Rentenpolitisches Kompendium

Das Rentenpolitische Kompendium gibt einen freien und
umfassenden Überblick über die Fakten zur Rentenpolitik.
Die jeweils jüng­ste öffent­liche Version steht unter:
www.fuhlrott.eu/EcoModyn/Renten/RKompend.htm
Dort kann sie inter­aktiv auch die Quellen­liste zeigen.

Die zuge­hörigen Doku­mente selbst darf ich aus
Urhe­berrechts­gründen nicht auf die Website stellen.
von Oskar Fuhlrott  ©  

Druckhinweis: Ausgedruckte 33 Blätter lassen sich herkömm­lich kaum noch heften. Empfeh­lung: doppel­seitig bedrucken oder (wenn Drucker­treiber und Sehver­mögen das erlauben): je zwei Seiten neben­einander auf ein Blatt drucken!


Inhalt:

1. Aufbau und Zustand des Rentensystems
2. Die Bedeutung der Demografie
    2.1 Demografische Entwicklungen, Lohn­quote und Produk­tivität
    2.2 Unter­schied­liche Lebens­erwar­tungen
3. Rentensysteme und ihre Finan­zierung
    3.1 Das Säulen­modell der Welt­bank
    3.2 Gestaltung des Umlage­verfahrens (UV)
    3.3 Gestaltung des Kapital­deckungs­verfah­rens (KDV)
          3.3.1 Betriebsrenten
          3.3.2 Die Riester-Rente
    3.4 Individueller Vergleich des UV mit dem KDV
    3.5 Gesamtwirtschaftlicher Vergleich des UV mit dem KDV
          3.5.1 Die Extrakosten des Umstiegs
4. Stär­kung und Erweiterung der Basis der GRV
5. Kommende Altersarmut und Lösungs­wege dazu
6. Arbeitsbelastung, Altersgrenze und Genera­tionen­gerech­tig­keit

Verweise auf die Definitionen (nicht im Ausdruck)


Abkürzungen: GRV = Gesetz­liche Renten­versiche­rung (Deutsch­land), UV = Umlage­verfahren (engl.: PAYG system), KDV = Kapital­deckungs­verfahren (engl.: funded system); GG = Grund­gesetz, BVerfG = Bundes­verfas­sungs­gericht, BSG = Bundes­sozial­gericht; BA = Bundes­­agentur für Arbeit, IAB = Institut für Arbeits­markt- und Berufs­forschung der BA; IMK = Institut für Makro­ökonomie und Konjunk­turfor­schung; BIP = Brutto­inlands­produkt; VGR = Volks­wirt­schaft­liche Gesamt­rech­nung

1. Aufbau und Zustand des Rentensystems

Begründung für ein staat­liches Zwangs­system: „Arbeit­­nehmer haben inkon­­sistente Zeit­­präfe­­renz und entscheiden sich für Selbst­bindung” (auf deutsch: da die Vorstel­lung in jungen Jahren darüber, was man im Alter braucht, stark abweicht von dem, was man dann im Alter meint zu brauchen, müssen sich die Berufs­tätigen eine Zwangs­abgabe aufer­legen): ein Markt­versagen, das Versiche­rungs­zwang erfor­dert (→Kur06). Dazu kommen Gerech­tigkeits­aspekte: die Arbeit­nehmer sollen im Alter einen ähnli­chen Lebens­stan­dard haben wie während des Berufs­lebens, und bestimmte Ausfall­zeiten von gesamt­gesell­schaft­lichem Nutzen sollen ange­rechnet werden. Gegen syste­ma­ti­sche Risiken kann man sich nur durch inter­­tempo­­ralen Risi­ko­aus­­gleich zwischen den Gene­ra­ti­onen schützen (→Fra04).

Das deutsche Rentensystem stützt sich schwer­punkt­mäßig auf die 1889 einge­rich­tete GRV. Daneben gibt es noch die von den Arbeit­nehmern oder von beiden Sozial­part­nern finan­zierten Betriebs­renten und seit 2002 die nur von den Arbeit­nehmern finan­zierten privaten Riester-Renten. Die GRV wird in erster Linie von den Beiträgen der Versi­cherten und ihrer Arbeit­geber finan­ziert. Die Höhe der Beiträge orien­tiert sich heute indivi­duell an der Höhe des Einkom­mens und bestimmt die Höhe der späteren Leis­tung. Die Höhe der Rente wurde ab 1957 dyna­misch der Lohn­entwick­lung ange­passt, um einen gleich­blei­benden Lebens­stan­dard im Alter zu ermög­lichen. Gleich­zeitig wurde die feste Beitrags­höhe auf einen Beitrags­satz vom Brutto­einkommen (damals 14%) umge­stellt und eine frühe Form des UV eingeführt (es gab daneben noch einen beschränkten Kapital­aufbau), die 1968 auf das heutige reine UV umgestellt wurde. Seit 1972 gibt es die Möglich­keit der frei­willigen Versi­cherung von Selbst­stän­digen und Haus­frauen. 1986 wurde die Hinter­blie­benen­rente auch für Männer einge­führt.

