Daten |
Aus dem gegenwärtigen Aufbau unserer Alterspyramide ist zu folgern, dass der Altenquotient (das Verhältnis der Anzahl der über 64-Jährigen zur Anzahl der 20–64-Jährigen, also in etwa das Zahlenverhältnis Rentner zu Erwerbsfähigen) in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird. Das liegt an dem auf den „Babyboom” nach 1945 ab 1965 folgenden „Pillenknick” und auch an mehr überlebenden Rentnern wegen langfristig steigender Lebenserwartungen. Durchschnittliche Lebenserwartungen stiegen zuletzt recht konstant um fast 3 Monate pro Jahr. Plötzliche Sprünge in dieser Entwicklung (etwa durch Erfolge in der Beeinflussung der vermuteten „Alterungsgene”) würden alle bisherigen Berechnungen zunichte machen. Daraus schließen einige Kritiker, dass das der GRV zugrunde liegende Umlageverfahren (UV) nicht zukunftsfähig sei. Es kommt aber auf die Relation von tatsächlich Erwerbstätigen zu Nicht-Erwerbstätigen (Gesamtquotient) an, die sich in den nächsten 40 Jahren nicht sehr verschlechtert (→Mar03).
Einige fordern weitergehendere steuerliche Bevorzugungen kinderreicher Familien. Programme zur Erhöhung der Fertilität (also „Ankurbelung” der Geburtenrate von gegenwärtig 1,4 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter →Kli06) können nur in Jahrzehnten wesentlichen Einfluss auf die Erwerbstätigenzahl haben. Zunächst verschlimmern sie die Situation sogar: es müssen nicht nur die Alten, sondern auch die Kinder versorgt werden (Anstieg des Gesamtquotienten). Eine Alterspyramide wie vor dem 1. Weltkrieg könnte ironischerweise nur wieder entstehen, wenn gleichzeitig auch die Kinder- und Jugend-Sterblichkeit drastisch zunähme.
Manche Unheilspropheten sehen gebannt auf die abnehmende Zahl der Beitragszahler — dabei kommt es nur auf die eingezahlte Beitragssumme an. Schon in früheren Jahrzehnten hatten die Beitragszahler eine zunehmende Zahl von Rentnern zu versorgen, und es ist ihnen bekanntlich gelungen, dies aus steigenden Lohnsummen zu finanzieren. Es ist eine „Tatsache, dass dieser Prozess seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in bemerkenswert konstanter Weise in den industrialisierten Ländern fortschreitet und früher nie problematisiert wurde”*. Da die Beiträge nach den Lohnsummen erhoben werden, gibt es zwei direkte Einflussgrössen: Lohnquote und Produktivität.
*) siehe Phil Mullan:
→Gute
Preise, goldene Jahre: Die Zukunft ist bezahlbar!
(The Imaginary Time Bomb: Why an Ageing
Population Is Not a Social Problem)
Lohn- und Gewinnquote 1960–2008 | ||||
---|---|---|---|---|
Jahr | Arbeitnehmer- quote |
Tatsächliche Bruttolohnquote |
Strukturbereinigte Bruttolohnquote |
Tatsächliche Gewinnquote |
1960 | 77,2 % | 60,1 % | 65,0 % | 39,6 % |
1970 | 83,4 % | 67,3 % | 67,3 % | 32,7 % |
1980 | 88,3 % | 75,2 % | 71,0 % | 24,8 % |
1990 | 89,6 % | 69,8 % | 65,0 % | 30,2 % |
1991 | 90,9 % | 71,0 % | 71,0 % | 29,0 % |
1995 | 90,0 % | 71,4 % | 72,1 % | 28,6 % |
1996 | 90,0 % | 71,0 % | 71,7 % | 29,0 % |
1997 | 89,8 % | 70,3 % | 71,2 % | 29,7 % |
1998 | 89,8 % | 70,4 % | 72,0 % | 29,6 % |
1999 | 90,0 % | 71,2 % | 71,9 % | 28,8 % |
2000 | 90,0 % | 72,2 % | 72,9 % | 27,8 % |
2001 | 89,9 % | 71,8 % | 72,6 % | 28,2 % |
2002 | 89,8 % | 71,6 % | 72,5 % | 28,4 % |
2003 | 89,5 % | 70,8 % | 71,9 % | 29,2 % |
2004 | 89,1 % | 68,0 % | 69,4 % | 32,0 % |
2005* | 88,8 % | 66,6 % | 68,2 % | 33,4 % |
2006* | 88,8 % | 65,1 % | 66,6 % | 34,9 % |
2007* | 88,8 % | 64,8 % | 66,3 % | 35,2 % |
2008* | 88,8 % | 63,7 % | 65,2 % | 36,3 % |
*) Vorläufiges Ergebnis | Quelle: →Sch08d |
Die Lohnquote misst das Verhältnis der gesamten Lohn- und Gehaltssumme zur Gesamtheit aller Einkommen. Während sie früher versetzt gegen die Konjunkturzyklen nur schwankte, sinkt sie jetzt schon über ein Jahrzehnt (→Sch08d, →Bre09), d.h. die Löhne sind nicht so schnell gestiegen wie die übrigen Einkommen. Dies wird u.A. mit der Globalisierung, der schwindenden Verhandlungsmacht der Gewerkschaften und dem Druck auf den Niedriglohnsektor durch Hartz IV erklärt. Gegenmaßnahmen: mehr gesetzliche Mindestlöhne, Ausweitung der Basis der GRV durch Erhöhung der Bemessungsgrenze und Einbeziehung Selbstständiger, sowie Abschöpfung einiger Gewinne.
Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität misst das Verhältnis zwischen dem Index des BIP (Bruttoinlandsprodukt) je Erwerbstätigenstunde und dem Index des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmerstunde*. Wegen des technischen Fortschritts und neuer Ideen auch in der Organisation steigt sie langfristig immer an (solange es keine nationalen Katastrophen gibt), kann aber, bei einbrechender Konjunktur, z.B. wegen Minderauslastung von Produktionsanlagen (so bei hinausgezögerten Entlassungen) kurzfristig auch mal sinken. Maßnahmen zur Förderung der Produktivität sind z.B. Ausbildung und Weiterbildung der Personen (Steigerung des „Humankapitals”).
*) siehe
→
www.bundesbank.de/statistik/statistik_konjunktur_tabellen.php, dort Nr. 06
herunterladen (i424.pdf).
Die Verwendung des Index heißt
hier, dass es sich um Preisniveau-bereinigte Werte handelt.
Relative Arbeitsproduktivität (zum Basisjahr) in Deutschland | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Jahr | Relatives BIP: BIPrel
(Basis 1960) |
Relatives BIP: BIPrel
(Basis 1995) |
Arbeitsvolumen: AV
(Mio. Stunden) |
Relatives Arbeitsvolumen: AVrel
(Basis 1995) |
Relative Arbeitsproduktivität: Πrel
(Basis 1995) |
Veränderung der Arbeitsproduktivität: ΔΠ
(%) |
1960 | 1,00 | 0,34 | 1,22 | 0,28 | ||
1961 | 1,04 | 0,35 | 56470 | 1,22 | 0,29 | 3,83 |
1962 | 1,09 | 0,37 | 55690 | 1,20 | 0,30 | 6,27 |
1963 | 1,12 | 0,38 | 55020 | 1,19 | 0,32 | 4,00 |
1964 | 1,2 | 0,41 | 55371 | 1,20 | 0,34 | 6,46 |
1965 | 1,26 | 0,43 | 55329 | 1,20 | 0,36 | 5,07 |
1966 | 1,3 | 0,44 | 54483 | 1,18 | 0,37 | 4,77 |
1967 | 1,29 | 0,44 | 51764 | 1,12 | 0,39 | 4,44 |
1968 | 1,36 | 0,46 | 51507 | 1,11 | 0,41 | 5,95 |
1969 | 1,46 | 0,50 | 51812 | 1,12 | 0,44 | 6,72 |
1970 | 1,58 | 0,54 | 52075 | 1,13 | 0,47 | 7,67 |
1971 | 1,63 | 0,56 | 51428 | 1,11 | 0,50 | 4,46 |
1972 | 1,7 | 0,58 | 51029 | 1,10 | 0,52 | 5,10 |
1973 | 1,78 | 0,61 | 50800 | 1,10 | 0,55 | 5,17 |
1974 | 1,79 | 0,61 | 49402 | 1,07 | 0,57 | 3,40 |
1975 | 1,77 | 0,60 | 47122 | 1,02 | 0,59 | 3,66 |
1976 | 1,86 | 0,63 | 47271 | 1,02 | 0,62 | 4,75 |
1977 | 1,91 | 0,65 | 46959 | 1,02 | 0,64 | 3,37 |
1978 | 1,97 | 0,67 | 46837 | 1,01 | 0,66 | 3,41 |
1979 | 2,05 | 0,70 | 47368 | 1,02 | 0,68 | 2,89 |
1980 | 2,08 | 0,71 | 47611 | 1,03 | 0,69 | 0,94 |
1981 | 2,08 | 0,71 | 47047 | 1,02 | 0,69 | 1,19 |
1982 | 2,07 | 0,71 | 46268 | 1,00 | 0,70 | 1,19 |
1983 | 2,1 | 0,72 | 45572 | 0,99 | 0,72 | 2,99 |
1984 | 2,16 | 0,74 | 45642 | 0,99 | 0,74 | 2,69 |
1985 | 2,2 | 0,75 | 45663 | 0,99 | 0,76 | 1,80 |
1986 | 2,26 | 0,77 | 46003 | 0,99 | 0,77 | 1,96 |
1987 | 2,29 | 0,78 | 45988 | 0,99 | 0,78 | 1,36 |
1988 | 2,38 | 0,81 | 46474 | 1,00 | 0,80 | 2,84 |
1989 | 2,47 | 0,84 | 46645 | 1,01 | 0,83 | 3,40 |
1990 | 2,61 | 0,89 | 47412 | 1,03 | 0,87 | 3,95 |
1991 | 2,75 | 0,94 | 47990 | 1,04 | 0,90 | 4,09 |
1992 | 2,81 | 0,96 | 48140 | 1,04 | 0,92 | 1,86 |
1993 | 2,78 | 0,95 | 46773 | 1,01 | 0,94 | 1,82 |
1994 | 2,86 | 0,98 | 46438 | 1,00 | 0,97 | 3,61 |
1995 | 2,91 | 1,00 | 46025 | 1,00 | 1,00 | 2,66 |
1996 | 2,94 | 1,01 | 45455 | 0,98 | 1,02 | 2,29 |
1997 | 2,99 | 1,02 | 45365 | 0,98 | 1,04 | 1,90 |
1998 | 3,06 | 1,05 | 45744 | 0,99 | 1,05 | 1,49 |
1999 | 3,12 | 1,07 | 46096 | 1,00 | 1,07 | 1,18 |
2000 | 3,22 | 1,10 | 46691 | 1,01 | 1,09 | 1,88 |
2001 | 3,26 | 1,12 | 46715 | 1,01 | 1,10 | 1,19 |
2002 | 3,26 | 1,12 | 46225 | 1,00 | 1,11 | 1,06 |
2003 | 3,25 | 1,11 | 45909 | 0,99 | 1,11 | 0,37 |
2004 | 3,29 | 1,13 | 46129 | 1,00 | 1,12 | 0,74 |
2005 | 3,32 | 1,14 | ||||
Quelle: Wikipedia: →Produktivität. Stand 14.12.2009 |
Die Entwicklung von Lohnquote und Produktivität lässt sich kaum vorhersagen. Wir sollten die Lohnquote steigern, die Wirkungen der Lohnquote ausgleichen (Erweiterung der Basis) und vor allem die Produktivität erhöhen. Dazu dienen: mehr Bildungsinvestitionen, mehr „Bildung für alle” (keine Selektion nach sozialer Herkunft) und bessere Effizienz zur Anhebung des Bildungsniveaus (mehr Schulabgänger mit Abschluss und mehr Hochschulabschlüsse).
Rentenzuwachs bei unterschiedlichen Wachstumspfaden →Bof99 | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
Jährliche Wachstumsrate | Zuwachs in 30 Jahren | Zuwachs in 40 Jahren | ||||
0,5 % | 16 % | 22 % | ||||
1,0 % | 35 % | 48 % | ||||
1,5 % | 56 % | 81 % | ||||
2,0 % | 81 % | 121 % | ||||
2,5 % | 110 % | 169 % |
Die Lebenserwartung (durchschnittliche zu erwartende Lebensdauer) ist in der Gesellschaft nicht gleichmäßig verteilt. Leider gibt es in der deutschen Statistik (anders als in Großbritannien) keine Sterblichkeitsdaten nach Einkommen, Bildung oder Beruf. So sind die Analysten auf indirekte Methoden angewiesen.
Lebenserwartung nach Einkommen (Quelle:→LLS06) | |||||
---|---|---|---|---|---|
Monatliches Bruttoeinkommen in €: | < 1500 € | 1500–2500 € | 2500–3500 € | 3500–4500 € | > 4500 € |
Frauen: | 78,4 Jahre | 83,5 Jahre | 85,0 Jahre | 86,0 Jahre | 87,2 Jahre |
Männer: | 71,1 Jahre | 75,5 Jahre | 76,5 Jahre | 77,8 Jahre | 80,0 Jahre |
Einkommen und erlebte Jahre in Rente der Männer (Quelle:→LLS06) | |||||
---|---|---|---|---|---|
Monatliches Bruttoeinkommen in €: | < 1500 € | 1500–2500 € | 2500–3500 € | 3500–4500 € | > 4500 € |
Männer: | 10,8 Jahre | 13,8 Jahre | 15,0 Jahre | 16,3 Jahre | 18,2 Jahre |
Differenz zur höchsten Gruppe: | -7,4 Jahre | -4,4 Jahre | -3,2 Jahre | -1,9 Jahre | 0 Jahre |
Differenz zur höchsten Gruppe: | -69 % | -32 % | -21 % | -12 % | 0 % |
Einkommen und Wahrscheinlichkeit des Rente-Erlebens der Männer (Quelle:→LLS06) | |||||
---|---|---|---|---|---|
Monatliches Bruttoeinkommen in €: | < 1500 € | 1500–2500 € | 2500–3500 € | 3500–4500 € | > 4500 € |
Erlebenswahrscheinlichkeit: | 79,1 % | 85,2 % | 87,3 % | 89,0 % | 91,0 % |
Unter den Arbeitnehmern leben die Bestverdienenden (über 4500 € monatlich) rund 9 Jahre länger als die Schlechtestverdienenden (unter 1500 € monatlich) (→LLS06). Lauterbach: „Gutverdiener leben länger und lassen sich einen großen Teil ihrer Rente quasi von den Armen bezahlen” (→Lau07). Das lässt sich auch am Beitragssatz ablesen, den jede Gruppe gebraucht hätte, wenn jede ihre eigene Rentenversicherung gehabt hätte:
Einkommen und erforderlicher Beitragssatz der Männer (Quelle:→LLS06) | |||||
---|---|---|---|---|---|
Monatliches Bruttoeinkommen in €: | < 1500 € | 1500–2500 € | 2500–3500 € | 3500–4500 € | > 4500 € |
Beitragssatz Männer: | 15,0 % | 17,6 % | 19,1 % | 20,7 % | 23,1 % |
Eine ähnliche Statistik nach Einkommensgruppen (wobei die Abgrenzungen unklar bleiben), aber auch nach Bildungsabschlüssen, wird von Marc Luy in →Luy06 aus Schätzungen anhand von Daten des Lebenserwartungssurveys des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung gewonnen:
Rentenerleben nach Einkommen und Bildung | Von den 45-Jährigen erreichen das
Renteneintrittsalter 65 (Jahrgänge 1934–1952) (Quelle:→Luy06) |
|||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Durchschnitt Ø | niedrigste Einkommens-Gruppe | höchste Einkommens-Gruppe | nur Hauptschul-Abschluss | nur Mittlere Reife | Abitur / Fachabitur | |||
Frauen: | 91,9 % | 88,5 % | 93,4 % | 91,1 % | 93,7 % | 93,4 % | ||
Diff. zum Ø: | 0,0 % | -3,4 % | +1,5 % | -0,8 % | +1,8 % | +1,5 % | ||
Männer: | 77,8 % | 64,4 % | 81,7 % | 74,2 % | 86,9 % | 87,5 % | ||
Diff. zum Ø: | 0,0 % | -13,4 % | +3,9 % | -3,6 % | +9,1 % | +1,5 % |
Aus dem gleichen Material gewinnt Marc Luy eine entsprechende Statistik nach Berufsgruppen, genauer nach der Zugehörigkeit zur Arbeiter- oder Angestellten-Versicherung bzw. Selbstständigkeit oder Beamtentum:
Rentenerleben nach Berufsgruppen | Von den 45-Jährigen erreichen das
Renteneintrittsalter 65 (Jahrgänge 1934–1952) (Quelle:→Luy06) |
|||||
---|---|---|---|---|---|---|
Durchschnitt Ø | Arbeiter | Angestellte | Selbstständige | Beamte | ||
Frauen: | 91,9 % | 91,1 % | 91,9 % | 94,0 % | 95,9 % | |
Diff. zum Ø: | 0,0 % | -0,8 % | 0,0 % | +2,1 % | +4,0 % | |
Männer: | 77,8 % | 69,8 % | 82,0 % | 82,9 % | 86,2 % | |
Diff. zum Ø: | 0,0 % | -8,0 % | +4,2 % | +5,1 % | +8,4 % |
Demnach haben 45-jährige Angestellte eine um 12,2% größere Chance als Arbeiter, das Rentenalter zu erleben.
Eva Kibele (→Kib08) konnte für ihre neueren Untersuchungen Daten der Rentenversicherung aus Vollerhebungen des Rentenwegfalls und des Rentenbestandes nutzen und war so nicht auf Schätzungen angewiesen. Sie kommt beim Abstand zwischen Arbeitern und Angestellten sogar auf 13%! Daten der Knappschaftsversicherung zeigen, dass auch frühere Bergleute ein um 7% höheres Sterberisiko haben als die Angestellten. Pflichtversicherte der gesetzlichen Krankenkassen haben ein um 36% höheres Sterberisiko als privat oder freiwillig Versicherte. Das Sterberisiko von Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrentnern vor dem 60. Lebensjahr ist um 74% erhöht.
Mit dem „World Bank Report on: Averting the Old Age Crisis” 1994 (→Rus02) hat die Weltbank mit ihrem dort vorgestellten Säulenmodell für Rentensysteme eine Lawine losgetreten, der zunächst viele Staaten gefolgt sind. Der Report suggeriert, dass ein System dann der finanziellen Unterstützung der Alten und des wirtschaftlichen Wachstums am besten dienen könne, wenn es sich auf 3 Säulen verlässt:
1) ein staatlich verwaltetes System mit Pflichtteilnahme und dem begrenzten Ziel, Armut unter den Alten zu vermindern,
2) ein privat verwaltetes System zum verpflichtenden Sparen,
3) ein System zum Kapital gedeckten freiwilligen Sparen mit persönlichen Vorsorgekonten und Beitragshöhen-Orientierung statt Rentenhöhen-Orientierung.
Nachdem das „Weltbank-Modell” von den Meisten als eine ganz spezifische Konstellation von Lösungen aufgefasst wurde und einige Ansichten daraus abgeleitet wurden, sah sich die Weltbank 1999 veranlasst, ihre Position durch das Papier "Rethinking Pension Reform: Ten Myths About Social Security Systems" (→OrS99) der berühmten Wirtschaftswissenschaftler Orszag und Stiglitz (Nobelpreis 2001) klar stellen zu lassen: das „3-Säulen-Modell” sei kein spezifischer politischer Maßnahmenkatalog, sondern es sei an sich genügend dehnbar, um alle möglichen Kombinationen politischer Maßnahmen wider zu spiegeln. 10 Mythen werden ausdrücklich bezweifelt:
1) dass persönliche Vorsorgekonten die Sparquote erhöhen,
2) dass bei persönlichen Vorsorgekonten die Renditen höher seien,
3) dass fallende Renditen der Umlagesysteme grundsätzliche Probleme des UV wider spiegeln,
4) dass das Investieren staatlicher Treuhand-Fonds in Finanzkapital keine makroökonomischen Auswirkungen hat,
5) dass die Arbeitsmarkt-Anreize bei persönlichen Vorsorgekonten besser seien,
6) dass Rentenhöhen-orientierte Sparpläne notwendigerweise Anreize für einen frühen Renteneintritt geben,
7) dass der Wettbewerb niedrige Verwaltungskosten bei persönlichen Vorsorgekonten sichert,
8) dass korrupte und ineffiziente Regierungen für persönliche Vorsorgekonten sprechen,
9) dass die Politik der Rettungsaktionen schlimmer ist unter staatlicher Rentenhöhen-Orientierung,
10) dass das Investieren unter staatlichen Rentenfonds immer verschwenderisch und schlecht verwaltet ist.
Schlussfolgerung der Autoren: Schritte hin zum privat verwalteten, Rentenhöhe-orientierten Rentensystem können einen (oder auch keinen) nachteiligen Effekt haben auf Spartätigkeit, Arbeitsangebot oder Staatshaushalt.
Dass hier persönliche Vorsorgekonten bei privaten Kapital gedeckten Versicherungen betont werden, muss uns sehr verwundern, denn wir führen in unserer GRV Konten mit Entgeltpunkten nach den persönlichen Arbeitsentgelten.
Die Idee eines über Finanzmärkte privat organisierten Sozialversicherungssystems wurde, unter Beschwörung demografischer Katastrophen, die Propaganda-Idee der Konservativen. Die Anweisungen dazu stehen in einer 2005 durchgesickerten E-Mail eines Peter H. Wehner (aus dem Stab von George W. Bush) (→Sozialversicherungsmemorandum des Weißen Hauses). Basis der Strategie (übersetzt): „Das gegenwärtige System fährt auf einen Eisberg zu. ... Wir müssen im öffentlichen Bewusstsein eine finanzielle Tatsache verankern: jetzt gerade sind wir auf einem unhaltbaren Kurs.” Betonung, „dass persönliche Konten, durch das Wunder des zusammengesetzten Zinses, Arbeiter mit höheren Rentenzahlungen versorgen werden, als sie gegenwärtig von der Sozialversicherung bekommen.” „Die Debatte über Sozialversicherung führt zu einem monumentalen Zusammenprall von Ideen ... Das erste Mal in sechs Jahrzehnten ist die Sozialversicherungsdebatte eine, die wir gewinnen können”. Nobelpreisträger (2008) Paul Krugman kommentierte dies (→Kru05, übersetzt): er hat die Umstiegskosten komplett übersehen — „die Privatisierung wird in den nächsten 45 Jahren mehr kosten als bringen”.
53% der Deutschen glauben, dass es in der GRV eine Rentenkasse gibt, in der die laufenden Beiträge gesammelt werden und aus der im Alter die Rente ausgezahlt wird — bei den Gebildeten sind es noch mehr (→BBT01). Eine solche Rentenkasse gibt es nicht, jedenfalls keine, die diesen Namen verdient hätte. Die gesamten Rentenbeiträge eines Jahres werden im gleichen Jahr — abzüglich geringer Verwaltungskosten (1,4–1,6%) und zuzüglich erheblicher staatlicher Zuschüsse (z.Zt. etwa 26% der GRV-Einnahmen, damit etwa 24% der Bundesausgaben) — an die Rentner wieder ausgegeben. Dies ist das Umlageverfahren (UV). Genau genommen geschieht diese Umlage sogar monatlich: dann dient eine kleine Nachhaltigkeitsrücklage (früher treffender Schwankungsreserve genannt) dem Ausgleich der kleinen Schwankungen zwischen den Beitragseingängen und den Rentenauszahlungen. Sie darf am 31.12. eines Jahres nicht niedriger als 0,2 und nicht höher als 1,5 Monatsausgaben sein (→vBr08), sonst ist der Beitragssatz im Folgejahr entsprechend anzupassen.
Der Rentenbedarf eines Jahres kann ein halbes Jahr vorher ziemlich genau geschätzt werden. Dann muss evtl. ein neuer Beitragssatz festgesetzt werden.
(Wikipedia: →GRV, Stand 29.12.2009:) Für erwerbstätige Pflichtversicherte wird auf ihr Bruttoeinkommen ein prozentualer Beitrag nach Maßgabe des geltenden Beitragssatzes (z.Zt. 19,9%) an die GRV erhoben: zur Hälfte von den Arbeitnehmern und zur Hälfte von den Arbeitgebern. Es gibt in der GRV eine Bemessungsgrenze (in der DRV z.Zt. in den alten Bundesländern 5.400 € pro Monat bzw. 64.800 € pro Jahr, in den neuen Bundesländern 4.550 € pro Monat bzw. 54.600 € pro Jahr — in der Knappschaftsversicherung mehr). Liegt das Bruttoeinkommen über diesem Betrag, wird nicht nach Beitragssatz gezahlt, sondern nur genau dieser Betrag. Entsprechend beschränkt sich aber auch der Rentenanspruch. Seit 1972 können sich auch Selbstständige und Hausfrauen freiwillig beteiligen (mit vollem Beitrag). Für geringfügig entlohnte Beschäftigte ist vom Arbeitgeber ein Pauschalbeitrag von 15% des vollen Beitragsanteils zu zahlen. Eine Beschäftigung neben dem Bezug der Regelaltersrente ist für den Beschäftigten versicherungsfrei, aber der Arbeitgeber muss weiterhin den Beitragsanteil abführen, der zu zahlen wäre, wenn der Beschäftigte versicherungspflichtig wäre (ohne Auswirkungen auf die Rentenansprüche des Rentners).
Tritt bei einem Beschäftigten (teilweise) Erwerbsminderung ein (dazu muss das Leistungsvermögen für alle Tätigkeiten auf weniger als sechs Stunden pro Tag herab gesunken sein), steht ihm seit 2001 eine Erwerbsminderungsrente zu (vorher Erwerbsunfähigkeitsrente): damit beginnt für etwa ein Sechstel aller Rentner das Rentnerdasein (für weniger als 10% von ihnen nur teilweise) (Wikipedia: →GRV). Sie müssen mit Abschlägen bis maximal 10,8% rechnen, bevor sie 60 Jahre alt sind. Genauso wie eine Altersrente wird diese Rente von der GRV bezahlt; ebenso die evtl. notwendige Rehabilitation. Die GRV bezahlt auch die Renten an Hinterbliebene von Versicherten.
Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen der Versicherte aus bestimmten anerkannten Gründen keine Beiträge zahlen konnte. Sie werden rentensteigernd angerechnet (→Anrechnungszeiten, 2002; Wikipedia: →Anrechnungszeit). Dazu zählen:
• Krankheit (Arbeitsunfähigkeit), Leistungen zur Rehabilitation (medizinische Heilbehandlung oder Berufsförderung) — außer bei Entgeltfortzahlung.
• Schwangerschaft, Schutzfristen bei Mutterschaft.
• Arbeitslosigkeit (wenn dadurch eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen wurde).
• Besuch einer Schule, Fachschule, Hochschule oder Berufsbildungsmaßnahme nach dem vollendeten 17. Lebensjahr (höchstens 3 Jahre). Aber: Anrechnungszeiten für Schul- und Hochschulausbildung werden ab 1. Februar 2005 schrittweise von bisher 3 bewerteten Jahren auf 0 gestrichen. Neurentner ab 2009 sollen dann keine rentenerhöhenden Anrechnungszeiten für Schul- und Hochschulausbildung mehr (wohl aber für Fachschulausbildung und berufsbereitende Bildungsmaßnahmen) erhalten (→Sozialverband Deutschland).
• Rentenbezugszeiten vor dem 55. Lebensjahr bzw. die in einer früheren oder bisherigen Rente enthaltene Zurechnungszeit.
Anrechnungszeiten können auch als Wartezeit zählen, allerdings nur für die Altersrente für langjährig Versicherte und für die Erwerbsminderungsrente. Versicherte haben Anspruch auf die Regelaltersrente, wenn sie das erforderliche Lebensjahr vollendet und die allgemeine Mindestversicherungszeit (Wartezeit) von 5 Jahren erfüllt haben.
Für Empfänger von ALG I zahlt die BA 80% der bisher gezahlten GRV-Beiträge: beim Durchschnittsverdiener entsteht für 1 Jahr Arbeitslosigkeit ein monatlicher Rentenanspruch von 21,25 € (West) bzw. 18,67 € (Ost) (→vdH09). Für längerfristig Arbeitslose (ALG II Bezieher) werden die Beiträge auf Basis von monatlich 400 € von der BA an die GRV gezahlt (2005, →Sch05a), das ergibt eine Einzahlung von 40,80 € pro Monat: damit entsteht für 1 Jahr Arbeitslosigkeit ein zusätzlicher monatlicher Rentenanspruch von 2,17 € (West und Ost) (→vdH09), das sind 8% der Rentenanwartschaft eines Durchschnittsverdieners (→AP09).
Eckdaten der Rentenversicherung | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Im Jahr | Beitrags- zahler |
Rentner | Beitrags- einnahmen |
Bundeszuschüsse | Rentenaus- gaben usw. |
Verwal- tung |
Über- schuss |
|
2007 | 35 Mio. | 20 Mio. | 173,9 Mrd. € | 38,1+17,9=56,0 Mrd. € | 218,9 Mrd. € | 3,5 Mrd. € | 1,2 Mrd. € | |
Quellen: →Sop08, →DRV08. | 75,1 % | 16,5 + 7,7 = 24,2 % | 94,6 % | 1,5 % | 0,5 % | |||
2009 | 35 Mio. | 20 Mio. | *180,2 Mrd. € | *38,6+18,7=57,3 Mrd. € | *227,1 Mrd. € | *3,5 Mrd. € | *-0,1 Mrd. € | |
Quellen: →DRV10. *) geschätzt | *74,9 % | *16,0 + 7,8 = 23,8 % | *94,3 % | *1,4 % | *-0,1 % |
Zahlungen oder die Gewährung geldwerter
Vorteile, zu denen die GRV-Träger verpflichtet sind, ohne dass
Beitragszahlungen seitens der damit Bedachten zugrunde liegen,
nennt man Versicherungsfremde Leistungen
(Wikipedia: →Versicherungsfremde
Leistungen). Der Bundeszuschuss soll die GRV von
Versicherungsfremden Leistungen entlasten: der
Staat zahlt der GRV einen etwa kostendeckenden Zuschuss für
Aufgaben der Gesamtheit der Steuerzahler bzw. die der Bund der
GRV auferlegt hat („wer die Zeche bestellt, soll sie
bezahlen”). Dazu zählen:
• Kindererziehungszeiten.
• Anrechnungszeiten.
• Ersatzzeiten (für Vertreibung oder DDR-Haft).
• Vereinigungsbedingte Leistungen
(Renten-Sonderregelungen).
• Fremdrenten und Vertragsrenten (aus
Sozialversicherungsabkommen mit verschiedenen
Ländern).
Der allgemeine Bundeszuschuss ist keine
Subvention der GRV!
Er wird seit 1.4.98 um einen zusätzlichen
Bundeszuschuss ergänzt, „damit der Beitragssatz um 1%
niedriger festgesetzt werden kann” als ohne ihn
(→DRV:
Bundeszuschuss).
Jetzt deckt der Zuschuss nach Ansicht vieler Experten fast
(→Sch06,
→Ses06,
→Teu04:
2001 ca. 15 Mrd. €
Versicherungsfremde Leistungen nicht durch
Bundesmittel gedeckt)
die Höhe der Versicherungsfremden Leistungen.
Doch spart der Bund seit 2007 jährlich rund 2 Mrd. € an
geringeren Beiträgen für ALG-II-Bezieher
(→„Bundeszuschuss
zu Rente steigt”, 2006). Etwa 12,5 Mrd. € dienen zur
steuerlichen Förderung der Riester-Rente
(→EnK08).
Die Bundeszuschüsse gliederten sich 2007 in folgende
Haushaltstitel: allgemeiner
Bundeszuschuss ca. 38 Mrd € (richtet sich nach der
Entwicklung der durchschnittlichen
Bruttoarbeitsentgelte und des Beitragssatzes
→Sch01),
zusätzlicher Bundeszuschuss zur
„Stabilisierung der Beitragssätze” 8,7 Mrd
€ (1 Prozentpunkt der Mehrwertsteuer) und
Erhöhungsbetrag zum zusätzlichen
Bundeszuschuss (ursprünglich die volle Ökosteuer,
aber seit 2004 nur mit der Änderungsrate der
Bruttolohnsumme fortgeschrieben
→Sch01)
ca. 9,2 Mrd €
(→SaR08).
Beiträge auf Arbeitsentgelte sowie Anrechnungszeiten werden bei der Rentenversicherung in Entgeltpunkte umgerechnet, im Laufe des Erwerbslebens aufsummiert und bei Renteneintritt in einen Rentenwert zurück gerechnet. →wiki10: Jeder Versicherungsnehmer führt aus seinem laufenden Gehalt (aus einer versicherungspflichtigen Tätigkeit) einen bestimmten Prozentsatz als Beitrag über die Einzugsstelle bzw. als direkte Beitragszahlung an den Rentenversicherungsträger ab. Dafür errechnet der GRV-Träger Entgeltpunkte. 2008 ergibt ein Jahresverdienst von 30.084 € (Durchschnitts-Brutto-Entgelt 2008 der Versicherten) genau einen persönlichen Entgeltpunkt. Wer genau so viel wie der Durchschnitt aller Einzahler (das Durchschnittsentgelt ist nach neuen und alten Bundesländern getrennt) einzahlt, bekommt jährlich genau einen Entgeltpunkt; wer nur die Hälfte des Durchschnitts einzahlt, nur 0,5 Punkte. Wer bis zur Beitragsbemessungsgrenze einzahlt, bekommt derzeit ca. 2 Punkte. Für Kindererziehungszeiten für ab dem 1. Januar 1992 geborene Kinder werden i.d.R. 36 Monate (36 x 0,0833 = 2,9988 Entgeltpunkte) angerechnet. Rentenformel: Persönliche Rentenhöhe bei Rentenbeginn = summierte Punkte mal Zugangsfaktor mal Rentenartfaktor mal Aktueller Rentenwert. Rentenanspruch an der Beitragsbemessungsgrenze: 64800 € - 30879 € (vorläufiges Durchschnittseinkommen West) = 2,0985 Entgeltpunkte · 26,56 € Aktueller Rentenwert (West) = 55,74 € mtl. Rentenzuwachs (→Max. Entgeltpunkte). Die Höchstrente als höchste denkbar zu erreichende Rente ergibt sich implizit aus dem gesetzlich festgeschriebenen Maximalwert der jährlich zu erwerbenden Entgeltpunkte und der maximal möglichen Einzahlungsdauer: z.Zt. 2200 € brutto (nur von theoretischem Interesse). Höchstrente lt. DRV im Westen derzeit 2113 €, im Osten 1857 € (→Höchstrente, 2008).
Der Zugangsfaktor (seit 1992) richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder beim Tod (Wikipedia: →Zugangsfaktor). Bei Erreichen der Regelaltersgrenze beträgt der Zugangsfaktor 1,000. Im Falle der vorzeitigen Inanspruchnahme vor der Regelaltersgrenze (max. 60 Monate) ergibt sich eine Rentenkürzung um 0,3% pro Monat (Abschläge) — nach der Regelaltersgrenze erhöht er sich um 0,5% pro Monat (Zuschläge).
Der Rentenartfaktor (seit 1992) bestimmt die Rentenhöhe in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Sicherungszielen der Rentenarten (Wikipedia: →Rentenartfaktor). Er bewirkt, dass Renten mit Lohnersatzfunktion (z.B. Altersrenten) trotz der gleichen zugrunde liegenden Beitragsleistung höher sind als Renten mit Lohnzuschussfunktion (z.B. wegen teilweiser Erwerbsminderung) oder Unterhaltsersatzfunktion (z.B. Witwenrenten).
Der Aktuelle Rentenwert (seit 1992) ist der einer monatlichen Altersrente entsprechende Betrag, wenn für ein Kalenderjahr Beiträge in Höhe des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten gezahlt worden sind (Wikipedia: →Aktueller Rentenwert). Für die neuen Bundesländer gilt ein geringerer Aktueller Rentenwert (Ost), der nicht schwächer steigen darf als der Aktuelle Rentenwert (West): zur allmählichen Angleichung der Renten. Der Aktuelle Rentenwert wird nach der Rentenanpassungsformel fortgeschrieben. Zum 1. Juli 2000 wurde er — abweichend von §69 SGB VI — durch das sogen. „Inflationsausgleichsgesetz” bestimmt.
Aktueller Rentenwert | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|
jeweils ab 1. Juli | Ost | Entwicklung Ost | West | Entwicklung West | ||
1999 | 21,61 € | 24,84 € | ||||
2000 | 21,74 € | 0,6% | 24,99 € | 0,6% | ||
2001 | 22,06 € | 1,5% | 25,31 € | 1,3% | ||
2002 | 22,70 € | 2,9% | 25,86 € | 2,2% | ||
2003 | 22,97 € | 1,2% | 26,13 € | 1,0% | ||
2004 | * | 0,0% | * | 0,0% | ||
2005 | * | 0,0% | * | 0,0% | ||
2006 | * | 0,0% | * | 0,0% | ||
2007 | 23,09 € | 0,5% | 26,27 € | 0,5% | ||
2008 | 23,34 € | 1,1% | 26,56 € | 1,1% | ||
2009 | 24,13 € | 3,38% | 27,20 € | 2,41% | ||
*) Zum 1. Juli 2004, 2005 und 2006 wurde die Rentenanpassung per Gesetz ausgesetzt („Nullrunden”). | ||||||
Quelle: Wikipedia: →Aktueller Rentenwert. |
Per Rentenanpassungsformel (oft fälschlich nur Rentenformel) wird der Aktuelle Rentenwert fortgeschrieben:
Rentenanpas- sungsformel | Lohn-/Gehalts- komponente | Beitragskomponente: | Nachhaltigkeits- komponente | ||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Riester-Faktor | Beitragssatz-Faktor | ||||||||||||
Aktueller Rentenwert j | = | Aktueller Rentenwert j-1 | · | Bruttolohn je Arbeitnehmer j-1 | · | 100% - | „Altersvorsor- geanteil”-% j-1 | - | GRV-Bei- tragssatz-% j-1 | · | [(1 - | Ä-Rentner- Quotient j-1 | ) ·α+1] |
modif. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2 | 100% - | „Altersvorsor- geanteil”-% j-2 | - | GRV-Bei- tragssatz-% j-2 | Ä-Rentner- Quotient j-2 | ||||||||
Quellen: →Sachverständigenrat: Gutachten 2008, →Frankfurter Rundschau Spezial zum Thema Rente (1.7.2008) |
Die Lohn-/Gehaltskomponente berechnet im Wesentlichen die 1957 eingeführte dynamische Rente gemäß der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttolöhne/-gehälter. Die Komplizierung mit dem modifizierten und dem beitragspflichtigen Bruttolohn dient einer Korrektur der Werte aus der VGR (die auch Beamte mitzählt) durch die Werte der Rentenversicherung (in der auch Arbeitslose versichert sind) (→Sachverständigenrat: 2008).