Die Deut­sche Renten­­versi­che­rung löste 2005 die zahl­reichen eigen­stän­digen Einzel­versi­che­rungs­organi­sationen ab. Die Deut­sche Renten­­versi­che­rung Bund über­nahm den Verband Deut­scher Renten­versi­che­rungs­träger (VDR) und die BfA (Bundes­versi­cherungs­anstalt für Ange­stellte). Unter den 16 recht­lich selbst­­stän­­digen Versi­che­­rungs­trägern der Deut­schen Renten­­versi­che­rung gibt es 14 Regi­onal­träger. Sie über­nahmen nach einigen Zusam­menle­gungen die 22 LVAs (Landes­versi­che­rungs­anstalten, für Arbeiter und Hand­werker). Die Bundes­knapp­schaft (für berg­baulich Beschäf­tigte), die Bahn­versi­che­rungs­anstalt (für Bahn-Beschäftigte) und die Seekasse (für See­leute) bildeten die Deut­sche Renten­­ver­siche­­rung Knapp­schaft-Bahn-See (lt. Wiki­pedia: →Deut­sche Renten­versi­che­rung). Neuver­sicherte Arbeit­nehmer werden seit 2005 durch die Daten­stelle der Renten­versi­che­rung einem Renten­versi­che­rungs­träger zuge­ordnet. Die Zuord­nung erfolgt anhand der jewei­ligen Versi­che­rungs­nummer in einem Aus­gleichs­verfahren, und auf alle Renten­versi­che­rungs­träger wird gleich­mäßig verteilt. Organi­siert ist die Deut­sche Renten­­versi­che­rung als Selbst­­verwal­­tung aus den Sozial­­partnern Bundes­­verei­ni­gung der Deut­schen Arbeit­geber­verbände (BDA), Deut­­sche Ange­­stellten­­gewerk­­schaft (DAG) und Deut­­scher Gewerk­­schafts­­bund (DGB).

Seit 1984 ist für einen Renten­­anspruch ab dem 65. Lebens­­jahr nur noch eine Mindest­­versi­­che­­rungs­­zeit (neben Beitrags­­zeiten, zu denen auch Kinder­­erzie­­hungs­­zeiten zählen, auch Ersatz­­zeiten und Zeiten aus einem Versor­­gungs­­aus­­gleich) von fünf Jahren (vorher 15 Jahre) erfor­­derlich (→DRV: häufige Irrtümer).

In den letzten zwei Jahr­zehnten gab es eine Reihe einschnei­dender Verände­rungen.

1990 wurden die Ostrentner einschließlich aller Mitar­beiter des öffent­lichen Dienstes der DDR in die GRV aufge­nommen. Manche sehen darin eine Unge­rechtig­keit, da diese ja „gar nicht in die GRV einge­zahlt hatten”. Dies verkennt aber das Wesen des Umla­gesys­tems (Näheres siehe Abschnitt über das UV): es wurden schließ­lich auch die Beitrags­zahler dazu mitge­bracht. Dass gleich­zeitig auch die gerin­geren noch verblie­benen Kassen­bestände der DDR-Renten­versi­che­rungen entschä­digungslos verein­nahmt wurden, empfinden wiederum einige ehemalige DDR-Bürger als unge­recht. Gewisse Ungleich­gewichte ergaben sich in der weiteren Entwick­lung aller­dings daraus, dass der öffent­liche Dienst in den neuen Bundes­ländern heute viel kleiner ist als zu Zeiten der DDR (die vielen neuen Beamten zahlen nicht in die GRV ein), und dass die dortige hohe Arbeits­losig­keit die GRV stark belastet.

1992 trat das SGB VI, das Sozial­gesetz­buch für die GRV, in Kraft. Es regelt die Organi­sation und Leis­tungen der Träger der Deut­schen Renten­versi­cherung, Renten wegen Alters, Rente wegen Erwerbs­minde­rung und Hinter­blie­benen­renten sowie Leis­tungen zur medi­zini­schen, beruf­lichen und sons­tigen Reha­bilita­tion (Wiki­pedia: →SGB).

Seit 1992 wurde das gesetz­liche Renten­ein­tritts­alter der Frauen stufen­weise an das der Männer heran geführt, begin­nend mit dem Geburts­­jahr­­gang 1941 und abzu­­schließen mit dem Geburts­­jahr­gang 1952. Die Anhe­­­bung sollte ursprüng­­­lich 2001 einsetzen und 2017 abge­­­schlossen sein. 1996 zog der Gesetz­­­geber aber die Anhe­­­bung der Alters­­­grenze für Renten wegen Arbeits­­­losig­­­keit vor und beschleu­­­nigte sie. Zum 1. Januar 1997 zog das WFG 1996 die Anhe­­­bung der Renten auch für Frauen vor und beschleu­­­nigte sie eben­­­falls. Die Anhe­­­bung wurde danach 2009 mit dem Geburts­­­jahr­­­gang 1944 beendet. Die Anhe­­­bung fällt also in den Zeitraum 1997-2009.

Mit der 2001 geän­derten Renten­anpas­sungs­formel wird das Renten­niveau mittel­fristig von 70% auf 67% des Netto­lohns gesenkt (später noch weiter). Ursache ist die →modifi­zierte Brutto­lohn­anpas­sung (S. 272) statt bishe­riger Netto­lohn­anpas­sung: berück­sich­tigt bei der Renten­berech­nung GRV-Beitrags­satz und Riester­satz, nicht aber Steuern und die anderen Sozi­albei­träge. Begründet wird das ungenau mit der demo­grafi­schen Entwick­lung (Anteil der Rentner an der Bevö­kerung steigt, Anteil der Beitrags­zahler sinkt), aber diese Absen­kung (um ca. 4% von 70% = 2,8 Prozent­punkte) geht zum größten Teil auf die Extra­kosten wegen der 2002 gestar­teten Riester-Rente (Beitrags­satz 4%; mehr dazu im Abschnitt Riester-Rente) in Form der vorge­nommenen Einfüh­rung des Riester-Faktors (steigt in der Endstufe auf 4%) und des Faktors „wegen der erhöhten Beitrags­belas­tung” zurück.

Seit 2003 gibt es die Grund­siche­rung, eine steuer­finan­zierte (also nicht von der GRV finan­zierte), bedarfs­orien­tierte (also in der Höhe unbe­stimmte) Basis­leis­tung im Alter oder bei voller Erwerbs­minde­rung (→Grund­sich­erung); seit 2005 Bestand­teil des SGB XII.

2005 trat die nach­gela­gerte Renten­besteu­erung (Alters­einkünfte­gesetz) in Kraft (Quelle: →Str09):
• in den kommenden 35 Jahren werden für jeden neuen Rentner­jahr­gang der Besteu­erungs­anteil für Renten neu und höher berechnet, der Versor­gungs­frei­betrag und ein neuer Zuschlag für Pensi­onen und Betriebs­renten neu und nied­riger fest­gesetzt sowie der Alters­entlas­tungs­betrag für andere Alters­einkünfte neu und geringer ange­setzt;
• in den kommenden 20 Jahren ändern sich jedes Jahr der abzugs­fähige Höchst­betrag für Alters­vorsorge­aufwen­dungen bei allen Erwerbs­tätigen und die Vorsor­gepau­schale bei Ange­stellten und Versor­gungs­empfän­gern:
• in den kommenden 15 Jahren wird die Berech­nung der abzugs­fähigen Vorsorge­aufwen­dungen deut­lich erschwert, weil die beiden neuen Höchst­beträge für Alters­vorsorge­aufwen­dungen und andere Vorsorge­aufwen­dungen mit dem „alten” Vorsorge­höchst­betrag des Jahres 2004 im Rahmen einer soge­nannten Güns­tiger­rechnung vergli­chen werden und der günsti­gere Betrag berück­sich­tigt wird.

Konsequenz: jeder Rentner­jahr­gang (in 2%-Schritten anstei­gend bis 2020, dann in 1%-Schritten anstei­gend bis 2040) muss mehr versteuern, jeder aktiv Beschäf­tigte kann jedes Jahr (anstei­gend bis 2025) mehr für die Alters­vorsorge absetzen. Die Reform geht zurück auf ein Urteil des BVerfGs vom 6. März 2002: es sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der bisher unter­schied­lichen Besteu­erung von Renten aus der GRV und von Beamten­pensi­onen.