Die Beitragskomponente wurde 2002 mit der Riester-Rente eingeführt und dämpft die späteren Renten stark und recht dauerhaft. Das dubiose am Riester-Faktor ist, dass auch Rentner und GRV-Versicherte, die gar keinen Riester-Vertrag abgeschlossen haben, davon betroffen sind. Damit schlägt sich die Verlagerung auf Kapital gedeckte Rentenanteile für alle dämpfend in der Berechnung der umlagefinanzierten Rente nieder (→Ses06).
Die Nachhaltigkeitskomponente („Nachhaltigkeitsfaktor”) ersetzt seit 1. Juli 2005 Blüms 1998 nicht zur Anwendung gekommenen „Demografischen Faktor”. Der Demografische Faktor für das Jahr j berechnete sich als DFj=(LE65j-9/LE65j-8-1)/2+1, wobei LE65j die Lebenserwartung der 65-Jährigen im Jahre j ist. Durch die Division durch 2 wird die multiplikative Auswirkung in der Rentenanpassungsformel halbiert (→Lom04). Der Nachhaltigkeitsfaktor passt die Entwicklung des Rentenniveaus an die demografische Entwicklung an, wobei er im Unterschied zum Demografischen Faktor auch Effekte wie Änderungen der Erwerbsquote, Wanderungsbewegungen und die aktuelle Lebenserwartung erfasst (→Lom04, →BRW04). Nach Ansicht des Sachverständigenrats kommt „der Größe α, die den Einfluss des Nachhaltigkeitsfaktors auf die Rentenanpassung gewichtet, eine zentrale Bedeutung zu ... Bei einem α von 0 würde das Rentenniveau ... nicht von der Veränderung der Erwerbstätigkeit oder der demografischen Entwicklung beeinflusst, während bei einem α von 1 Veränderungen der Erwerbstätigkeit und Demografie ... faktisch keinen Einfluss auf den Beitragssatz hätten. Die Tatsache, dass der Nachhaltigkeitsfaktor mit einem Gewicht von 0,25 versehen wurde, dokumentiert einen intergenerativen Verteilungskompromiss.” (→Sachverständigenrat: Gutachten 2008). Es sorgt dafür, dass die Rentner zu einem Viertel an der Veränderung der Relation Rentner / Beitragszahler beteiligt werden. Der mindernde Einfluss des Nachhaltigkeitsfaktors ist auch bei dieser Gewichtung (d.h. 0,25) größer, als der des Demografischen Faktors gewesen wäre (→Lom04).
Mit dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz 2004 wurde eine Schutzklausel eingeführt, dahingehend, dass die Rentner keine Rentenkürzungen aufgrund der Dämpfungsfaktoren (Nachhaltigkeits- und Riester-Faktor) hinnehmen sollen. 2006 ist die Schutzklausel um einen Nachholfaktor modifiziert worden: die „ausgefallene Dämpfungswirkung wird ab dem Jahr 2011 solange durch eine Halbierung der sich dann ergebenden positiven Rentenanpassungen realisiert oder nachgeholt, bis die ausgefallene Dämpfungswirkung ausgeglichen ist.” (→Bun09). Dieses Zusammenwirken von Schutzklausel und Nachholfaktor ist am 19.6.2009 auch auf die Lohn- und Gehaltskomponente erweitert worden (Olaf Scholz' sogenannte „Rentengarantie”). Insgesamt hat die mehrfache Anwendung von Schutzklauseln den Aktuellen Rentenwert um einiges höher gehalten, als er nach den Absichten der Erschaffer der Rentenanpasungsformel hätte sein sollen (→KrS09). Kritiker sprechen schon vom Nachholberg, der zu entsprechenden Mehrbelastungen der Beitragszahler geführt hat, aber zukünftige Belastungen der Rentner verursachen wird (→Der Nachholberg in der GRV, 2009).
j bezeichnet das Jahr, für das der Aktuelle Rentenwert berechnet wird, j-1 dann dessen Vorjahr.
Bruttolohn = Brutto-Lohn und -Gehalt je Arbeitnehmer gemäß der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR).
modif. Bruttolohn = Bruttolohn und -gehalt je Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der folgenden Veränderung:
modif. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2 | = | Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2 | · | Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2 | ||
Bruttolohn je Arbeitnehmer j-3 | ||||||
bpfl. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2 | ||||||
bpfl. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-3 |
bpfl. Bruttolohn = Bruttolohn und -gehalt, beitragspflichtig, nach der Versichertenstatistik des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger einschließlich der Beiträge auf Arbeitslosengeld.
„Altersvorsorgeanteil”-% = bekannt unter dem
Namen Riester-Faktor, wurde 2003 eingeführt. Er
berücksichtigt die "Belastung" der Erwerbstätigen
durch verstärkte private Altersvorsorge (Riester-Rente).
Offizielle Begründung
(→Bun09):
„Beschäftigte, die privat mit der Riester-Rente für
ihre Altersvorsorge sparen ("riestern"), haben weniger netto für
ihre private Lebensführung übrig. Da dies eine Belastung
für die Erwerbstätigen bedeutet, müssen auch die Rentner
Einschnitte hinnehmen. Jede Rentenerhöhung wird daher
durch den Riester-Faktor um etwa 0,6 Prozentpunkte
gemindert.”
Auf diese merkwürdige Aussage werde ich noch zurück kommen.
2004 wurde gesetzlich eine „Nullrunde”
verordnet. Mit dem Rentenanpassungsgesetz 2008 wurde
der Riester-Faktor in 2008 und 2009 jeweils ausgesetzt.
Die beiden ausgesetzten Stufen sollen bei den
Rentenanpassungen 2012 und 2013 nachgeholt werden
(→Bun09).
Jahr | in Riester-Vertrag
zu zahlender Mindestanteil des Bruttogehalts („Riestersatz”) |
„Riester-Faktor”
Altersvorsorgeanteil (→Arbeitnehmerkammer: Rentenanpassung, →Bun08a) |
|
---|---|---|---|
ursprünglich geplant | gemäß der Nullrunde 2003¹ und RAG 2008² | ||
vor 2002 | 0,0 % | 0,0 % | 0,0 % |
2002 | 1,0 % | 0,5 % | 0,5 % |
2003 | 1,0 % | 1,0 % | 0,5 %¹ |
2004 | 2,0 % | 1,5 % | 1,0 % |
2005 | 2,0 % | 2,0 % | 1,5 % |
2006 | 3,0 % | 2,5 % | 2,0 % |
2007 | 3,0 % | 3,0 % | 2,0 %² |
2008 | 4,0 % | 3,5 % | 2,0 %² |
2009 | 4,0 % | 4,0 % | 2,5 % |
2010 | 4,0 % | 4,0 % | 3,0 % |
2011 | 4,0 % | 4,0 % | 3,5 % |
ab 2012 | 4,0 % | 4,0 % | 4,0 % |
GRV-Beitragssatz-% = berücksichtigt die "Belastung" der Erwerbstätigen durch die Beiträge zur GRV. Woher auch diese merkwürdige "besondere Belastung" kommt, wird noch zu erwähnen sein.
Beitragssätze in der Rentenversicherung | Monatliche Beitragsbemessungsgrenzen | ||
---|---|---|---|
Jahr | Beitragssatz | West | Ost |
1970 | 17,0 % | 1.800 DM | |
1975 | 18,0 % | 2.800 DM | |
1980 | 18,0 % | 4.200 DM | |
1985 | 18,7 % | 5.400 DM | |
1986 | 19,2 % | 5.600 DM | |
1987 | 18,7 % | 5.700 DM | |
1988 | 18,7 % | 6.000 DM | |
1989 | 18,7 % | 6.100 DM | |
1990 | 18,7 % | 6.300 DM | 2.700 DM² |
1991 | 17,7 % | 6.500 DM | 3.000 DM¹
3.400 DM² |
1992 | 17,7 % | 6.800 DM | 4.800 DM |
1993 | 17,5 % | 7.200 DM | 5.300 DM |
1994 | 19,2 % | 7.600 DM | 5.900 DM |
1995 | 18,6 % | 7.800 DM | 6.400 DM |
1996 | 19,2 % | 8.000 DM | 6.800 DM |
1997 | 20,3 % | 8.200 DM | 7.100 DM |
1998 | 20,3 % | 8.400 DM | 7.000 DM |
1999 | 19,5 % | 8.500 DM | 7.200 DM |
2000 | 19,3 % | 8.600 DM | 7.100 DM |
2001 | 19,1 % | 8.700 DM | 7.300 DM |
2002 | 19,1 % | 4.500 € | 3.750 € |
2003 | 19,5 % | 5.100 € | 4.250 € |
2004 | 19,5 % | 5.150 € | 4.350 € |
2005 | 19,5 % | 5.200 € | 4.400 € |
2006 | 19,5 % | 5.250 € | 4.400 € |
2007 | 19,9 % | 5.250 € | 4.550 € |
2008 | 19,9 % | 5.300 € | 4.500 € |
2009 | 19,9 % | 5.400 € | 4.550 € |
2010 | 19,9 % | 5.500 € | 4.650 € |
Quellen:
→Entwicklung
des Beitragssatzes,
→Wikipedia:Beitragsbemessungsgrenze,
→Beitragssätze und Beitragsbemessungsgrenzen |
¹) 1. Halbjahr ²) 2. Halbjahr |
Ä-Rentnerquotient = Zahl der Äquivalenzrentner / Zahl der Äquivalenzbeitragszahler.
Äquivalenzrentner = um Verzerrungen aufgrund geringfügiger Beitragszahlungen bzw. Rentenleistungen zu vermeiden, wird die Anzahl der Rentner in „Äquivalenzrentner” umgerechnet: Gesamtrentenvolumen / Standardrente (→BMAS Rentenlexikon: Äquiv.-Rentner und Äquiv.-Beitragszahler).
Äquivalenzbeitragszahler = in analoger Weise wird die Anzahl der „Äquivalenzbeitragszahler” errechnet, indem das Gesamtvolumen der Beiträge aller versicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten sowie der Bezieher von Arbeitslosengeld durch den auf das Durchschnittsentgelt entfallenden Beitrag dividiert wird.
Absteigende Entwicklung des Rentenniveaus in % des Einkommens eines Durchschnittsverdieners | ||||||
Jahr | Brutto-Rentenniveau | Netto-Rentenniveau
vor Steuern | Jahr | Brutto-Rentenniveau | Netto-Rentenniveau
vor Steuern |
|
---|---|---|---|---|---|---|
1982 | ↑ 50,5 % | ↓ 58,4 % | 1998 | ↓ 48,5 % | ↓ 53,6 % | |
1984 | ↓ 50,9 % | ↓ 58,1 % | 2000 | ↑ 48,2 % | ↑ 52,8 % | |
1986 | ↑ 50,7 % | ↓ 56,4 % | 2002 | ↓ 48,3 % | ↓ 52,9 % | |
1988 | ↓ 51,0 % | ↓ 56,3 % | 2004* | ↓ 47,0 % | ↓ 52,4 % | |
1990 | ↓ 50,2 % | ↓ 55,0 % | 2006* | ↓ 46,1 % | ↓ 51,0 % | |
1992 | ↑ 48,5 % | ↑ 53,1 % | 2008* | ↓ 44,7 % | ↓ 50,0 % | |
1994 | ↓ 49,7 % | ↓ 54,7 % | 2010* | ↓ 43,7 % | ↓ 48,1 % | |
1996 | → 48,5 % | ↑ 53,3 % | 2012* | ↓ 43,5 % | → 47,5 % | |
*) Vorausberechnung | Quelle:→Bundeszentrale für politische Bildung, 2005 (nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 11.2004) |
Die Grundsicherung ist eine eigenständige
Sozialleistung (nicht aus den Mitteln der GRV) und der Hilfe zum
Lebensunterhalt vorrangig (→VsL08).
Sie ist keine Sozialhilfe. Die Regelleistung für
Alleinstehende beträgt 347 € im Monat, für (Ehe-)Paare
624 €. Dazu werden noch die (angemessenen) Kosten für die
Wohnung übernommen, die unterschiedlich hoch ausfallen
(→Win08b).
Der Vorteil gegenüber der Sozialhilfe: es wird in der Regel
nicht auf das Einkommen und Vermögen von Verwandten zurück
gegriffen. Seit 2005 sind der bisherige Regelsatz und der
15%-Zuschlag zu einem einheitlichen neuen Regelsatz
zusammengefügt. Anspruchsberechtigt sind Menschen
mit gewöhnlichem Aufenthalt in der BRD, die das 65.
Lebensjahr vollendet haben oder die das 18. Lebensjahr
vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert
sind, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten
können. Als Grundsicherungsleistung werden auch
andere Mehrbedarfe, etwa für Kindererziehung oder
kostenintensive Ernährung, gewährt. Seit 2005
werden in Sonderfällen auch Mietschulden als Grundsicherungsleistung
übernommen. Eigenes Einkommen und Vermögen wird angerechnet:
u.a.
• Renten und Pensionen
• Wohngeld,
• Ehegattenunterhalt
• Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
• Zinsen und sonstige Kapitaleinkünfte
• tatsächliche Unterhaltszahlungen von Kindern oder Eltern, auch wenn deren Einkommen einen Jahresbetrag von 100.000 € nicht erreicht.
Zum Vermögen zählen u.a.:
• Haus- und Grundvermögen
• PKW
• Bargeld und Guthaben auf Konten bei Banken, Sparkassen, u.a.
Wertpapiere
• Rückkaufwerte von Lebens- und Sterbeversicherungen.
Vom Einkommen abgesetzt werden können:
• auf das Einkommen entrichtete Steuern
• Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung
• gesetzlich vorgeschriebene und angemessene Beiträge zu
öffentlichen oder privaten Versicherungen
• beim Erwerbseinkommen die Werbungskosten.
„Das Kapitaldeckungsverfahren ist eine Methode zur Finanzierung von Versicherungen und Sozialversicherungen, speziell der Altersvorsorge ... Dabei werden Sparanteile aus Beiträgen der Versicherten am Kapitalmarkt angelegt und für jeden einzelnen Versicherten ein Deckungskapital gebildet, das nach dem Ansparende die zu zahlenden Leistungen abdecken soll. Alle laufenden und zukünftigen Ansprüche werden aus diesem individuellen Deckungskapital in entsprechender Höhe bedient.” (Wikipedia: →KDV)
Die deutsche GRV besaß ursprünglich auch Elemente des KDV; sie wurden größtenteils mit der Renten-Reform 1957 und endgültig 1968 aufgegeben. In der Hyperinflation 1923 und noch einmal bis Kriegsende 1945 war der verbliebene Kapitalstock fast wertlos geworden.
Während das UV jederzeit quasi aus dem Stand eingeführt oder erweitert werden kann (was auch mit der Eingliederung der Ost-Rentner nach der Wiedervereinigung bewiesen wurde), braucht das KDV eine Ansparzeit von etwa einer Generation. Mit der Riester-Reform von 2001 gab es 2002 die teilweise Wiedereinführung eines KDV.
Diese Entwicklung war nach dem Parteiprogramm der SPD und ihren Wahlkampfaussagen 1998 überraschend. Im Parteiprogramm: Die Senkung des Rentenniveaus wird abgelehnt, das beitrags- und leistungsbezogene Rentensystem muss auf der Einnahmenseite gestärkt und dann so weiter entwickelt werden, dass es eine eigenständige Alterssicherung für Frauen bietet. Die Ideen der einzelnen SPD-Politiker gingen aber weit auseinander (→Huj98). Im Wahlkampf 1998 bezeichnete Gerhard Schröder die Rentenkürzungspläne der Union wörtlich als „unanständig”. Diese Aussage trug wesentlich zu seinem Wahlsieg bei. Noch bevor die CDU/CSU-FDP-Koalition 1998 abgewählt wurde, hatte sie im Alleingang Entscheidungen über beträchtliche Einschnitte in das Leistungsniveau der GRV getroffen: Reduktion des Eckrentenniveaus von 70% auf 64% des durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelts über den „demografischen Faktor” in der Nettoanpassungsformel (Prof. Schmähl in →NRS08).
Nach dem Regierungswechsel 1998 wurde der „demografische Faktor” zurückgenommen und durch zwei andere, noch stärker niveausenkende Faktoren ersetzt. Schmähl hält die Wurzeln für den „Paradigmenwechsel” für schon in der Zeit der Regierung Kohl gelegt (Schmähl in →NRS08). Offizielle Begründung des Schwenks zur KDV: eine angeblich bessere Robustheit gegenüber den Auswirkungen der Überalterung der Gesellschaft. Begünstigt wurde dies auch durch eine „moderne” Tendenz zur Finanzialisierung der Wirtschaft in der Schröder-Regierung.
Diana Wehlaus sehr soziologisch orientiertes Buch →„Lobbyismus und Rentenreform” (2009) zeigt vor allem den starken Einfluss der Finanzdienstleistungsbranche auf den Meinungsbildungsprozess der maßgeblichen Personen in Richtung der Teil-Privatisierung der Alterssicherung (bis hin zu indirekten personellen Verflechtungen: Verbundenheit Gerhard Schröders mit dem Finanzdienstleister AWD, später Staatsminister Hans Martin Bury, Staatssekretäre Caio Koch-Weser und Ulrike Mascher, Regierungssprecher Béla Anda). Die Versicherungsbranche war früh präsent und betrieb intensive Lobbyarbeit, während die Bankenbranche erst später die ungeheuren Chancen erkannte und sich beteiligte. Begünstigt wurde dies durch einen einschneidenden Elitenwechsel bei den Sozialpolitikern von CDU und SPD im Sinne des „ideologischen Zeitgeists” (→Paradigmenwechsel).
Durch hohe Vertriebs- und Abschlusskosten (Provisionen!) entstehen für das KDV typische hohe Verwaltungskosten — bei Riester-Produkten durchschnittlich 16% Risiko+Kosten-Anteil (→Anf08), also etwa das Zehnfache der GRV-Verwaltungskosten (so auch in der Schweiz: →Rec04)! Durch verschärfte gesetzliche Anforderungen an die Beratung ab dem 1. Januar 2010 (§ 34 Wertpapierhandelsgesetz, u.A. Protokollpflicht) ist in Zukunft mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. In Großbritannien kommen sogar Verwaltungskosten bis über 40% vor (→MOr99).
Gibt es überhaupt ein vernünftiges Risikomanagement für so große langjährige Anlagen? Goldman Sachs® 2005: eine vollständige Anpassung der Vermögensstruktur der Pensionsfonds an die Struktur ihrer Zahlungsverpflichtungen würde Investitionen in Höhe von 4,5 Billionen $ in festverzinslichen Wertpapieren mit einer Laufzeit von 10 Jahren erfordern — ein solches Volumen steht am Markt nicht zur Verfügung (→bkv07). Das kann nur heißen: Langfristige Verpflichtungen werden durch kurzfristige Forderungen abgedeckt — bis evtl. zum Zusammenbruch.
Wirklich horrend hohe Kosten verursacht eine Privatisierung oder Teilprivatisierung eines vorhandenen UV-Systems durch die von Laien oft übersehenen Extrakosten des Umstiegs auf die KDV (Abschnitt 3.5.1). Sie übersteigen jeden denkbaren Vorteil, den das KDV selbst haben könnte.
Die betriebliche Altersversorgung beinhaltet die Zusage des Arbeitgebers, dass dem Arbeitnehmer bei Alter, Invalidität oder Tod Versorgungsleistungen aufgrund des Arbeitsverhältnisses zustehen. Seit dem Altersvermögensgesetz von 2002 besteht für jeden Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch, aber nicht jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, sich daran selbst finanziell zu beteiligen (→vBr09a).
Es gibt fünf verschiedene mögliche Durchführungswege, die alle mit dem KDV arbeiten:
1) Direktzusage: arbeitet ohne Versicherungsunternehmen, setzt Rückstellungen in der Bilanz voraus, und der mit Abgaben finanzierte Pensions-Sicherungs-Verein haftet im Fall der Insolvenz.
2) Unterstützungskasse: wie (1), jedoch als Betriebsausgaben geltende Beiträge an die Unterstützungskasse, die eine rechtlich selbstständige Versorgungseinrichtung ist, die nicht der staatlichen Versicherungsaufsicht unterliegt. Insolvenzschutz wie in (1). Die Beiträge können als Betriebsausgaben abgesetzt werden.
3) Direktversicherung: eine Lebensversicherung, die vom Betrieb mit einem privaten Versicherungsunternehmen abgeschlossen wird, das staatlicher Aufsicht unterliegt. Es besteht kein Insolvenzschutz.
4) Pensionskasse: Die Beiträge gehen an ein Versorgungsunternehmen, das staatlicher Versicherungsaufsicht unterliegt. Es besteht kein Insolvenzschutz.
5) Pensionsfonds: wie (4), jedoch frei in der Anlage der Beiträge am Kapitalmarkt. Voller Insolvenzschutz.
Zwei Drittel der Arbeitnehmer haben einen Versorgungsanspruch aus Betriebsrenten (→FR08d). 2003 bezogen 16% der Gesamtbevölkerung ab 65 Jahren eine betriebliche Altersversorgung (→vBr09a). Ein besonderer Anreiz besteht in der mit dem Altersvermögensgesetz von 2002 geschaffenen Steuer und Sozialabgaben sparenden Entgeltumwandlung, der Möglichkeit, einen Teil seines Arbeitsentgelts für die betriebliche Altersversorgung einsetzen zu können. Die zunächst bis Ende 2008 befristete Abgabenfreiheit wurde 2007 entfristet. Diese beitragsfreie Entgeltumwandlung verursacht Ausfälle bei der GRV und trägt zur ungünstigen Einnahmesituation der GRV bei (→Sch06a).
Nach einem Änderungsgesetz 2006 wird die gesetzliche Insolvenzsicherung vollständig auf Kapitaldeckung umgestellt werden (bisher noch teilweise Finanzierung im UV).
Seit 1.7.2008 gilt die neue Veröffentlichungspflicht für Provisions- und Abschlusskosten.
Die Riester-Rente ist eine 2001 beschlossene und 2002 eingeführte, vom Staat durch Zulagen und Sonderausgabenabzugsmöglichkeiten (siehe AVmG, §§ 10a, 79 ff. EstG) geförderte, privat finanzierte, Kapital gedeckte Rente fast ausschließlich für Arbeitnehmer (Wikipedia: →Riester-Rente). Jeder Anbieter von Riester-Produkten muss die Zertifizierungsanforderungen erfüllen, d.h. er muss mindestens die Summe der eingezahlten Beiträge garantieren, Leistungen frühestens ab dem 60. Lebensjahr und als lebenslange Rentenzahlung erbringen (als Leibrente oder als Auszahlungsplan mit einer Leibrente vom 85. Lebensjahr an), die Abschluss- und Vertriebskosten auf mindestens 10 Jahre (für Verträge ab 2005: 5 Jahre; für Verträge ab 2008: gleichmäßig mindestens auf die ersten 5 Vertragsjahre) verteilen (→LFD Thüringen, 2009), Informationen über die Verwendung der Vorsorgebeiträge, die Höhe der Verwaltungskosten, u.Ä. bereit stellen und eine ¼-jährliche Kündigungs- oder Ruhestellungsmöglichkeit gewähren.
Dem Riester-Sparer stehen folgende Riester-Produkte zur Wahl:
1) eine Rentenversicherung,
2) ein Banksparplan,
3) ein Fondsparplan.
4) Mit dem „Gesetz zur verbesserten Einbeziehung der selbstgenutzten Wohnimmobilie in die geförderte Altersvorsorge” („Wohn-Riester”) wurde 2008 eine weitere Möglichkeit geschaffen (→Bundesministerium der Finanzen: Fragen und Antworten zum Wohn-Riester) für selbstgenutzte Wohnimmobilien, die nach dem 31.12.2007 gekauft oder gebaut werden. Damit können künftig auch Tilgungsleistungen für entsprechende Darlehen steuerlich gefördert werden. Details der Regelungen:
• Das geförderte Altersvorsorgekapital kann für den Erwerb oder den Bau selbst genutzter Wohnimmobilien eingesetzt werden.
• Der Erwerb weiterer Genossenschaftsanteile wird gefördert, wenn man in der betreffenden Genossenschaft wohnt.
• Zu Beginn der Auszahlungsphase kann der Berechtigte das geförderte Altersvorsorgekapital auch für die Entschuldung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie einsetzen.
„Das in der Immobilie gebundene steuerlich geförderte Altersvorsorgekapital wird auf einem gesonderten Konto – dem Wohnförderkonto – erfasst. Die dort eingestellten Beträge werden jährlich um 2 Prozent erhöht und dienen als Grundlage für die spätere nachgelagerte Besteuerung. Es wird somit nicht auf den konkreten Nutzungswert der Immobilie im Alter abgestellt, sondern nur auf die vom Förderberechtigten tatsächlich bezogene Förderung.” So wird nur der Stand des Wohnförderkontos steuerlich erfasst, auch wenn sich der Wert der Immobilie zwischenzeitlich erhöht hat. Neben den bisherigen Anbietern von Riester-Produkten (Versicherungen und Banken) können nun auch Bausparkassen und Wohnungsgenossenschaften geförderte Anlageprodukte auf den Markt bringen.
Es wird eine lebenslange Rente in gleichbleibender oder steigender Höhe gezahlt. Bei Tod des Versicherten vor Ende der vereinbarten Garantiezeit kann der Ehepartner die Rente für diese Zeit weiter beziehen. Das Kapital, das sich in einem Riester-Vertrag befindet, bleibt bei der Anrechnung von Vermögen unberücksichtigt (→wiki6). Das Guthaben im Riester-Sparkonto ist pfändungssicher.
Der Riester-Sparer erhält als „Bonus” staatliche Zulagen und Steuerfreibeträge. Um die maximale Riesterförderung zu bekommen, muss man seit 2008 mindestens 4% des Bruttogehalts in den Riester-Vertrag einzahlen. Wer jeweils den vollen Sparbetrag aufbringt, erhält folgende Höchstzulagen: (→Förderung, →Riesterförderung):
Ab Jahr | in Riester-Vertrag zu zahlender Mindestanteil des Bruttogehalts | Höchstzulagen | ||
---|---|---|---|---|
Alleinstehende | Ehepaare (wobei jeder Partner einen eigenen Riester-Vertrag hat) | je Kindergeld berechtigtes Kind | ||
2002 | 1 % | 38 € | 76 € | 46 € |
2004 | 2 % | 76 € | 152 € | 92 € |
2006 | 3 % | 114 € | 228 € | 138 € |
2008 | 4 % | 154 € | 308 € | 185 € |
Quellen: →http://www.riester-rente.net/riester-rente/foerderung.htm, →www.ruerup-riester-rente.net/riesterfoerderung.html |
Die Kinderzulage bekommt die Person, die auch das Kindergeld bezieht. Bei zusammenlebenden Ehegatten wird sie automatisch auf den Vorsorgevertrag der Frau überwiesen, kann aber auch dem des Mannes gutgeschrieben werden, wenn beide Partner schriftlich einwilligen. Zusätzlich lassen sich die Aufwendungen zur Riester-Rente steuerlich als Sonderausgaben geltend machen. Die Riesterförderung mit den staatlichen Zulagen und Steuerfreibeträgen können alle gesetzlich rentenversicherten Arbeitnehmer und alle Beamten, außerdem alle Soldaten und Zivildienstleistende, Eltern im Erziehungsurlaub, freiwillig gesetzlich Rentenversicherte und Arbeitslose bekommen.
Nach Angaben der Deutschen Bundesbank wird ab 2009 die Förderung der privaten Altersvorsorge zu Steuerausfällen von 12,5 Mrd. € führen (etwa 2% der Beiträge) (→EnK08). Die Subventionierung der Förderung privater Vorsorge wird auf dem Wege indirekter Steuern auch von den Geringverdienern mitfinanziert, die die Möglichkeit subventionierter Ersparnisbildung gar nicht nutzen können (→Sch07a)
Riester-Zulagen sind kein „Geschenk” des Staates, sondern dazu da, doppelte Besteuerung zu verringern (→wiki6), denn Leistungen aus der Riester-Rente sind in der Auszahlungsphase voll einkommensteuerpflichtig (siehe nachgelagerte Rentenbesteuerung oben). Die scheinbaren Vorteile aus der Förderung der Riester-Renten werden also im Rentenalter wieder „eingesammelt”. Da die Beiträge in der Einzahlungsphase stets sozialversicherungspflichtig sind, kommt es in der Auszahlungsphase für freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung sogar zur Doppelverbeitragung in der Krankenversicherung und Pflegeversicherung.
Riester-Renten sind ein Verlustgeschäft vor allem für Geringverdiener, aber auch für längere Zeit Beschäftigungslose, da sie nicht der Grundsicherung zugeschlagen, sondern mit dieser verrechnet werden (→wiki6). Sören Patzig (Vorstandsvorsitzender des Cottbuser Finanzdienstleisters AFA AG): „95% der Deutschen wissen nicht, was sie abgeschlossen haben und wie viel ihnen davon im Alter bleibt.” (→AFA08).
Jeder Beitragszahler steht angesichts der abgesenkten Rentenniveaus vor der Frage, wie er im Alter seinen Lebensstandard aufrecht erhalten will: es muss etwas zusätzlich getan werden. Wer schon einen Riester-Vertrag hat, der sollte diesen auf keinen Fall auflösen. Längerfristige Versicherungsverträge sollte man niemals in der Frühphase kündigen, da die Abschluss- und Vertriebskosten dem Vertrag in den ersten Jahren belastet werden (bei Riester-Verträgen sind es per Gesetz seit 2005 die ersten 5 Jahre) und daher bei früher Kündigung nur einen Bruchteil der eingezahlten Beträge erbringen. Es wurden aber bis Ende 2007 950.000 Riester-Verträge aufgelöst (→Loo08)!
Solange es unser angestrebtes Überobligatorium noch nicht gibt — also die Möglichkeit, innerhalb der GRV zusätzlich (zwecks zusätzlicher Altersvorsorge) einzuzahlen — ist auch jedem noch nicht vor dem Ruhestand stehenden und nicht von der späteren Grundsicherung bedrohten Versicherten anzuraten, zur Vermeidung der drohenden Altersarmut beim zusätzlichen Sparen auch einen Riester-Vertrag zu erwägen, wenn er sich der Restrisiken bewusst ist. Dies wäre eine rationale Entscheidung innerhalb des vorhandenen Riestersystems. Das hat nichts damit zu tun, dass die Riester-Reform als Ganzes (Riester-Rente, Riester-Faktor, usw.) abzulehnen sein wird.
Das Säulenmodell wirkt wohl deshalb so plakativ, „weil es sich auf mehreren Säulen sicherer steht”, also sich die unterschiedlichen Risiken irgendwie ausgleichen sollen. Dazu müssten diese Risiken aber auf unterschiedlichen Gebieten liegen. Hat ein Verfahren alle Risiken des anderen Verfahrens auch, aber darüber hinaus noch eigene Risiken, ist das Gesamtrisiko des Mehrsäulensystems höher als das Risiko nur des risikoärmeren Verfahrens.
Vergleich der Risiken | |
---|---|
Umlageverfahren (UV) | Kapitaldeckungsverfahren (KDV) |
beide:
Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung
(Lohnsumme, Kapitalrenditen) |
|
beide:
Abhängigkeit von der demografischen Entwicklung
(die Beitragszahler müssen in jedem Fall einen
größeren Teil ihrer Wertschöpfung für
die aktuellen Rentner bereit stellen) |
|
beide:
Langlebigkeitsrisiko*
(medizinischer Trend, der nur ungenau vorhersagbar ist) |
|
Zinsrisiko* | |
Wiederanlage-Risiko* | |
Kursrisiko* | |
Wechselkursrisiko (bei ausländischen Anlagen) | |
Volatilitätsrisiko* (der Kurs am Tag des Renteneintritts bestimmt die Rentenhöhe) | |
Inflationsrisiko* | |
Risiko der allgemeinen Lebensstandard-Entwicklung nach dem Renteneintritt (bei bleibender Rentenhöhe) | |
Eigene Zusammenstellung. *) Ausdrücklich aufgeführt vom Bankenverband: →bkv07. |
Weshalb das Inflationsrisiko und das der Lebensstandard-Entwicklung nach dem Renteneintritt nicht auch für das UV bestehen, bedarf an dieser Stelle vielleicht der Erläuterung: die Umrechnung der Arbeitsentgelte in Entgeltpunkte erfolgt mit Hilfe der Durchschnittslöhne des gleichen Jahres — dadurch wird der Wert quasi inflationssicher und dynamisiert aufbewahrt und beim Renteneintritt anhand der dann geltenden Durchschnittslöhne in eine Rentenhöhe zurückgerechnet. Durch die jährliche Rentenanpassung anhand der Rentenanpassungsformel wird (von deren dämpfenden Faktoren und dem möglichen Sinken der Lohnquote abgesehen) auch in der Ruhestandsphase eine verzögerte fortlaufende Anpassung an den allgemeinen Lebensstandard bewirkt.
Staatliche Systeme berücksichtigen also das Inflationsrisiko und das Risiko der Unterschätzung künftiger Einkommensentwicklung, auch während der Ruhestandsphase. Private Systeme haben dagegen solche Risiken:
Kaufkraftverlust oder relativer Einkommensverlust bei privater Rente | ||||
---|---|---|---|---|
Jahr | bei jährlicher Inflationsrate von | |||
1% | 2% | 3% | 4% | |
0 | 0,0% | 0,0% | 0,0% | 0,0% |
5 | 4,9% | 9,4% | 13,7% | 17,8% |
10 | 9,5% | 18,0% | 25,6% | 32,4% |
15 | 13,9% | 25,7% | 35,8% | 44,5% |
20 | 18,0% | 32,7% | 44,6% | 54,4% |
Quelle: Winfried Schmähl: →Soziale Sicherung im Lebenslauf ... |
Ein Kaufkraftverlust von über 25% in 15 Jahren bei einer jährlichen Inflationsrate von 2% steigert sich bei einem zusätzlichen Realeinkommenswachstum von 1% pro Jahr zu einem „Rentenverlust” von ca. 36%. Dieser Aspekt wird in der Debatte über die Privatisierung von Altersrenten oft vollständig übersehen (→Sch07a)!
Absicherung sozialer Risiken und Tatbestände für die Rente nach gegenwärtigen Gesetzen: | ||
---|---|---|
Einkommensverlust oder -verringerung aufgrund von | Rentenansprüche nach dem UV | Rentenansprüche nach dem KDV |
Krankheit | Beiträge der Arbeitgeber (max. 6 Wochen) bzw. Krankenversicherung | |
Invalidität | im Rentensystem | (wenn versichert) |
Arbeitslosigkeit | Beiträge durch Arbeitslosenversicherung (zunächst proportional zum letzten Entgelt, später einheitliches ALG II) | |
Weiterbildung | ||
Arbeitszeitverkürzung | ||
Kapitalmarktrisiken | ||
Inflation | weitgehend abgesichert (Entgeltpunkte) | (in betriebl. Vorsorge begrenzt berücksichtigt, aber i.Allg. sinkt Rente real) |
Firmeninsolvenzen | ja | (bei betrieblicher Vorsorge) |
Tod des Ehegatten | ja | (wenn versichert) |
Scheidung | Teilung der Ansprüche | Teilung der Ansprüche |
nicht abgesicherte Selbstständigkeit | ja (wenn Einkommen hoch genug) | |
Kindererziehungszeiten | Beiträge durch den Staat | |
Pflegezeiten für Angehörige | Beiträge durch die Pflegeversicherung | |
Langlebigkeit | ja | (nur wenn in Annuität umge- wandelt oder versichert) |
Entwicklung der Realeinkommen | (nach Rentenanpassungsformel) | |
politische Entscheidungen | ||
Quelle: →Sch07a, 2007 |
Unser erster Bundesfinanzminister, Fritz Schäffer (CSU), sammelte in dieser Eigenschaft bis 1957 etwa acht Mrd. DM an Bar-Reserven an, um, wie er sagte, „Rücklagen für ungewisse Besatzungskosten und die Ansparung der Erstausstattung der Bundeswehr” zu bilden (→Korth: „Staatsverschuldung...”, 2004). Als ihm Volkswirte später erklärten, dass er damit nicht „gespart”, sondern der Wirtschaft Liquidität entzogen hatte, war er sehr erstaunt.