Sonderausgaben-
abzug für Alters-
vorsorgebeiträge
Besteuerung der Renten  
Jahr Prozentsatz
%
Jahr des ersten Rentenbezugs Anteil der zu
versteuernden
Rente in %
Jahr  des ersten Rentenbezugs Anteil der zu versteuernden Rente in %
2005 60 bis 31.12.2005 50 2026 86
2006 62 2006 52 2027 87
2007 64 2007 54 2028 88
2008 66 2008 56 2029 89
2009 68 2009 58 2030 90
2010 70 2010 60 2031 91
2011 72 2011 62 2032 92
2012 74 2012 64 2033 93
2013 76 2013 66 2034 94
2014 78 2014 68 2035 95
2015 80 2015 70 2036 96
2016 82 2016 72 2037 97
2017 84 2017 74 2038 98
2018 86 2018 76 2039 99
2019 88 2019 78 2040 100
2020 90 2020 80
202192202181
202294202282
202396202383
202498202484
 ab 2025 100  202585
 Quelle: →vBr09 (Jan von Bröckel: Die Besteuerung von Renten, 2009)

(Stan­dard-)Renten­niveau nennt man das Verhältnis Eckrente / Durch­schnitts­einkommen der Erwerbs­tätigen im selben Jahr. Der Eckrentner hat 45 Jahre Beiträge gezahlt und immer genau den Durch­schnitts­verdienst gehabt. Brutto­renten­niveau = Brutto-Stan­dard­rente / durch­schnitt­liches Brutto­entgelt; das Netto­renten­niveau (nach Steuern) wird seit 2005 nicht mehr verwendet; Netto­renten­niveau vor Steuern = (Stan­dard­rente - darauf entfal­lende Sozial­abgaben) / (Durch­schnitts­verdienst - durch­schnitt­liche Sozi­alab­gaben). 2004 wurden letzt­malig alle drei ausge­wiesen: Brutto 48,6%, Netto vor Steuern 53,0%, Netto nach Steuern 67,9% (Wiki­pedia:→Renten­niveau, auch:→Knu05).

Seit 2006 werden nur noch solche Riester-Versi­che­rungen geför­dert, die gleiche Tarife für Männer und Frauen anbieten („Unisex”-Tarife).

2006 wird auch die Basis­rente („Rürup-Rente”) einge­führt: eine Kapital gedeckte Rente für Selbst­stän­dige sowie gutver­dienende Ange­stellte und Beamte.

2007 beschließt die Grosse Koali­tion, das gesetz­liche Renten­ein­tritts­alter über 18 Jahre hin in Stufen von 2012 bis 2029 auf 67 Jahre zu erhöhen. Diese Entschei­dung soll laut Gesetz 2010 noch einmal über­prüft werden. Der Sach­verstän­digenrat hatte eine solche Erhö­hung vorge­schlagen — aller­dings mit einer Über­gangs­phase von 24 Jahren. Das Gesetz sieht eine jähr­liche Erhö­hung um einen Monat bis 2023 vor, danach um jeweils zwei Monate bis 2029.

2. Die Bedeutung der Demografie

2.1 Demografische Entwicklungen, Lohn­quote und Produk­tivität

Die für die Renten maßgeb­lichen demo­grafi­schen Daten sind die Anzahl der Beitrags­zahler und die der Rentner. Die Zahl der Rentner wird von der Stärke der vor der Rente stehenden Jahr­gänge, vom fakti­schen durch­schnitt­lichen Renten­eintritts­alter und von der soge­nannten ferneren Lebens­erwar­tung (Lebens­erwart­ung, wenn die Person gerade 65 geworden ist — sie ist insge­samt höher als die Lebens­erwar­tung bei Geburt) bestimmt. Daraus lässt sich die Rentner­zahl für die nächsten Jahre recht genau ermit­teln. Die Zahl der Beitrags­zahler wird von der Stärke der Jahr­gänge nach­rückender Jugend­licher, von den Ausbil­dungs­dauern, der Erwerbs­quote bzw. Erwerbs­tätigen­quote (siehe unten; insbe­sondere die der Frauen und Älteren hat sich gestei­gert und ist weiter stei­gerbar!), der Zuwan­derung von Migranten, dem Ausmaß der Erwerbs­minde­rungen, der Stärke der vor der Alters­rente stehenden Jahr­gänge und natür­lich auch dem fakti­schen durch­schnitt­lichen Renten­eintritts­alter bestimmt. Die Wirkung der Haupt­einfluss­größen auf die Zahl der Beitrags­zahler lässt sich aus der Zusam­menset­zung der Alters­kohorten (so nennt man in der Statistik die durch die Lebens­jahre „marschie­renden” Geburts­jahr­gänge) mit Hilfe der Sterbe­tafeln für die nächsten Jahre gut vorher­sagen. Der Einfluss der anderen Größen bleibt unbe­stimmt. Eine welt­weite Sicht der demo­grafi­schen Entwick­lung biete ich später in der Tabelle Entwick­­lung der Bevöl­kerungs­zahlen und der Alters­struktur auf der Welt.