Der moderne Fritz Schäffer sammelt keine Bar-Reserven mehr, sondern Wertpapiere, Fondsanteile, Hypotheken usw., um den Auswirkungen der Alterung der Bevölkerung ein vermeintliches Schnippchen zu schlagen. Einzeln und privat mag ihm das sogar gelingen. Eine Tatsache bleibt aber damals wie heute: eine Volkswirtschaft als Ganzes kann nicht sparen (→Fla00). In einer geschlossenen Volkswirtschaft stehen den angesammelten Vermögen betragsmäßig genau gleich hohe aufgelaufene Schulden gegenüber, verteilt auf Staat, Wirtschaft und Privatpersonen — da ist die Buchhaltung bzw. die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung unerbittlich.
Könnten nicht wenigstens die Privatpersonen für ihren Lebensabend sparen, indem sie Schuldtitel von Staat und Wirtschaft erwerben? Ja, aber was sie ersparen ist nicht Geld, sondern die Wirtschaftsleistung, welche die Schuldner bei Fälligkeit aufbringen können. Die Gesamthöhe dieser Wirtschaftsleistungen ist begrenzt nach der sogen. Mackenroth-These (Prof. Gerhard Mackenroth: Soziologe, Bevölkerungswissenschaftler, Statistiker, 1952):
„Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller
Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden
Periode gedeckt werden muss.
Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben,
aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine
Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von
Einkommensteilen von Periode zu Periode, kein
„Sparen” im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt
einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als
Quelle für den Sozialaufwand. Das ist auch nicht eine
besondere Tücke oder Ungunst unserer Zeit, die von der Hand in den
Mund lebt, sondern das ist immer so gewesen und kann nie anders sein.
Kapitalansammlungsverfahren und Umlageverfahren sind
also der Sache nach gar nicht so verschieden.”
(→wiki2)
„Volkswirtschaftlich gibt
es nämlich keine Ansammlung eines Konsumfonds, der bei Bedarf
konsumiert werden kann und dann gewissermaßen zum
Volkseinkommen einer späteren Periode eine
willkommene Zugabe wäre ... Jede Fondsansammlung wird in
der Geldwirtschaft zur volkswirtschaftlichen
Kapitalbildung, einmal gebildetes Kapital kann man nicht mehr
verzehren.”
(→EKD,
Her)
Damit daraus ein allgemeingültiges Mackenroth-Theorem wird, sind zwei Ergänzungen nötig: „aus dem laufenden Volkseinkommen” ist zu ergänzen durch „oder den vorproduzierten Gütern bzw. den vorgezogenen Investitionen”, und das Theorem ist zu begrenzen auf geschlossene Volkswirtschaften. Der letzte Punkt besagt immerhin, dass es zumindest im Weltmaßstab keine andere Quelle geben kann. Der erste Punkt bedeutet, dass Dienstleistungen und verderbliche Lebensmittel nur aus dem laufenden Angebot stammen können, ansonsten ist Lagern die einzige theoretisch mögliche Alternative. „Es gibt nur zwei — nicht mehr — Wege” des intertemporalen Einkommenstransfers: „Die Bürger können Konsumgüter physisch lagern, oder sie können sich einen Anspruch auf zukünftige Produktion sichern.” (→Rop03, Seite 216) Beim Lagern von Produkten (über Jahrzehnte!) sind auch Schwund, Korrosion, technisches Veralten und Unglücksfälle (Feuer usw.) abzuziehen. Vorgezogene Investitionen können helfen, wenn anschließend Ersatzinvestitionen unterbleiben (Anlagen und Maschinen „verkommen lassen”).
Somit kann festhalten werden, dass das KDV nur dann den Konsequenzen der demografischen Entwicklung entgeht, wenn das Kapital in Ländern angelegt wird, die eine umgekehrte demografische Entwicklung haben. Die folgende Tabelle zeigt, dass selbst in den letzten Winkeln der Welt ein Anstieg des Altenquotienten erwartet wird:
Entwicklung der Bevölkerungszahlen und der Altersstruktur auf der Welt | |||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Land | 0-14 Jahre | 15-64 Jahre | 65+ Jahre | Durchschnittsalter | Zuwachsrate | Altenquotient 2008 ° | Bevölk. 2008 ¹ | Bevölk. 2050 ² | Altenquotient 2050 ³ | ||
Japan | 13,7% | 64,7% | 21,6% | 43,8 Jahre | –0,139% | 33,38% | 127 Mio. | 94 Mio. | 74%
![]() |
||
Deutschland | 13,8% | 66,2% | 20,0% | 43,3 Jahre | –0,044% | 30,21% | 82 Mio. | 74 Mio. | 55,8% | ||
Italien | 13,6% | 66,3% | 20,0% | 42,9 Jahre | –0,019% | 30,17% | 58 Mio. | 50 Mio. | 66,0% | ||
Spanien | 14,4% | 67,6% | 17,9% | 40,7 Jahre | 0,096% | 26,48% | 40 Mio. | 36 Mio. | 67,5% | ||
Frankreich | 18,6% | 65,2% | 16,3% | 39,2 Jahre | 0,574% | 25,00% | 64 Mio. | 70 Mio. | 47,9% | ||
Großbritannien | 16,9% | 67,1% | 16,0% | 39,9 Jahre | 0,276% | 23,85% | 61 Mio. | 64 Mio. | 45,3% | ||
Ukraine | 13,9% | 70,0% | 16,1% | 39,4 Jahre | –0,651% | 23,00% | 46 Mio. | 34 Mio. | 46% ![]() |
||
Kanada | 16,3% | 68,8% | 14,9% | 40,1 Jahre | 0,830% | 21,66% | 33 Mio. | 41 Mio. | 44% ![]() |
||
Russland | 14,6% | 71,2% | 14,1% | 38,3 Jahre | –0,474% | 19,80% | 141 Mio. | 109 Mio. | 39% ![]() |
||
USA | 20,1% | 67,1% | 12,7% | 36,7 Jahre | 0,883% | 18,93% | 304 Mio. | 420 Mio. | 34% ![]() |
||
Polen | 15,2% | 71,4% | 13,4% | 37,6 Jahre | –0,045% | 18,77% | 38 Mio. | 32 Mio. | 51,0% | ||
Irland | 20,9% | 67,3% | 11,8% | 34,6 Jahre | 1,133% | 17,53% | 4 Mio. | 5 Mio. | 45,3% | ||
Welt | 27,3% | 65,1% | 7,6% | 28,1 Jahre | 1,188% | 11,67% | 11,67% | 6692 Mio. | 9539 Mio. | 25% ![]() |
25% ![]() |
China | 20,1% | 71,9% | 8,0% | 33,6 Jahre | 0,629% | 11,12% | 1332 Mio. | 1424 Mio. | 39% ![]() |
||
Türkei | 24,4% | 68,6% | 7,0% | 29,0 Jahre | 1,013% | 10,20% | 72 Mio. | 86 Mio. | 29% ![]() |
||
Indonesien | 28,4% | 65,7% | 5,8% | 27,2 Jahre | 1,175% | 9,50% | 238 Mio. | 313 Mio. | 29% ![]() |
||
Mexiko | 29,6% | 64,3% | 6,1% | 26,0 Jahre | 1,142% | 9,49% | 110 Mio. | 148 Mio. | 34% ![]() |
||
Brasilien | 27,0% | 66,8% | 6,3% | 28,3 Jahre | 1,228% | 9,43% | 192 Mio. | 261 Mio. | 31% ![]() |
||
Südafrika | 29,2% | 65,5% | 5,3% | 24,2 Jahre | 0,828% | 8,91% | 44 Mio. | 49 Mio. | 14% ![]() |
||
Vietnam | 25,6% | 68,6% | 5,8% | 26,9 Jahre | 0,990% | 8,45% | 86 Mio. | 108 Mio. | 30% ![]() |
||
Indien | 31,5% | 63,3% | 5,2% | 25,1 Jahre | 1,578% | 8,21% | 1151 Mio. | 1808 Mio. | 21% ![]() |
||
Ägypten | 31,8% | 63,5% | 4,7% | 24,5 Jahre | 1,682% | 7,40% | 82 Mio. | 128 Mio. | 21% ![]() |
||
Pakistan | 37,8% | 58,0% | 4,2% | 20,5 Jahre | 1,999% | 7,24% | 168 Mio. | 295 Mio. | 16% ![]() |
||
Philippinen | 35,5% | 60,4% | 4,1% | 22,3 Jahre | 1,991% | 6,79% | 93 Mio. | 172 Mio. | 19% ![]() |
||
Bangladesch | 33,4% | 63,1% | 3,5% | 22,8 Jahre | 2,022% | 5,55% | 154 Mio. | 280 Mio. | 17% ![]() |
||
Nigeria | 41,7% | 55,3% | 3,0% | 18,9 Jahre | 2,025% | 5,42% | 138 Mio. | 264 Mio. | 9% ![]() |
||
Äthiopien | 46,0% | 51,4% | 2,7% | 16,9 Jahre | 3,212% | 5,25% | 79 Mio. | 278 Mio. | 9% ![]() |
||
Angola | 43,6% | 53,6% | 2,7% | 18,0 Jahre | 2,136% | 5,04% | 13 Mio. | 25 Mio. | 6% ![]() |
||
Eigene Zusammenstellung aus den Quellen →The World Factbook° (2008), →Current world population¹ (2000–2008), →Historic, current and future population² (2000–2008), →Population projections³ (2007), →Old-age populationª (medium variant) (2006) |
Der →Report des IMK 2009 beleuchtet diese und andere gesamtwirtschaftliche Wirkungen des KDV anhand der Riester-Rente. Kernaussage: der gewählte Übergang zu verstärkter Kapitaldeckung erzeugt Wachstumsprobleme und führt zu ungenügender Sicherung im Alter, ist also zur Kompensation demografischer Belastungen ungeeignet (die jeweils Jungen müssen immer für die Rentenzahlungen eines Jahres aufkommen — per Sozialabgaben oder per Zinsen und Dividenden — egal welches Rentensystem gilt). Verstärkte private Sparanstrengungen mit realen Kürzungen bei den Rentenzahlungen haben zur Dämpfung des realen Konsums um fast 1,5% geführt, die nicht durch höhere Unternehmensinvestitionen auszugleichen waren: das dämpfte das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum; das reale BIP stieg 2002–2007 um 1% weniger als ohne Riesterreform. Die induzierte Wachstumsverschlechterung (so auch CESifo in →KaM08) hat die Einsparungen bei den Ausgaben der GRV wieder zunichte gemacht (zu Lasten der Gebietskörperschaften und anderer Sozialversicherungszweige). Auch die private Investitionstätigkeit litt unter dem Nachfragemangel. Durch die Rentenreformen wird die Gefahr von Altersarmut zunehmen. Ein volles Erwerbsleben zu 50% des Durchschnittseinkommens reicht heute nur zu 59,2% des früheren durchschnittlichen Nettoeinkommens, während es im OECD-Durchschnitt 82,1% sind. Viele glauben fälschlich, dass sie durch Kombination aus GRV und Riestersparen noch ein akzeptables Rentenniveau erreichen werden — dazu darf das gesetzliche Rentenniveau aber nicht so stark abgesenkt werden! Das System der GRV als Lebensstandardsicherung wurde „bewusst geschwächt, um so die Erwerbstätigen zum Aufbau eines individuellen Finanzkapitalstocks” zu zwingen. Es wäre effizienter gewesen, die Stärken der GRV zu erhalten und das UV zu unterstützen.
Prof. Winfried Schmähl (→SWR08): „Der partielle Ersatz der umlagefinanzierten Renten durch kapitalfundierte private Renten macht insgesamt die Alterssicherung teurer. Und zwar nicht nur teurer, weil mehr alte Menschen da sind und die Lebenserwartung steigt, das betrifft also auch kapitalfundierte private wie auch umlagefinanzierte Renten. Nein. Dieser Umstieg von dem einen zum anderen System erhöht insgesamt den Vorsorgebedarf bei gleichem Absicherungsniveau verglichen mit dem, was sonst in der umlagefinanzierten Rentenversicherung an Beiträgen aufzubringen wären.”
Wieso das? — Ein kleines Beispiel erklärt das Prinzip: Die Eltern eines Landwirts ziehen, wie seit Generationen üblich, nach Erreichen ihrer Altersgrenze auf das Altenteil, um fortan von ihrem Sohn versorgt zu werden. Als Landwirt ohne Kinder muss er die Altersversorgung für sich und seine Frau über einen Finanzdienstleister zusammensparen. Der Wechsel des Vorsorgeverfahrens erzwingt eine doppelte Alterssicherungsbelastung.
Das soll zuerst am hypothetischen Vollumstieg vom UV auf das KDV erklärt werden. Die Generation der Beitragszahler muss dann nicht nur ihr Deckungskapital für das KDV ansparen, sondern zu Lebzeiten der vorangegangenen Generation (jetzt Rentnergeneration) auch das UV durch Beiträge in Funktion halten. Wegen dieser Doppelbelastung (ohne Kostenbeteiligung der Arbeitgeber, wie nämlich bei der Riester-Rente, ist es für Arbeitnehmer sogar eine Dreifachbelastung) spricht Rürup von der „Sandwich-Generation” (→Rue06), weil sie von zwei Seiten dem Druck ausgesetzt ist. Ich nenne sie „Opfergeneration”, weil sie insgesamt keinen Vorteil aus dem Umstieg zieht, sondern nur als Opfer für das Ziel KDV dient. Prof. Hans-Werner Sinn bezifferte 1999 (→Sin99, →SiW00) die Extra-Belastung (den Barwert bereits aufgelaufener Anwartschaften) auf 10 bis 12 Billionen DM (heute etwa 6 bis 7 Billionen € — etwa das 20- bis 23-fache des Bundeshaushalts 2009 mit 303,3 Mrd. € →Ergebnis Haushalt 2009) !. Selbst der eingefleischte Neoliberale Sinn lehnte daraufhin einen Umstieg ab: „Da der Umstieg in die Kapitaldeckung ohnehin keine längerfristigen Effizienzgewinne ermöglicht, kann man dieses Szenario getrost ad acta legen.” (→Sin99)
Wie verhält es sich beim Umstieg in Etappen über einen längeren Zeitraum? Beim Umstieg in drei Generationen wäre jede der Opfergenerationen mit etwa einem Drittel, beim Umstieg in fünf Generationen mit etwa einem Fünftel dessen belastet (ich schreibe „etwa”, weil bei so langen Zeiträumen auch Zinseszinseffekte eine Rolle spielen). Drei bis fünf Generationen müssten es wohl sein für eine erträgliche Belastung, wie uns die Riester-Rente lehrt (die wohl mal als Vollumstieg in 40 Jahren geplant war: „Denn ein vollständiger Übergang wäre zwangsweise mit einer mindestens 40-jährigen Übergangsphase verbunden.” Es müssten „die Beitragszahler innerhalb dieser Übergangsphase eine Doppelbelastung in Kauf nehmen ...” →RuS01, S. 274). Das Riester-System wirkte zu heftig und schlug sich in mehreren Nullrunden und weiterem Nachholbedarf nieder. Eine Alternative wäre: drei bis fünf Opfergenerationen, oder etwa 90 bis 150 Jahre Aufopferung für das Ziel KDV, von dem die Betroffenen selbst nichts haben! Selbst wenn das KDV einen Vorteil gegenüber dem UV haben sollte, wird es diesen erst danach ausspielen können.
Wie löste das die Riester-Reform? Nehmen wir an, wir wollten von einer GRV-Rente mit einem Beitragssatz von 20% der Bruttoentgelte teilweise umsteigen auf eine private Kapital gedeckte Rente, deren Beitragssatz 4% der Bruttoentgelte beträgt. Um wieviel würde sich dadurch der Beitragssatz zur GRV verringern? Antwort: überhaupt nicht. Es sind immer noch die gleichen alten Rentenanwartschaften aus der GRV aufzubringen wie vorher! Die sind ja noch nicht geringer geworden, sondern werden es erst in etwa einer Generation sein. Es gab zwei Lösungsalternativen nach der Standard-Lehrbuch-Weisheit. Die erste bedeutet hier: die Übergangsgeneration der Beitragszahler zahlt zwar zusätzlich 4% des Bruttoentgelts zum Ansparen der Riester-Rente, aber weiterhin 20% in die GRV, wobei für ein Fünftel dieser Beiträge (entsprechend der Relation der 4% im Verhältnis zu 20%) keine Renten-Anwartschaften erwachsen (sonst wäre es kein Umstieg). Eine zweite Alternative sieht vor, dass ein Fünftel der Beiträge aus Steuern finanziert wird. Dazu wäre ein Anstieg der Mehrwertsteuer um etwa 4 Prozentpunkte nötig.
Im Fall der Riester-Rente wird die Lage noch kompliziert durch die Tatsache, dass die (ursprünglich als obligatorisch vorgesehene) Riester-Rente auf freiwilliger Basis abgeschlossen wird. Die GRV weiß also gar nicht, wer zu wieviel Prozent auf die Privatrente umsteigt. Statt also nur den Riester-Sparern ihre GRV-Anwartschaften zu kürzen — was vermutlich nicht verfassungskonform gewesen wäre — hat sich Riester bzw. sein Ministerium eine andere Lösung ausgedacht: es wird allen GRV-Beitragszahlern die Renten-Anwartschaft und darüber hinaus auch noch allen Rentnern die Rentenhöhe über den Riester-Faktor in der Rentenanpassungsformel mittelfristig von netto 70% des bisherigen Lebensstandard-Niveaus auf etwa 67% gekürzt. Dies hat das Bundessozialgericht erstaunlicherweise als verfassungsgemäß eingestuft (→BSG09), weil es wohl den Umstiegseffekt und Demografie-Effekte (die über den Nachhaltigkeitsfaktor das Rentenniveau weiter senkten) in der Formel nicht klar auseinander halten konnte.
Für den riesternden Arbeitnehmer, der 10% des Bruttoentgelts als Arbeitnehmerbeitrag an die GRV zu entrichten hat und, da es bei der Riester-Rente keinen Arbeitgeberbeitrag gibt, volle 4% seines Bruttoentgelts für die Riester-Rente, fallen nun 40% höhere Kosten an, um genau die Rente zu erhalten, die er ohne die Riester-Reform sowieso erhalten hätte! Für alle anderen — nicht riesternde Beitragszahler ebenso wie alle Rentner — wird die Rente/der Rentenwert um mehr als 4%* niedriger ausfallen als vor der Reform (dies wirkt sich für alle Beitragszahler und Rentner als dauerhafte Absenkung aus). Darauf geht der größte Teil (0,6% jährlich →BSG09) der relativen Rentenverluste der letzten Jahre und der Nullrunden zurück, und nur ein Rest (0,5% in 2005 →BSG09) beruht auf Demografie-bedingten Renten-Absenkungen (Nachhaltigkeitsfaktor). Bis 2030 sollen es insgesamt sogar 6% zu 2,2% sein (→KNF03)!
*) 4% von 70% = 2,8 Prozentpunkte; Nettoniveau-Reduzierung: 70%-67% = 3 Prozentpunkte ≈ 4,3%
% vom | Zu den Kosten des Teilumstiegs vom UV zum KDV durch die Riester-Reform | % v. Nettoniveau | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Brutto- entgelt |
vor Ab- senkg.³ |
nach Ab- senkg.³ |
|||||
— | — | —70 % | |||||
Aufstockung durch Riester-Rente | |||||||
— | |||||||
22 %— | —70 % | —67 % | |||||
zus. Arbg.ant. vorher | 18 Mrd.€ zus. Bun- deszusch.¹ nachher |
zus. Rente aus GRV vorher |
zus. Rente aus Bun- deszuschuss nachher |
||||
20 %— | zus. Arbn.ant. vorher | ||||||
Arbeitgeber-Beiträge | Rente aus GRV-Beiträgen nach der Riester-Reform |
||||||
18 %— | |||||||
16 %— | |||||||
14 %— | |||||||
12 %— | |||||||
10 %— | |||||||
Arbeitnehmer-Beiträge | |||||||
8 %— | |||||||
6 %— | |||||||
4 %— | ——ca. 1 Mrd. € Riester-Zulagen²—— | ||||||
2 %— | Riester-Beiträge | ||||||
0 %— | |||||||
Beiträge private Versicherung | Beiträge gesetzliche Versicherung | GRV-Renten und Riester-Renten | |||||
Eigene Darstellung | ¹)
zus.Bundeszusch.+Erhöh.betr. →SaR08 (2 Mrd. € ≈ 0,2% Beitragssatz →Sch08c) ²) Riester-Zulagen 2007 laut →Rie08a |
³)
Rentenniveau-Absenkung durch den Riester-Faktor
inkl. noch ausstehender Stufen der „Riester-Treppe“ (ohne die Absenkung durch den Nachhaltigkeitsfaktor) |
Die dann umgesetzte Lösung verdeckt diesen Zusammenhang weiter dadurch, dass ohne den zusätzlichen Bundeszuschuss die GRV-Beitragssätze mittelfristig um fast 2 Prozentpunkte höher ausfallen würden. Den bezahlen die Konsumenten aus der Mehrwertsteuer und (z.B. beim Tanken) aus der Ökosteuer. Nur dadurch sinken die Extrakosten der Riester-Sparer von 40% auf etwa 27% (4+10=14% / 11% Arbeitnehmeranteil). Es bleibt dabei, dass der Teilumstieg eine Opfergeneration erfordert, die selbst keinen absoluten Vorteil aus dem Umstieg ziehen kann.
Das Problem der Umstiegskosten ist in der Finanzwissenschaft wohlbekannt. Lange wurde gestritten, ob es einen sogen. Pareto-verbessernden Umstieg geben kann. Pareto-optimal nennt man einen Zustand, wenn sich keine Generation durch einen Systemwechsel verbesssern kann, ohne dass eine oder mehrere Generationen benachteiligt würden. Seit 1995–1998 weiß man, dass es keinen Pareto-verbessernden Übergang geben kann (→Wre98, →Stk04, →Thu05, →Tof06, →BaD08), man also mindestens eine Opfergeneration braucht. Axel Börsch-Supans Papier (→Boe00) ist kein Gegenbeweis, weil es unrealistisch hohe Renditen des KDV voraussetzt. Aus volkswirtschaftlichen Gründen ist langfristig eine Rendite vom Dreifachen der Wachstumsrate der Wirtschaft unmöglich.
Von einem Systemwechsel sei kein Nettogewinn zu erwarten, schreibt die Bundesbank in einem Monatsbericht 2008 (→Hag08). Jochen Pimpertz vom Institut der Deutschen Wirtschaft: „Wenn man die anfallenden Kosten betrachtet, ist ein Umstieg wenig reizvoll” (→Hag08). Prof. Rürup damals: „Dies bedeutet, dass” diese Belastung „einen (allenfalls in der Theorie vorteilhaften) Systemwechsel zum Kapitaldeckungsverfahren verbietet” (→Rue95). Prof. Heiner Ganßmann (→Gan02): die ökonomischen Bedingungen der Altersversorgung werden nicht verstanden. „Wäre der Gesamtvorgang transparent, würde sich keine Generation freiwillig aus dem Lock-In des Umlagesystems bewegen.”
Die meisten volkswirtschaftlichen Verteilungsprozesse lassen sich auch umkehren. Mir ist für die schnelle Rückwälzung der Effekte der Riester-Reform noch keine gangbare Lösung eingefallen. Die argentinische Lösung (→Nie09), nämlich alle Kapital gedeckten Verträge durch den Staat (zwangsweise) einzusammeln und gegen Ansprüche aus dem UV tauschen zu lassen, wäre hier sicher nicht verfassungskonform.
„Wenn man den Krug erst zerschlägt, dann ist es leicht zu beweisen, dass man nicht daraus trinken kann.”
Wilhelm Gerloff (1880–1954, Finanz- und Sozialwissenschaftler), 1932 (zitiert in →Sch01)
Eine Reihe von Maßnahmen und Entwicklungen hat zu einer allmählichen Austrocknung der GRV geführt. Es gibt gute Gründe, die finanzielle Basis der GRV wieder zu stärken und zu erweitern.
Die Entgeltgrenze, bis zu der eine versicherungsfreie geringfügige Beschäftigung vorliegt, liegt bei 400 € monatlich (→Minijobs). Diese Höhe entscheidet, ob die Beschäftigung sozialversicherungsfrei ist. Es gibt: a) geringfügig entlohnte Minijobs, b) Minijobs in Privathaushalten, c) kurzfristige Minijobs. Für geringfügig entlohnte Minijobs zahlen Arbeitgeber pauschal 15% an die GRV (erbringt für einen Arbeitsmonat monatlichen Rentenanspruch von etwa 0,25 € →Pauschalbeiträge). Siehe auch →Aufstockung der GRV zur Erlangung vollwertiger Beitragszeiten.
Der Anteil der Einzahler in die Solidarsysteme sinkt, „unten” fällt das immer größere Heer der Niedrigverdiener aus dem Kreis der Einzahler heraus, es gibt immer mehr Freiberufler und Selbstständige, und die Löhne der Einzahler steigen wesentlich geringer als die Gesamteinnahmen der deutschen Bevölkerung (→Ber08). Sinkende Rentenniveaus werden durch Rückgang von Normalerwerbsbiografien und Zunahme selbstständiger Tätigkeit verschärft, aber die Selbstständigen-Armutsquote ist höher als die von Erwerbstätigen insgesamt (→StK04).
Interview mit „Rentenpapst” Winfried Schmähl (→Sch00a): Es ist sinnvoll, wenn jeder Erwerbstätige obligatorisch in ein Alterssicherungssystem einbezogen wird, auch Selbstständige. Bei den Beamten ist das wohl nur machbar, wenn man den Beamtenstatus ganz abschafft. Im 5. Altenbericht der Bundesregierung (→Sch05): Einbeziehung aller bislang nicht obligatorisch abgesicherten Selbstständigen (zur Vermeidung von Altersarmut und Belastung des Staates durch die Grundsicherung). Ähnlich auch der Sachverständigenrat (→SaR08).
Franz Ruland (→NRS08): 2–3 Millionen Selbstständige sind ohne obligatorische Alterssicherung. Vorschlag: Solo-Selbstständige so lange versicherungspflichtig machen, als ihre Rentenanwartschaft 30 Entgeltpunkte nicht überschreitet (ergäbe knapp 800 € Rente). Einbeziehung der Selbstständigen würde auch Verzicht auf die bisher notwendige Prüfung auf Scheinselbstständigkeit bedeuten (→VdK06). Scheinselbstständigkeit bzw. Selbstständigkeit in Form von „Ein-Mann-Unternehmen” (Ich-AGs) führt zu Mindereinnahmen der GRV. Langfristig alle Erwerbstätigen in die GRV einzubeziehen: zuerst die geringfügig Beschäftigten, dann Selbstständige ohne adäquate Absicherung (→VdK08). Eine Studie der Prognos AG für die Hans Böckler Stiftung zeigt: Durch Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen in die GRV wäre eine geringere Belastung älterer Beitragszahler und von Rentnern möglich: fast 10 Geburtsjahrgänge würden von Umverteilungsverlierern zu Gewinnern (→Eit01). Verlierer: vornehmlich Beamte.
Eine Ausweitung des Versichertenkreises bewirkt immer nur eine vorübergehende Entlastung des Rentensytems (→Rue06). Die Einbeziehung Selbstständiger in die GRV wäre zwar mit einer Senkung des Beitragssatzes verbunden – nach 30 Jahren würde sich der Beitragssatz dem vorherigen Pfad wieder nähern. Die Befriedigung von Schutzbedürfnissen (Armutsrisiko von Solo-Selbstständigen) kann ein Grund für eine Ausweitung sein. Auch durch Anhebung oder Abschaffung der Bemessungsgrenze lässt sich ein finanzieller Schub für die GRV von etwa 15 bis 30 Jahren erzeugen, ehe auch dem entsprechende Rentenansprüche gegenüber stehen.
Maßnahmenkatalog für Erweiterung und gegen Austrocknung der Basis der GRV: | ||
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Zustand, Tatsache | Maßnahme | Wirkung |
Durch die Bemessungsgrenze wird der GRV eine Quelle aus dem Kreis der Versicherten vorenthalten | Anhebung oder Abschaffung der Bemessungsgrenze | Ein finanzieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis sich der höhere Rentenanspruch voll auswirkt |
Solo-Selbstständige verdienen im Durchschnitt wenig; Hilfsbedürftigkeit im Alter | Obligatorische Versicherung für Solo-Selbstständige | Verschlechterung für die GRV, aber allmähliche Entlastung des Staates bei der Grundsicherung; erhöhte Verwaltungskosten: Prüfung von Formularangaben |
Sinkende Lohnquote schmälert Basis; Selbstständige verdienen im Durchschnitt viel | Obligatorische Versicherung auch für alle nicht berufsständisch abgesicherten Selbstständigen | sinkende Lohnquotenabhängigkeit; finanzieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis durch die längere Lebenserwartung die Lage der GRV sogar schlechter wird; kein Problem „Scheinselbstständigkeit” mehr |
Sinkende Lohnquote schmälert Basis; Beamte verdienen im Durchschnitt mehr als Arbeiter/Angestellte | Obligatorische Versicherung in der GRV auch für alle Beamten | sinkende Lohnquotenabhängigkeit; finanzieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis durch die längere Lebenserwartung die Lage der GRV sogar schlechter wird; Vereinheitlichung des Ruhestandsrechts; beamten- und verfassungsrechtliche Probleme |
Sinkende Lohnquote schmälert Basis, der Anteil anderer Einkommen nimmt hingegen zu | Prozentuale Abgabenpflicht an die GRV auf alle steuerpflichtigen Einkommen | Ende der Lohnquotenabhängigkeit; Verwaltungsaufwand in der Finanzverwaltung |
Versicherungsfreie Tätigkeiten und niedrige Löhne schwächen die GRV und die Versicherten | Eindämmung versicherungsfreier Tätigkeiten und gesetzliche Mindestlöhne | Ein finanzieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis sich der erhöhte Rentenanspruch voll auswirkt; allmähliche Entlastung des Staates bei der Grundsicherung |
Die BA zahlt für ALG-II-Arbeitslose monatlich nur 40,80 € an die GRV (1 Jahr ergibt zus. 2,17 € mtl. Rentenanspruch) | Statt an monatlich 400 € soll sich die BA an ½ Durchschnittsentgelt orientieren (2008: 2507 /2 = 1253,50 € monatlich) | Ermöglicht spürbare Rentenerhöhung oder Beitragssenkung |
Die abgabenfreie Entgeltumwandlung senkt Rendite der GRV für lange Zeit (→SaR08) und belastet die Rentner und die Beitragszahler, die diese Möglichkeit nicht haben | Beendigung der steuer- und sozialbeitragsfreien Entgeltumwandlung bei den Betriebsrenten | Verbesserungen für die Rentner und die nicht Begünstigten (und die Steuerzahler) |
Das Riestersystem senkt das Rentenniveau durch die Beitragskomponente (Riester-Faktor, Beitragssatzfaktor) in der Rentenanpassungsformel | Einstellung der Förderung der Riester-Rente für Neuverträge (es gilt Bestandsschutz), Herausnahme der Beitragskomponente aus der Rentenanpassungsformel | Allmählich wieder Anstieg des Rentenniveaus; zusätzliche Vorsorge fließt wieder der GRV zu |
(Eigene Formulierung und Zusammenstellung) |
Kürzere Lebensarbeitszeiten (durch längere Ausbildungszeiten und unstetige Erwerbsbiografien), Arbeitslosigkeit (mit sehr niedrigen Einzahlungen durch die BA) oder Erwerbsminderung, prekäre Beschäftigungsverhältnisse (Minijobs, Niedriglohnverhältnisse →AP09) und vor allem die „dämpfenden” Faktoren (Riester-Faktor, Beitragssatzfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor) in der Rentenanpassungsformel werden zur Rückkehr weit verbreiteter Altersarmut führen — ein Phänomen, das man seit der großen Rentenreform von 1957 überwunden glaubte.
Wer mit der Rente nur ein Einkommen unter der Grundsicherung erhält, dem wird das Einkommen auf das Grundsicherungsniveau aufgestockt. Das Grundsicherungsniveau liegt mit 630–750 € deutlich unter der rechnerischen Armutsgrenze von 937 € für 1-Personen-Haushalte (→Par07). In Deutschland bekommen derzeit nur insgesamt 371.000 Menschen Grundsicherung im Alter (laut →vBN08) bzw. 410.000 Rentner (laut →Boe09). Nur 2% der 64-Jährigen bekommen staatliche Grundsicherung — Menschen im Berufsleben sind 5-mal häufiger auf diese angewiesen (→vBN08), vor allem aber Alleinerziehende (Armutsquote 2002: 29% →Bae02).
Da seit den 80er Jahren die Langzeit- und Mehrfacharbeitslosigkeit rasant zunahm, ist mit dem Hineinwachsen dieser Gruppe ins Rentenalter eine steigende Altersarmut zu erwarten. 2004 gingen im Westen 20% der Neurentner, im Osten über 41% nach Arbeitslosigkeit in Rente, mit durchschnittlichen Abschlägen von rund 10% (→Sch05). Bei diskontinuierlichen Erwerbsbiografien oder Niedriglohn (z.Zt. mehr als 6 Millionen Menschen →Boe09) können immer weniger Menschen die Absenkung des Rentenniveaus kompensieren. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, mahnte in einem Interview (→Vet09) die Politik, zur Verhinderung von Altersarmut den Niedriglohnsektor einzudämmen. Eine Simulation am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen ergab ohne ergänzende Vorsorge eine spürbare Abnahme des Rentenniveaus: für Jahrgang 1970 z.B. ein Nettorentenniveau unter 58% (→Vie04) statt der gewohnten 70%.
Eine Auswirkung der Absenkung des Rentenniveaus durch die aktuelle Rentenanpassungsformel (um 17% bis 2030, →Franz Ruland 2008): während 2005 ein Durchschnittsverdiener 26 Beitragsjahre aufweisen musste, um eine Grundsicherung in Höhe von etwa 40% des durchschnittlichen Arbeitsentgelts zu erhalten, werden die Jahrgänge, die nach 2030 in Rente gehen, dafür bereits rund 35 Beitragsjahre aufweisen müssen (→Par07). Mit dem Renteneintrittsalter 67 brauchen sie sogar 37 Beitragsjahre, um eine Absicherung in Höhe der Grundsicherung zu erhalten. Da die nicht-obligatorische private Altersvorsorge nicht flächendeckend ist und nicht sozial ausgleichend wirkt, werden sich die Einkommensunterschiede im Alter enorm vergrößern (→Bae02). Wer nur 1.500 € monatlich verdient, muss bereits heute 43 Jahre arbeiten, um das Niveau der Grundsicherung zu erreichen (→Boe09). Ein volles Erwerbsleben zu 50% des Durchschnittseinkommens reicht heute nur zu 59,2% des früheren durchschnittlichen Nettoeinkommens, während es im OECD-Durchschnitt 82,1% sind (→IMK09)!
Ausgehend von rund 20 Millionen Älteren in 2025 würde eine Quote von 10% Grundsicherungsbeziehern 2 Millionen Menschen umfassen. Bei heute schon über 10% Armen (Hartz IV plus Grundsicherung) mit einer geschätzten Dunkelziffer von 2,4 Millionen kämen wir dann 2025 auf eine Gesamtarmutsquote von 20% (→Par07).
Das Ziel im Wahlprogramm der CDU und im Koalitionsvertrag — wer ein Leben lang in Vollzeit gearbeitet hat, soll eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen — ist nicht wirklich eine Lösung gegen allgemeine Altersarmut: das ärmste Fünftel der künftigen Rentner wird im Schnitt nur 18 Jahre sozialversicherungspflichtig in Vollzeit gearbeitet haben, und das sind zumeist weibliche Teilzeitkräfte (→RiW09). Die FDP fordert ein bedürftigkeitsgeprüftes Bürgergeld in Höhe von 662 €, das alle steuerfinanzierten Leistungen bündelt, und zugleich soll die GRV langfristig an Gewicht verlieren (Systemwechsel zum KDV!). Die AfA in der SPD, die Deutsche Rentenversicherung, der DGB und die Wahlprogramme von Grünen und Linkspartei sprechen sich für eine Versicherungspflicht aller Erwerbstätigen aus. Alle diese Vorschläge betreffen oder lösen nur Randprobleme der Altersarmut.
Drei Grundtypen von Lösungen gegen die Altersarmut finden sich in den westlichen Industrieländern (→RiW09): 1) die Grundrente, eine für alle Versicherten gleich hohe Basis-Rente ohne Bedürftigkeitsprüfung separat von der einkommensbezogenen Rente: Norwegen, Großbritannien, Niederlande, Dänemark; 2) die Mindestrente, ein aus der Rentenkasse gezahlter garantierter Sockel: z.B. Frankreich, Schweden, die Schweiz; 3) eine bedarfsgeprüfte Leistung innerhalb des Rentensystems (Grundsicherungs-Säule außerhalb der Sozialhilfe mit Anrechnung der regulären Rente): Beispiel Österreich.
Eine steuerfinanzierte Grundrente über der Grundsicherung als Absicherung zu der leistungsbezogenen gesetzlichen Rente scheint sehr populär zu sein und taucht in vielen Varianten auf. Wie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft feststellte, bräuchte man eine Mehrwertsteuer-Erhöhung von 15 bis 20 Prozentpunkten, um eine solche Grundrente zu finanzieren (→WiB98). Rürup hielt 1995 fest, dass eine Einheitsrente von nur 12.000 DM im Jahr (für die ein Durchschnittsverdiener sonst 26 Jahre lang Beiträge zahlen müsste) im Jahre 2030 einen Mehrwertsteuersatz von 30% erfordern würde (→Rue95). Bei allen Grundrentenvorschlägen besteht zudem die Gefahr, dass schließlich nur eine steuerfinanzierte Sockelrente übrig bleibt und die Erwerbstätigen zur Aufstockung an die Privatrente verwiesen werden (→Sch05, →EnK08) nach dem Muster des Weltbank-Papiers von 1994 (→Rus02). Eine Mindestrente nach Maßgabe der Rentenansprüche allein ist auch problematisch, da so z.B. die Ehefrau eines Gutverdienenden die Mindestrente erhalten kann (→Tof06).