Erwerbstätigenquoten (= Beschäftigungsquoten)
Jahr Deutschland¹ West­deutschland¹ Ost­deutschland¹ Männer¹ Frauen¹ Ältere²
199664,1 %64,4 %63,0 % 72,7 %55,4 %
199763,6 %64,1 %61,8 % 71,8 %55,2 %
199863,7 %64,5 %61,0 % 71,7 %55,6 %37,7 %
199964,8 %65,6 %62,1 % 72,4 %57,1 %
200065,3 %66,3 %61,8 % 72,7 %57,8 %37,4 %
200165,7 %67,0 %61,2 % 72,6 %58,7 %
200265,4 %66,6 %60,7 % 71,8 %58,8 %
200364,9 %66,2 %60,3 % 70,9 %58,9 %
200464,3 %65,5 %59,7 % 70,0 %58,5 %41,4 %
200566,0 %67,1 %61,3 % 71,3 %60,6 %45,4 %
200667,5 %68,6 %64,7 % 72,8 %62,2 %48,4 %
200769,4 %70,1 %66,4 % 74,7 %64,0 %51,5 %
Quelle: →bpb08  ¹) Anteil der Erwerbstätigen an den 15–64-Jährigen ²) Anteil 60–64-jähriger Erwerbstätiger an den 60–64-Jährigen

„Die Erwerbsquote steht für den Anteil der Erwerbs­personen — also Personen, die Arbeit haben oder suchen — an der gleich­altrigen Gruppe in der Gesamt­bevöl­kerung.” (→bpb08) (in Deutsch­land 2007: 58,5% →Erwerbs­quote inter­nati­onal).  Dagegen: Die Beschäf­tigungs­quote bzw. „Die Erwerbs­tätigen­quote entspricht dem Anteil der Erwerbs­tätigen an der Bevöl­kerung im Alter von 15 bis unter 65 Jahren.” (→bpb08)

Jugend-, Alten- und Gesamtquotient mit Altersgrenze 65 Jahre
Auf die 20–64-Jährigen (100 %) entfallen: 2005 2010 2020 2030 2040 2050
unter 20-Jährige (Jugend­quotient): 32,9 % 30,0 % 28,1 % 29,9 % 29,9 % 29,2 %
65-Jährige u. älter   (Alten­quotient)  : 31,7 % 33,6 % 38,7 % 52,2 % 61,4 % 64,3 %
zusammen (Gesamt­quotient): 64,6 % 63,6 % 66,8 % 82,1 % 91,3 % 93,5 %
 Quelle: 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung →Sta06a, Seite 57: Tabelle A 1 (Unter­grenze „mitt­lere” Bevöl­kerung)
unter 20-Jährige (Jugend­quotient): 32,9 % 30,0 % 28,1 % 30,0 % 30,0 % 29,2 %
65-Jährige u. älter   (Alten­quotient)  : 31,7 % 33,5 % 38,0 % 50,3 % 58,0 % 60,1 %
zusammen (Gesamt­quotient): 64,6 % 63,6 % 66,1 % 80,3 % 88,0 % 89,3 %
 Quelle: 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung →Sta06a, Seite 58: Tabelle A 2 (Ober­grenze „mitt­lere” Bevöl­kerung)
Auf einen Rentner entfallen wieviele Erwerbsfähige? 3,2   3,0   2,6   1,9–2,0   1,6–1,7   1,6–1,7  
Auf einen Erwerbsfähigen entfallen wieviele Jugendliche+Rentner? 0,65 0,64 0,66–0,67 0,80–0,81 0,88–0,91 0,89–0,94
 Quelle: Eigene Berechnung aus den angegebenen Daten