Martin Staiger (→Sta09) gibt eine ausführliche Übersicht über vier vieldiskutierte alternative Systemvorschläge:
1) Die Bürgerversicherung, wie sie in der Schweiz praktiziert wird: alle Einkommen werden mit Beiträgen belegt und es gibt keine Einkommensobergrenze für die Erhebung von Beiträgen. Die Prognos AG kam für das Modell für Deutschland auf einen um 2 Prozentpunkte geringeren Beitrag als heute. Die wachsende Zahl von Selbstständigen mit geringen Einkommen hätte dann auch ein wesentlich geringeres Altersarmutsrisiko. Es würde aber große Schwierigkeiten bereiten, die verschiedenen Systeme der Alterssicherung in eine Bürgerversicherung zu integrieren. Schließlich stünden den Rentenbeiträgen später auch Rentenansprüche von Selbstständigen gegenüber.
2) Die Mindestrente für Beschäftigte — Rüttgers Garantierente für langjährig Vollzeitbeschäftigte — soll über der Grundsicherung liegen, wobei heute nicht klar ist, um wie viel (auf dem Leipziger Parteitag hieß es noch: 15%). Eine solche Rente stünde aber im Widerspruch zum Äquivalenzprinzip des gegenwärtigen Rentensystems. Sie würde auch das Bedarfsdeckungsprinzip aushebeln als „Grundsicherung plus” für langjährig Berufstätige. Da sie steuerfinanziert sein soll, bedeutet sie eine Zusatzbelastung künftiger Steuerzahler.
3) Die „Cappuccino”-Rente ist aus zwei Schichten aufgebaut. Eine Sockelrente soll das Existenzminimum sichern. Kosten für Unterkunft und Heizung kämen dazu. Finanziert wird sie aus Beiträgen auf alle steuerpflichtigen Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Bei einem Existenzminimum von 410 € pro Monat wäre eine Abgabe von 5,5% nötig. Dazu sollen die Beiträge für die Arbeitnehmer-Pflichtversicherung wie heute zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erbracht werden — sie könnten aber auf etwa 11,5% sinken. Zudem sollen Zeiten für die Erziehung von Kindern und der Arbeitslosigkeit stärker angerechnet werden. Die Cappuccino-Rente bewahrt Menschen mit brüchigen Erwerbsbiografien vor Armut im Alter und schließt ohne radikale Reformen an das heutige System an; zudem sinken die Arbeitsnebenkosten.
4) Die Wertschöpfungsabgabe (nach dem früheren österreichischen Sozialminister Alfred Dallinger †) soll die negativen Auswirkungen der Automatisierung auf die Lohnquote ausgleichen. Der Arbeitnehmerbeitrag wird wie bisher durch eine prozentuale Abgabe auf die Bruttoeinkünfte erhoben. Der Arbeitgeberbeitrag wird nach der Wertschöpfung der Unternehmen erhoben, also Umsatz minus Ausgaben für Waren und Dienste. Eine Wertschöpfungsabgabe läge heute deutlich unter 5%, eventuell sogar nur bei 4%. Sie fördert personalintensive Unternehmen relativ und belastet maschinenintensive Unternehmen stärker. Kritiker sehen allerdings Schwierigkeiten bei der genauen Berechnung der Wertschöpfung. Ein direkter Zusammenhang mit der Altersarmut ist nicht ersichtlich.
Die bisherigen Vorschläge, soweit sie zur Bekämpfung der Altersarmut gedacht sind, waren sämtlich „Stufenlösungen”, d.h. sie boten Lösungen bis zu einer bestimmten Höhe an. Dies verschiebt das Gerechtigkeitsproblem nur auf eine andere Höhe. Direkt oberhalb dieser Höhe gibt es Versicherte, die evtl. das Doppelte geleistet haben, nun aber nur geringfügigst mehr bekommen. Gerechter sind kontinuierliche Lösungen, die ebenso das Armutsproblem entschärfen und gleichzeitig eine gewisse Leistungsäquivalenz garantieren.
Ein solcher Vorschlag ist der Reformvorstoß von Prof. Friedrich Breyer: Wer sehr wenig verdient, erhält bei seiner Monatsrente etwas mehr als den „eingezahlten Euro” — bei Spitzenverdienern umgekehrt (→DIW09). Aufgrund der systematischen Unterschiede in der Lebenserwartung für die verschiedenen Einkommensgruppen ist das bisherige Konzept der Teilhabeäquivalenz ungerecht. Bisher sollte die Teilhabeäquivalenz eine systematische Umverteilung in der GRV verhindern. Verteilungsneutralität herrscht aber erst, wenn die gesamte erwartete Rentenleistung auf die gesamten gezahlten Beiträge bezogen wird. Daher schlagen Friedrich Breyer und Stefan Hupfeld eine neue Rentenformel zur Wahrung der tatsächlichen Verteilungsneutralität vor (→BrH09).
Die wirklich verteilungsneutrale Breyer-Hupfeld-Rentenformel | ||||||||
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alte Formel | neu: Korrekturfaktor | |||||||
monatliche Rentenhöhe j | = | erworbene Ent- geltpunkte j |
· | Versicherungs- dauer |
· | volkswirtschaftliche
Kom- ponente der Rentenhöhe j |
· | 10,16 |
5,17+4,05 · erworbene Entgeltpunkte j | ||||||||
Quelle: → F. Breyer, S. Hupfeld: Neue Rentenformel – mehr Gerechtigkeit und weniger Altersarmut, 2009 |
Erläuterung der Formel: j bezeichnet das Jahr, für das berechnet wird. Die volkswirtschaftliche Komponente ist proportional zum Aktuellen Rentenwert. Die Zahlen im Korrekturfaktor beziehen sich auf die statistischen Werte von männlichen Rentnern (nur deren Daten wurden untersucht). 10,16 Jahre ist die durchschnittliche Restlebenserwartung eines 65-jährigen Versicherten. Ein Rentner mit null Entgeltpunkten pro Jahr kann mit 65 Jahren nur noch 5,17 Lebensjahre erwarten, während es für jeden Entgeltpunkt pro Jahr mehr weitere 4,05 Jahre sind. Indem diese in den Nenner gesetzt werden, wird die Rentenhöhe eines Niedrigverdieners z.B. so mit dem Kehrwert seiner geringeren Lebenserwartung aufgewertet, dass seine zu erwartende Lebensrente seiner Leistung äquivalent wird — für die langlebigen Gutverdiener wirkt sie umgekehrt.
Nach dieser Formel ist der monatliche Rentenanspruch wie bisher proportional zu den Versicherungsjahren, nimmt aber mit dem jährlich erzielten Einkommen nur degressiv zu: die resultierende Kurve ist also oben gewölbt, wenn man nach oben das Einkommen und nach rechts die Versicherungsjahre abbildet. Natürlich kann nach Auswertung entsprechender Daten für Frauen auch eine spezifische Frauen-Formel aufgestellt werden; das ist sogar so möglich, „dass das relative Niveau der Renten von Frauen im Vergleich zu Männern nicht verändert wird” (→BrH09, S. 86). Da sich die durchschnittliche Lebenserwartung und die Sterblichkeit nach Einkommen im Laufe vieler Jahre ändern können, wäre es bei einer gesetzlichen Regelung sinnvoll, statt der Zahlen Variablen in der Formel zu haben. Der Verwaltungsaufwand einer solchen Berechnung wäre sehr gering, da das Einkommen in Form der Entgeltpunkte in den administrativen Daten der Rentenversicherung bereits enthalten ist.
Wäre die Formel bereits 2004 angewandt worden, dann wäre der Anteil der Bezieher von Grundsicherung statt 1,2% nur 0,26% gewesen. Durch Anwendung der neuen Formel auf das im Jahre 2030 um 15% gesunkene Rentenniveau würde der Anteil der Bezieher von Grundsicherung von 2,4% auf 0,6% sinken (→BrH09). Drei Ziele werden mit der Formel gleichzeitig erreicht: Reduktion des Risikos für Altersarmut, Stärkung der (neuen) Teilhabeäquivalenz und Vermeidung einer zusätzlichen Belastung. „Es kann also auf ein weiteres, teures Instrument zur Bekämpfung der Altersarmut — neben der Grundsicherung im Alter — verzichtet werden, wenn mit dem Prinzip der Verteilungsneutralität im deutschen Rentensystem ernst gemacht wird: Bezieht man die Lebenserwartung der verschiedenen Einkommensgruppen in die Berechnung der Rentenansprüche ein und beendet damit die Umverteilung zu Gunsten der Besserverdienenden auf Grund ihrer längeren Rentenbezugszeiten, so lässt sich auch der drohenden Altersarmut unter langjährigen Beitragszahlern wirksam begegnen”.
Die Gesamtdauer der beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit hängt ab von den Ausbildungszeiten, der (Un)Stetigkeit der Erwerbsbiografien und dem vorzeitigen oder regulären Renteneintritt.
Der Berufseinstieg der Anfänger variiert zwischen 15 und über 25 Jahren. Tendenziell verspätet er sich leicht wegen längerer Ausbildungszeiten, besonders im Westen.
Lebensalter im Jahr der Beendigung der Berufsausbildung | |||||||||
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Abschluss-Jahr | West-Deutschland | Ost-Deutschland | |||||||
untere 25 % | untere 50 % | untere 75 % | untere 90 % | untere 25 % | untere 50 % | untere 75 % | untere 90 % | ||
1993–1995 | 19 Jahre | 20 Jahre | 22 Jahre | 24 Jahre | 19 Jahre | 20 Jahre | 21 Jahre | 22 Jahre | |
Quelle: Berechnungen von D. Konietzka (→Kon01) nach Daten der IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-1995 |
Auch nach Abschluss der Ausbildung findet nicht jeder gleich eine Beschäftigung.
Anteil der Ausbildungsabsolventen
(mit/ohne formellen
Abschluss), die
nach der Ausbildung bis Ende 1995 keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatten |
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Abschluss-Jahr | West-Deutschland | Ost-Deutschland | |||||
Gesamt | Männer | Frauen | Gesamt | Männer | Frauen | ||
1993 | 12,8 % | 13,1 % | 12,8 % | 14,1 % | 11,7 % | 17,3 % | |
1994 | 17,9 % | 18,3 % | 17,9 % | 18,1 % | 13,5 % | 23,9 % | |
1995* | 31,7 % | 31,6 % | 31,7 % | 40,5 % | 36,5 % | 45,2 % | |
*) im Osten nur Personen mit Ausbil- dungsende bis November 1995 |
Quelle: Berechnungen von D. Konietzka (→Kon01) nach Daten der IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-1995 |
Versicherte mit 45 Berufsjahren (nach denen der „Eckrentner” und das frühere Sicherungsziel „Lebensstandard” berechnet wurden) werden so immer seltener (nur 43% der Rentner bzw. 5% der Rentnerinnen →Nettorentenniveau in Bezug auf Beitragsjahre, 2002). Ab 2012 (mit Beginn des Übergangs zur „Rente mit 67”) kann die Altersrente für besonders langjährig Versicherte bekommen, wer 65 Jahre alt geworden ist und 45 Jahre mit Beitragszeiten zurückgelegt hat (→The09): Das ist der bisher einzige Fall einer an Beitragsjahre gekoppelten Regelung für die sonst am Lebensalter orientierte Regelaltersgrenze.
Für rund ein Sechstel aller Rentner beginnt das Rentnerdasein früher wegen einer Erwerbsminderungsrente, mit Abschlägen bis maximal 10,8% vor Vollendung des 60. Lebensjahres (Wikipedia: →GRV). Schwerbehinderte benötigen eine Mindestversicherungszeit von 35 Jahren und die Anerkennung als Schwerbehinderter, um eine frühere Rente beantragen zu können. Das Renteneintrittsalter dafür soll ab dem Jahrgang 1941 Schritt für Schritt bis auf 63 Jahre angehoben werden (→Karriereende Ratgeber). Darüber hinaus gingen 2004 im Westen 20% der Neurentner, im Osten über 41% nach Arbeitslosigkeit in Rente, mit durchschnittlichen Abschlägen von rd. 10% (→Sch05). Dieser frühere Renteneintritt aufgrund von Arbeitslosigkeit wurde seit 2006 bis 2008 in Monatsschritten auf 63 Jahre erhöht und soll in absehbarer Zeit überhaupt nicht mehr möglich sein (→Karriereende Ratgeber). Bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente vor der Regelaltersgrenze (max. 60 Monate) ergibt sich eine Rentenkürzung (Abschlag) um 0,3% pro Monat (das macht 18% in den maximal möglichen 5 Jahren); bei verspäteter Inanspruchnahme nach der Regelaltersgrenze erhöht er sich (Zuschlag) um 0,5% pro Monat (Wikipedia: →Zugangsfaktor). Diese Abschläge gelten lebenslang — auch bei anschließend gezahlten Hinterbliebenenrenten. Wer eine Altersrente vorzeitig in Anspruch nimmt oder eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezieht, darf bis zu 400 € hinzuverdienen, ohne dass seine Rente gekürzt wird. Verdient er mehr, kann er seinen Rentenanspruch ganz oder teilweise verlieren. Ab der Regelaltersgrenze gibt es keine Hinzuverdienstgrenzen mehr (→DRV: häufige Irrtümer).
Die unterschiedlichen beruflichen Belastungen lassen sich am Auszug aus der Renteneintrittsstatistik ablesen:
Renteneintrittsgründe nach Berufsgruppen (Quelle: →Ses07 nach Daten des iso-Instituts) | ||||||
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Beruf | Männer | Frauen | ||||
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit | wegen Alters | wegen verminderter Erwerbsfähigkeit | wegen Alters | |||
Ärzte/Ärztinnen | 4,2 % | 95,8 % | 4,1 % | 95,9 % | ||
Apotheker/Apothekerinnen | 4,7 % | 95,3 % | ||||
Maschinenbauingenieure | 5,6 % | 94,4 % | ||||
Chemiker | 6,0 % | 94,0 % | ||||
Verbandsleiter | 6,0 % | 94,0 % | ||||
Architekten | 8,0 % | 92,0 % | ||||
Unternehmer/Unternehmerinnen | 8,2 % | 91,7 % | 14,6 % | 85,4 % | ||
Leitende Verwaltungsfachleute | 9,3 % | 90,7 % | ||||
Bibliothekare/Bibliothekarinnen | 13,6 % | 86,4 % | ||||
Buchhalter/Buchhalterinnen | 14,5 % | 85,5 % | ||||
Bürofachkräfte | 15,1 % | 84,9 % | ||||
Techniker/Technikerinnen | 15,3 % | 84,7 % | ||||
Rohrinstallateure | 35,8 % | 64,2 % | ||||
Schlosser | 36,1 % | 63,9 % | ||||
Köche/Köchinnen | 37,0 % | 63,0 % | ||||
Maurer | 37,6 % | 62,4 % | ||||
Krankenpfleger/Krankenschwestern | 39,0 % | 61,0 % | 38,1 % | 61,9 % | ||
Betonbauer | 38,4 % | 61,6 % | ||||
Hilfsarbeiter/Hilfsarbeiterinnen | 39,0 % | 61,0 % | ||||
Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen | 39,2 % | 60,8 % | ||||
Krankenpflegehelferinnen | 40,4 % | 59,6 % | ||||
Kellner/Kellnerinnen | 40,4 % | 59,6 % | ||||
Montierer/Montiererinnen | 41,3 % | 58,7 % | ||||
Fliesenleger | 42,0 % | 58,0 % | ||||
Dachdecker | 50,3 % | 49,7 % |
Ähnliches lässt sich auch aus der Frühverrentungsstatistik ablesen:
Arbeitsbedingte Frühverrentung nach Berufsgruppen (Quelle: →DGB05) | |||||
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Beruf | Männer | Frauen | |||
Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt | Arbeitsbedingter Anteil | Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt | Arbeitsbedingter Anteil | ||
Kindergärtnerinnen | — | — | |||
Verkäuferinnen | +6 % | 5 % | |||
Raumpflegerinnen | +23 % | 19 % | |||
Maler | +32 % | 24 % | |||
Bürofachkräfte | +45 % | 31 % | — | — | |
Maurer | +44 % | 30 % | |||
Krankenpfleger / Krankenschwester | +139 % | 58 % | +37 % | 27 % | |
Bergleute | +385 % | 79 % |
Arbeitsbedingte Frühverrentung nach besonderen Belastungen (Quelle: →DGB05) | |||||
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Tätigkeit | Männer | Frauen | |||
Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt | Arbeitsbedingter Anteil | Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt | Arbeitsbedingter Anteil | ||
immer Schichtarbeit | +38 % | 27 % | +58 % | 37 % | |
sehr schwere körperliche Arbeit | +62 % | 38 % | +78 % | 44 % | |
geringer Handlungspielraum hoch | +161 % | 62 % | +60 % | 38 % | |
geringer Handlungspielraum gesamt | +61 % | 38 % | +27 % | 21 % |
Viele, die wegen Gesundheitsproblemen ihren Arbeitsplatz verlieren, bekommen gar keine Erwerbsminderungsrente und rutschen in Hartz IV ab (→Wie09): auf zwei beantragte Erwerbsminderungsrenten kommt eine Bewilligung. Da für Bezieher von Erwerbsminderungsrente vor dem 60. Lebensjahr auch das Sterberisiko um 74% erhöht ist (→Kib08), könnte man geneigt sein, dies zum Ausgangspunkt einer Gutmachung für die entgangene Rente nach einzelnen Berufsgruppen zu nehmen. Eine noch bessere Entschädigung wäre es, den besonders betroffenen Berufsgruppen die entgehende Lebenszeit durch eine frühere Regelaltersgrenze auszugleichen.
Prinzipiell ist es möglich, für jede Berufsgruppe anhand entsprechender Sterbestatistiken eine eigene versicherungsmathematisch errechnete Regelaltersgrenze festzulegen. Aber dafür braucht man genaue Sterbestatistiken — der Rückgriff auf Erwerbsminderungsstatistiken reicht dazu nicht. Solche Sterbestatistiken sind in den im Abschnitt über unterschiedliche Lebenserwartungen vorgestellten Daten von Marc Luy (→Luy06) und noch präziser von Eva Kibele (→Kib08) enthalten, allerdings nur für die (frühere) Zugehörigkeit zur Arbeiter- oder Angestellten-Versicherung — eine Unterscheidung, die man eigentlich überwinden wollte (siehe dazu →Gibt es den Status ArbeiterIn noch?, ver.di). Da diese Unterscheidung noch bis vor 2005 getroffen wurde und die Daten für die schon damals Versicherten zurück verfolgt werden könnten, ist eine Basis für eine „Arbeiter”-Versicherung (rein abrechnungstechnisch natürlich) vorhanden, um den „Arbeitern” eine eigene (und wesentlich niedrigere) Regelaltersgrenze zu geben. Nur für die Neuversicherten, die ab 2005 ins beitragspflichtige Erwerbsleben neu eingetreten sind (und damit zufällig auf die Rentenversicherungsträger verteilt wurden), müsste ein Weg gefunden werden, sie aufgrund ihres Berufs einer der beiden Kategorien zuzuweisen. Das würde die jetzige „Umverteilung“ der Renten zu Lasten der „Arbeiter“ beenden.
Diese Maßnahme löst nicht alle Probleme der Arbeitsbelastung im Zusammenhang mit dem Renteneintritt, entschärft sie aber sehr. Eine abrechnungstechnisch feinere Aufteilung nach einzelnen Berufsgruppen wäre wünschenswert und sollte auch das Fernziel sein. Solange entsprechende präzise Sterbestatistiken nicht vorliegen, sollte bei einem so krassen Unterschied in den Rentenerlebensraten von 13% zwischen Arbeitern und Angestellten (bei nur 1% Unterschied zwischen Angestellten und Selbstständigen sowie 3% Unterschied zwischen Selbstständigen und Beamten) dennoch gehandelt werden. Nach erstmaliger Festlegung von gesonderten gesetzlichen Renteneintrittsaltersgrenzen sollte eine eventuelle Neujustierung nur in größeren Abständen (und immer in ganzen Altersjahren) erfolgen — eine versicherungsmathematisch faire Feinjustierung kann zwischendurch über den jeweiligen Beitragssatz geschehen.
Die Frühverrentungsmöglichkeiten führten zu einem tatsächlichen durchschnittlichen Renteneintrittsalter, das mit gut 60 Jahren weit unter dem gesetzlichen lag (→Ses06). Die großzügigen Vorruhestandsregeln der Vorgängerregierung baute Rot-Grün nur zaghaft weiter ab (→Neuanfänge). Bis Ende 2005 gab es den Vorruhestand ab dem 60. Lebensjahr für alle, die arbeitslos waren oder unter die Altersteilzeit-Regelung fielen. Es musste nur auf etwas Rente verzichtet werden — maximaler Abschlag: 18%. In den Jahren 2006 bis 2008 stieg die Eintrittsschwelle in Monatsschritten auf das 63. Lebensjahr (→Altersgrenze Vorruhestand). Heute kann die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit von Versicherten bezogen werden, die vor 1952 geboren sind und nach dem Lebensalter von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Wochen (fast genau ein Jahr) arbeitslos (möglichst gemeldet) waren und in den letzten zehn Jahren davor mindestens acht Jahre Pflichtbeiträge an die GRV gezahlt haben (→DRV/BA).
Prof. Axel Börsch-Supan: Ein sehr teurer negativer Anreizeffekt wurde durch das Fehlen einer versicherungsmathematisch fairen Anpassung der Rente an das Renteneintrittsalter bewirkt. Arbeitnehmern, die später in Rente gingen, entgingen dadurch mehr als 50% des Einkommens (nach 2004 werden es noch 20% bis 30% sein). Das führte zu einer Verminderung des Durchschnittsrentenalters um 2,5 bis 3,5 Jahre und damit etwa 20% der Rentenausgaben. Am wirksamsten hilft gegen Altersstrukturänderungen eine Erhöhung des faktischen Renteneintrittsalters — mehrere Gesetzesänderungen dazu nach 1992 könnten eine Erhöhung um bis zu 3 Jahre bewirken. Prognos (1998): ein Drittel der Beschäftigten wird sich dem durch eine Invaliditätsrente entziehen (→Boe02).
Zur „Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand” wurden durch das sogen. Altersteilzeitgesetz mit Wirkung zum 1. August 1996 Rahmenbedingungen für Vereinbarungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Altersteilzeitarbeit geschaffen (→Altersteilzeit). Es bietet älteren Arbeitnehmern die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres auf die Hälfte zu reduzieren. Den Unternehmen bleiben die Erfahrungen der Älteren erhalten, während die Arbeitszeit nach den Bedürfnissen der Unternehmen wie den Wünschen der Arbeitnehmer verteilt werden kann. Arbeitszeit: täglich mit verminderter Stundenzahl oder an bestimmten Tagen der Woche oder im wöchentlichen oder monatlichen Wechsel. Bedingung: über einen Gesamtzeitraum von bis zu drei Jahren wird die Arbeitszeit im Durchschnitt halbiert. Die Altersteilzeitvereinbarung muss immer mindestens bis zum Rentenalter reichen. Mindestnettobeträge: Für Altfälle, welche die Altersteilzeit vor dem 1. Juli 2004 begonnen haben, muss der Arbeitgeber das Teilzeit-Arbeitsentgelt um 20% aufstocken, jedoch mindestens auf 70% des um gesetzliche Pauschalabzüge verminderten bisherigen Arbeitsentgelts (→Mindestnettobeträge). „Die neuere und heute fast ausschließlich genutzte Form der Altersteilzeit ist das Blockmodell. Hierbei wird die Altersteilzeit in zwei gleich lange Beschäftigungsphasen unterteilt: in der ersten, sogenannten Arbeitsphase bleibt die wöchentliche Arbeitszeit ungekürzt. In der zweiten Phase, der Freistellungsphase, wird der Arbeitnehmer von seiner Arbeitsleistung freigestellt. Über die Gesamtdauer ergibt sich also auch hier eine Reduzierung der Arbeitszeit.” „In der Praxis wird die Altersteilzeit aber auch zur Reduzierung von Arbeitsplätzen genutzt.” (Wikipedia: →Altersteilzeit). Die Altersteilzeit im Blockmodell ist problematisch: sie fördert die Frühverrentung (→VdK08).
Die SPD wollte 2009 die Möglichkeit der Altersteilzeit neu beleben und den Vorruhestandszuschuss der BA, der eigentlich Ende des Jahres auslaufen sollte, bis 2015 verlängern. Prof. Axel Börsch-Supan: „... langfristig wäre es angesichts der demografischen Entwicklung reiner Wahnsinn, über die Altersteilzeit den Weg in die Frührente wieder zu erleichtern.” Die Älteren würden, da die geburtenschwachen Jahrgänge bald auf den Arbeitsmarkt kämen, dringend gebraucht, um den Fachkräftebedarf zu decken. (→Verlängerte Altersteilzeit?, →SaS08). Aber mit dem Jahresende 2009 ist die staatliche Förderung der Altersteilzeit nun tatsächlich ausgelaufen (→Aus).
Mit dem Altersgrenzenanpassungsgesetz von 2007 wurde beschlossen, das gesetzliche Renteneintrittsalter über 18 Jahre hin in Stufen von 2012 bis 2029 von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen. Es sieht eine jährliche Erhöhung um einen Monat bis 2023 vor, danach um jeweils zwei Monate bis 2029. Es soll laut Gesetz 2010 überprüft werden.
Renten- eintrittsalter |
Steigendes gesetzliches
Renteneintrittsalter in Deutschland nach dem Altersgrenzenanpassungsgesetz von 2007 |
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Jahre | Monate | ||||||||||||||||||||||
67—— | 0 | ||||||||||||||||||||||
10 | |||||||||||||||||||||||
8 | |||||||||||||||||||||||
6 | |||||||||||||||||||||||
4 | |||||||||||||||||||||||
2 | |||||||||||||||||||||||
66—— | 0 | ||||||||||||||||||||||
11 | |||||||||||||||||||||||
10 | |||||||||||||||||||||||
9 | |||||||||||||||||||||||
8 | |||||||||||||||||||||||
7 | |||||||||||||||||||||||
6 | |||||||||||||||||||||||
5 | |||||||||||||||||||||||
4 | |||||||||||||||||||||||
3 | |||||||||||||||||||||||
2 | |||||||||||||||||||||||
1 | |||||||||||||||||||||||
65—— | 0 | ||||||||||||||||||||||
Erhöht im Jahr: | seit 1916 | ... | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 | 2027 | 2028 | 2029 | ... | |
Geburtsjahrgang: | ... vor 1947 ... | 1947 | 1948 | 1949 | 1950 | 1951 | 1952 | 1953 | 1954 | 1955 | 1956 | 1957 | 1958 | 1959 | 1960 | 1961 | 1962 | 1963 | 1964 | ... | |||
Eigene Darstellung. Quelle: Bundesagentur für Arbeit |
So wie sich bei gegebener Situation ein gewünschtes Rentenniveau durch einen entsprechend berechneten Beitragssatz erzielen lässt oder ein gewünschter Beitragssatz durch ein entsprechendes Rentenniveau erkauft wird, so lässt sich durch ein Verschieben des Rentenalters im Prinzip fast jede gewünschte Kombination von Beitragssatz und Rentenniveau erreichen. Prof. Werner Sesselmeier: Eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters entlastet die GRV über zwei Wege: mehr Einnahmen auf Grund längerer Lebensarbeitszeit und weniger Ausgaben auf Grund kürzerer Rentenbezugsdauer (→Ses06). Zielt man nur auf die Rentenhöhe ab, gilt die Aussage von Prof. Rürup (jetzt „Chefökonom” des Finanzdienstleisters AWD): die Rente mit 67 bedeutet ein Rentenplus von 4,5% (→Pre09). Das wäre dann auch ein Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut. Prof. Schmähl (→Sch05): Eine Anhebung des abschlagfreien Rentenalters wäre auch deshalb vertretbar, da sie die Gefahr unzureichender Ansprüche im Alter verringert.
Es scheint auf den ersten Blick auch angemessen, die ständig steigende fernere Lebenserwartung (die bis 2029, wenn das gesetzliche Renteneintrittsalter um zwei Jahre angehoben sein wird, nach den Schätzungen bereits um weitere drei Jahre angestiegen sein wird) durch eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auszugleichen. Seit 1960 haben sich die Rentenlaufzeiten um im Durchschnitt fast 74% verlängert (→NRS08). Das aber ist eine statische Sichtweise, die annimmt, dass es inzwischen keinen Produktivitätsfortschritt (und eine gleichbleibende Lohnquote) geben wird. Ist nämlich bis dahin die Wirtschaft genügend gewachsen, können wir uns dann beides leisten: die Beibehaltung des jetzigen Renteneintrittsalters und die gestiegene Lebenserwartung.
Die folgende Tabelle zeigt, dass darüber hinaus der Anstieg der durchschnittlichen Rentenbezugsdauer (in der die Lebenserwartung zum Tragen kommt) von einem gleichzeitigen Anstieg des durchschnittlichen Renteneintrittsalters insbesondere der westdeutschen Männer begleitet wurde. Die gestiegene Lebenserwartung war per Saldo also kaum eine Belastung der GRV!
Rentenbezugsdauer und Renteneintrittsalter (West-Deutschland), Durchschnitt: | |||||
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Jahr | Männer | Frauen | |||
Rentenbezugsdauer | Renteneintrittsalter | Rentenbezugsdauer | Renteneintrittsalter | ||
1981 | 11,1 Jahre | 58,2 Jahre | 14,1 Jahre | 59,5 Jahre | |
1983 | 11,5 Jahre | 58,6 Jahre | 14,5 Jahre | 59,6 Jahre | |
1985 | 11,9 Jahre | 58,7 Jahre | 14,9 Jahre | 60,4 Jahre | |
1987 | 13,2 Jahre | 59,0 Jahre | 16,2 Jahre | 61,7 Jahre | |
1989 | 13,6 Jahre | 59,3 Jahre | 16,9 Jahre | 61,7 Jahre | |
1991 | 13,9 Jahre | 59,6 Jahre | 17,5 Jahre | 61,4 Jahre | |
1993 | 14,0 Jahre | 59,9 Jahre | 17,6 Jahre | 61,5 Jahre | |
1995 | 14,0 Jahre | 59,6 Jahre | 17,7 Jahre | 61,1 Jahre | |
1997 | 14,1 Jahre | 59,6 Jahre | 18,1 Jahre | 60,7 Jahre | |
1999 | 14,1 Jahre | 59,9 Jahre | 18,2 Jahre | 61,0 Jahre | |
2001 | 14,3 Jahre | 60,1 Jahre | 18,3 Jahre | 60,9 Jahre | |
2003 | 14,8 Jahre | 60,8 Jahre | 18,8 Jahre | 61,4 Jahre | |
Quelle: →bpb04 nach Verband deutscher Rentenversicherungsträger, 2004 |
Tatsächliches Rentenzugangsalter | |
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Jahr | Alter |
1960* | 59,2 Jahre |
1970* | 61,9 Jahre |
1980* | 59,0 Jahre |
1990* | 60,7 Jahre |
2000 | 60,2 Jahre |
2003 | 61,1 Jahre |
2006 | 63,2 Jahre |
*) bis 1990 alte Bundesrepublik, danach Bundesrepublik Deutschland | |
Quelle: H.-U. Deppe (→Dep08) nach FAZ 24.10.05 und 30.11.06 |
Dieser Trend hat sich fortgesetzt: Heute liegt das tatsächliche Rentenzugangsalter sogar bei 63,5 Jahren (→Kus09). Das heißt: Seit 2003 hat sich das tatsächliche Rentenzugangsalter (und nur darauf kommt es an!) um etwa 2,5 Jahre erhöht — es ist also der Effekt für die GRV bereits übertroffen worden, der mit der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters um zwei Jahre bis 2029 erreicht werden sollte!
Kann dieser Stand dauerhaft sein? Vier Gründe für den Anstieg kommen in Frage: die Eindämmung der Frühverrentung, die Erschwerung des vorzeitigen Ruhestands durch entsprechende Abschläge, gestiegene Fitness der Versicherten und die Anhebung der Regelaltersgrenze für Frauen von 60 auf 65 Jahre über den Zeitraum 1997 bis 2009. Die letzte These wird durch die Entwicklung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters bei den Frauen (obere Tabelle) nicht bestätigt, ja, sie scheint dem eher zu widersprechen. Das lässt uns hoffen, dass es sich beim Anstieg des durchschnittlichen Renteneintrittsalters nicht um einen nur zeitweiligen Sondereffekt handelt. Den anderen Gründen brauchen wir nicht nachzugehen.
Diejenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht bis zum Alter von 67 Jahren warten können, werden durch die neue Regelung stark benachteiligt. Prof. Schmähl: Wenn das Rentenalter jetzt auf 67 angehoben wird und ein Versicherter mit 65 ausscheiden will, hat er noch Abschläge von 7,2% hinzunehmen (→Sch06a). In einer Zeit großer Arbeitslosigkeit besonders der Älteren kommt eine solche Reform denkbar unpassend. VdK-Präsidentin Ulrike Mascher (früher Staatssekretärin unter Walter Riester): nach langen Jahren ALG-II-Bezug für Arbeitslose bedeutet die Rente mit 67 praktisch eine Rentenkürzung (→Mas09). Während also die Anhebung des tatsächlichen Renteneintrittsalters rentenfinanzpolitisch Sinn macht, verschärft die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenzen die Beschäftigungsprobleme (→Bae02). Diese Debatte zeigt übrigens auch, dass eine möglichst frühe Berufsaufgabe selbst dann nicht erstrebenswert ist, wenn damit Entlastungseffekte auf dem Arbeitsmarkt verbunden sind (→Bae04).
Das wirft auch die Frage nach der Generationengerechtigkeit auf. Darüber ist viel geschrieben worden. Grundlage der GRV ist das Verständnis, dass der Sozialstaat die sich am Markt ergebende Verteilung so zu korrigieren habe, dass auch Nicht-Marktteilnehmer am allgemeinen Einkommensniveau angekoppelt seien. Davon berührt ist das Finanzierungspotenzial: nur rund 50% der Personen im erwerbstätigen Alter zahlt tatsächlich Beiträge zur GRV: die anderen sind arbeitslos, in Ausbildung, frühverrentet, Hausfrauen oder nicht-sozialversicherungspflichtig erwerbstätig (Selbstständige, Beamte, geringfügig Beschäftigte) (→Bae02). Bei der kaum bewertbaren Unterschiedlichkeit der von den Generationen durchlebten Geschichte kann Generationengerechtigkeit nur als Auftrag verstanden werden, allen Altersgruppen in der Gesellschaft heute Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am gesamtwirtschaftlichen Wohlstand einzuräumen (→Bae04). Der überkommene Generationenvertrag hat ein Problem: Es fehlen nicht nur Kinder zum Generationenerhalt, und Erwerbstätige müssen nicht nur „Kinder” und „Großeltern”, sondern zunehmend auch „Urgroßeltern” alimentieren: aus dem 3-Generationen-Vertrag wird ein 4-Generationen-Vertrag (→DRV06).
Die Zurechnung einzelner rentenpolitischer Probleme an die eine oder andere Generation kann berechtigt oder problematisch sein. Den „Pillenknick” nach 1965 z.B. — Hauptursache unserer unausgewogenen Altersstruktur — könnte man der damaligen „Elterngeneration” anlasten, natürlich vor allem jenen, die keine Eltern wurden — doch: schon immer haftet jeder für seine gesamte Generation (wie z.B. auch bei der Wehr- / Zivildienstdauer). Umgekehrt könnte man der jüngeren Generation mit ihren Riester-Möglichkeiten stärker anlasten, dass die Rentnergeneration so sehr durch den Riester-Faktor und damit einen zu großen Anteil an den Extrakosten des Umstiegs belastet wird, dass die Jüngeren mit einer „besseren” Rendite davon kommen (→FeJ01, →Ohs04, →LRW06, →Wie01a, →Vie04) (obwohl insgesamt alle beim Umstieg verlieren). Aber: es wird immer die Vorteilhaftigkeit der Privatvorsorge für die jüngeren Jahrgänge betont — dabei werden deren Nettoalterseinkünfte meist unter denen ohne die Reform liegen (insbesondere, weil Privatrenten in der Regel nicht dynamisch sind →Sch05).
Die in einer Befragung durch das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock festgestellten Ansichten müssen uns aber verstören: Verteilungskonflikte zwischen den Generationen schlagen sich in sozialpolitischen Meinungen nieder — je älter ein Bundesbürger ist, desto weniger familienfreundlich ist seine Wunschpolitik. Ältere sind vermehrt gegen mehr Unterstützung für Familien, aber für ein Rentensystem zu Lasten der Jungen. Eigene Elternschaft, Großelternschaft oder Ehe können diese Alterseffekte überlagern. Der Einfluss von Bildung und Bundesland: Abitur bzw. Westen mindert die Zustimmung zu höherem Kindergeld (→WiL09).
Prof. Sesselmeier (→Ses06, Das Parlament, 2006) beleuchtet einen anderen Aspekt, weshalb die Reformen nicht zu einem späteren Zeitpunkt kommen dürften. Im Jahre 2020 wird sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung auf etwa 44 Jahre erhöht haben, aber der durchschnittliche Wähler wird bereits über 54 Jahre alt sein — Rentenreformen werden dann zunehmend schwieriger durchsetzbar. Und generell haben Reformen sozialer Sicherungssysteme einen hohen Erklärungsbedarf, wenn sie akzeptiert werden sollen. Sinn und Uebelmesser (→SUe02) sagen es noch drastischer (übersetzt): Bis 2016 kann eine Rentenreform noch demokratisch durchgesetzt werden. Danach haben wir in Deutschland eine „Gerontokratie” (Herrschaft der Alten). — Verhindern kann das neben einem solidarischen Verantwortungsgefühl der Älteren nur eine höhere Wahlbeteiligung und Politik-Engagement der Jüngeren.