Aus dem gegen­wärtigen Aufbau unserer Alters­pyramide ist zu folgern, dass der Alten­quotient (das Verhältnis der Anzahl der über 64-Jä­hrigen zur Anzahl der 20–64-Jä­hrigen, also in etwa das Zahlen­verhältnis Rentner zu Erwerbs­fähigen) in den nächsten Jahr­zehnten zunehmen wird. Das liegt an dem auf den „Baby­boom” nach 1945 ab 1965 folgenden „Pillen­knick” und auch an mehr über­lebenden Rentnern wegen lang­fristig stei­gender Lebens­erwar­tungen. Durch­schnitt­liche Lebens­erwar­tungen stiegen zuletzt recht konstant um fast 3 Monate pro Jahr. Plötz­liche Sprünge in dieser Entwick­lung (etwa durch Erfolge in der Beein­flus­sung der vermu­teten „Alte­rungs­gene”) würden alle bishe­rigen Berech­nungen zunichte machen. Daraus schließen einige Kritiker, dass das der GRV zugrunde liegende Umla­gever­fahren (UV) nicht zukunfts­fähig sei. Es kommt aber auf die Rela­­tion von tatsäch­­lich Erwerbs­­tätigen zu Nicht-Erwerbs­­tätigen (Gesamt­quotient) an, die sich in den näch­sten 40 Jahren nicht sehr verschlech­­tert (→Mar03).

Einige fordern weiter­gehen­dere steuer­liche Bevorzu­gungen kinder­reicher Fami­lien. Programme zur Erhö­hung der Ferti­lität (also „Ankur­belung” der Geburten­rate von gegen­wärtig 1,4 Kindern pro Frau im gebär­fähigen Alter →Kli06) können nur in Jahr­zehnten wesent­lichen Einfluss auf die Erwerbs­tätigen­zahl haben. Zunächst verschlim­mern sie die Situ­ation sogar: es müssen nicht nur die Alten, sondern auch die Kinder versorgt werden (Anstieg des Gesamt­quoti­enten). Eine Alters­pyra­mide wie vor dem 1. Welt­krieg könnte ironi­scher­weise nur wieder entstehen, wenn gleich­zeitig auch die Kinder- und Jugend-Sterb­lich­keit dras­tisch zunähme.

Manche Unheils­propheten sehen gebannt auf die abneh­mende Zahl der Beitrags­zahler — dabei kommt es nur auf die einge­zahlte Beitrags­summe an. Schon in früheren Jahr­zehnten hatten die Beitrags­zahler eine zunehmende Zahl von Rentnern zu versorgen, und es ist ihnen bekannt­lich gelungen, dies aus stei­genden Lohn­summen zu finan­zieren. Es ist eine „Tatsache, dass dieser Prozess seit dem Ende des 19. Jahr­hunderts in bemer­kens­wert konstanter Weise in den indu­striali­sierten Ländern fort­schreitet und früher nie proble­mati­siert wurde”*. Da die Beiträge nach den Lohn­summen erhoben werden, gibt es zwei direkte Einfluss­grössen: Lohn­quote und Produk­tivität.

 *) siehe Phil Mullan: →Gute Preise, goldene Jahre: Die Zukunft ist bezahlbar! (The Imaginary Time Bomb: Why an Ageing
     Population Is Not a Social Problem
)

Lohn- und Gewinnquote 1960–2008
Jahr Arbeit­nehmer-
quote
Tatsäch­liche
Brutto­lohn­quote
Strukturbe­reinigte
Brutto­lohn­quote
Tatsäch­liche
Gewinn­quote
196077,2 %60,1 %65,0 %39,6 %
197083,4 %67,3 %67,3 %32,7 %
198088,3 %75,2 %71,0 %24,8 %
199089,6 %69,8 %65,0 %30,2 %
199190,9 %71,0 %71,0 %29,0 %
199590,0 %71,4 %72,1 %28,6 %
199690,0 %71,0 %71,7 %29,0 %
199789,8 %70,3 %71,2 %29,7 %
199889,8 %70,4 %72,0 %29,6 %
199990,0 %71,2 %71,9 %28,8 %
200090,0 %72,2 %72,9 %27,8 %
200189,9 %71,8 %72,6 %28,2 %
200289,8 %71,6 %72,5 %28,4 %
200389,5 %70,8 %71,9 %29,2 %
200489,1 %68,0 %69,4 %32,0 %
 2005*88,8 %66,6 %68,2 %33,4 %
 2006*88,8 %65,1 %66,6 %34,9 %
 2007*88,8 %64,8 %66,3 %35,2 %
 2008*88,8 %63,7 %65,2 %36,3 %
 *) Vorläufiges Ergebnis  Quelle: →Sch08d

Die Lohn­quote misst das Verhältnis der gesamten Lohn- und Gehalts­summe zur Gesamt­heit aller Einkommen. Während sie früher versetzt gegen die Konjunktur­zyklen nur schwankte, sinkt sie jetzt schon über ein Jahr­zehnt (→Sch08d, →Bre09), d.h. die Löhne sind nicht so schnell gestiegen wie die übrigen Einkommen. Dies wird u.A. mit der Globa­lisie­rung, der schwin­denden Verhand­lungs­macht der Gewerk­schaften und dem Druck auf den Niedrig­lohn­sektor durch Hartz IV erklärt. Gegen­maßnahmen: mehr gesetz­liche Mindest­löhne, Auswei­tung der Basis der GRV durch Erhöhung der Bemes­sungs­grenze und Einbe­ziehung Selbst­stän­diger, sowie Abschöp­fung einiger Gewinne.

Die gesamt­wirt­schaft­liche Arbeits­produk­tivität misst das Verhältnis zwischen dem Index des BIP (Brutto­inlands­produkt) je Erwerbs­tätigen­stunde und dem Index des Arbeit­nehmer­ent­gelts je Arbeit­nehmer­stunde*. Wegen des tech­nischen Fort­schritts und neuer Ideen auch in der Organi­sation steigt sie lang­fristig immer an (solange es keine natio­nalen Kata­stro­phen gibt), kann aber, bei einbre­chender Konjunktur, z.B. wegen Minder­auslas­tung von Produk­tions­anlagen (so bei hinaus­gezö­gerten Entlas­sungen) kurz­fristig auch mal sinken. Maßnahmen zur Förde­rung der Produk­tivität sind z.B. Ausbil­dung und Weiter­bildung der Personen (Stei­gerung des „Human­kapitals”).

 *) siehe → www.bundesbank.de/statistik/statistik_konjunktur_tabellen.php, dort Nr. 06 herunter­laden (i424.pdf).
     Die Verwen­dung des Index heißt hier, dass es sich um Preis­niveau-berei­nigte Werte handelt.

Relative Arbeits­produktivität (zum Basisjahr) in Deutschland
 Jahr  Rela­tives BIP: BIPrel
(Basis 1960)
Rela­tives BIP: BIPrel
(Basis 1995)
Arbeits­volumen: AV
(Mio. Stunden)
Rela­tives Arbeits­volumen: AVrel
(Basis 1995)
Rela­tive Arbeits­produktivität: Πrel
(Basis 1995)
Verän­derung der Arbeits­produk­tivität: ΔΠ
(%)
1960 1,00 0,34   1,22 0,28  
1961 1,04 0,35 56470 1,22 0,29 3,83
1962 1,09 0,37 55690 1,20 0,30 6,27
1963 1,12 0,38 55020 1,19 0,32 4,00
1964 1,2  0,41 55371 1,20 0,34 6,46
1965 1,26 0,43 55329 1,20 0,36 5,07
1966 1,3  0,44 54483 1,18 0,37 4,77
1967 1,29 0,44 51764 1,12 0,39 4,44
1968 1,36 0,46 51507 1,11 0,41 5,95
1969 1,46 0,50 51812 1,12 0,44 6,72
1970 1,58 0,54 52075 1,13 0,47 7,67
1971 1,63 0,56 51428 1,11 0,50 4,46
1972 1,7  0,58 51029 1,10 0,52 5,10
1973 1,78 0,61 50800 1,10 0,55 5,17
1974 1,79 0,61 49402 1,07 0,57 3,40
1975 1,77 0,60 47122 1,02 0,59 3,66
1976 1,86 0,63 47271 1,02 0,62 4,75
1977 1,91 0,65 46959 1,02 0,64 3,37
1978 1,97 0,67 46837 1,01 0,66 3,41
1979 2,05 0,70 47368 1,02 0,68 2,89
1980 2,08 0,71 47611 1,03 0,69 0,94
1981 2,08 0,71 47047 1,02 0,69 1,19
1982 2,07 0,71 46268 1,00 0,70 1,19
1983 2,1  0,72 45572 0,99 0,72 2,99
1984 2,16 0,74 45642 0,99 0,74 2,69
1985 2,2  0,75 45663 0,99 0,76 1,80
1986 2,26 0,77 46003 0,99 0,77 1,96
1987 2,29 0,78 45988 0,99 0,78 1,36
1988 2,38 0,81 46474 1,00 0,80 2,84
1989 2,47 0,84 46645 1,01 0,83 3,40
1990 2,61 0,89 47412 1,03 0,87 3,95
1991 2,75 0,94 47990 1,04 0,90 4,09
1992 2,81 0,96 48140 1,04 0,92 1,86
1993 2,78 0,95 46773 1,01 0,94 1,82
1994 2,86 0,98 46438 1,00 0,97 3,61
1995 2,91 1,00 46025 1,00 1,00 2,66
1996 2,94 1,01 45455 0,98 1,02 2,29
1997 2,99 1,02 45365 0,98 1,04 1,90
1998 3,06 1,05 45744 0,99 1,05 1,49
1999 3,12 1,07 46096 1,00 1,07 1,18
2000 3,22 1,10 46691 1,01 1,09 1,88
2001 3,26 1,12 46715 1,01 1,10 1,19
2002 3,26 1,12 46225 1,00 1,11 1,06
2003 3,25 1,11 45909 0,99 1,11 0,37
2004 3,29 1,13 46129 1,00 1,12 0,74
2005 3,32 1,14        
 Quelle: Wiki­pedia: →Produktivität. Stand 14.12.2009

Die Entwick­lung von Lohn­quote und Produk­tivität lässt sich kaum vorher­sagen. Wir sollten die Lohn­quote steigern, die Wirkungen der Lohn­quote ausgleichen (Erwei­terung der Basis) und vor allem die Produk­tivität erhöhen. Dazu dienen: mehr Bildungs­inves­titi­onen, mehr „Bildung für alle” (keine Selek­tion nach sozi­aler Herkunft) und bessere Effi­zienz zur Anhe­bung des Bildungs­niveaus (mehr Schul­abgän­ger mit Abschluss und mehr Hoch­schul­abschlüsse).

Rentenzuwachs bei unterschiedlichen Wachstumspfaden   Bof99
Jähr­liche Wachs­tums­rate Zuwachs in 30 Jahren Zuwachs in 40 Jahren
0,5 %16 %22 %
1,0 %35 %48 %
1,5 %56 %81 %
2,0 %81 %121 %  
2,5 %110 %  169 %  

2.2 Unter­schied­liche Lebens­erwar­tungen

Die Lebens­erwar­tung (durch­schnitt­liche zu erwar­tende Lebens­dauer) ist in der Gesell­schaft nicht gleich­mäßig verteilt. Leider gibt es in der deut­schen Statistik (anders als in Groß­britan­nien) keine Sterb­lich­keits­daten nach Einkommen, Bildung oder Beruf. So sind die Analysten auf indi­rekte Methoden angewiesen.

Lebenserwartung nach Einkommen   (Quelle:→LLS06)
Monatliches Brutto­einkommen in €:  < 1500 €  1500–2500 € 2500–3500 € 3500–4500 €  > 4500 € 
Frauen: 78,4 Jahre 83,5 Jahre 85,0 Jahre 86,0 Jahre 87,2 Jahre
Männer: 71,1 Jahre 75,5 Jahre 76,5 Jahre 77,8 Jahre 80,0 Jahre
Einkommen und erlebte Jahre in Rente der Männer   (Quelle:→LLS06)
Monatliches Brutto­einkommen in €:  < 1500 €  1500–2500 € 2500–3500 € 3500–4500 €  > 4500 € 
Männer: 10,8 Jahre 13,8 Jahre 15,0 Jahre 16,3 Jahre 18,2 Jahre
Differenz zur höchsten Gruppe: -7,4 Jahre -4,4 Jahre -3,2 Jahre -1,9 Jahre 0 Jahre
Differenz zur höchsten Gruppe: -69 % -32 % -21 % -12 % 0 %
Einkommen und Wahrscheinlichkeit des Rente-Erlebens der Männer   (Quelle:→LLS06)
Monatliches Brutto­einkommen in €:  < 1500 €  1500–2500 € 2500–3500 € 3500–4500 €  > 4500 € 
Erlebenswahrscheinlichkeit: 79,1 % 85,2 % 87,3 % 89,0 % 91,0 %

Unter den Arbeit­nehmern leben die Best­­verdie­­nenden (über 4500 € monat­lich) rund 9 Jahre länger als die Schlech­­test­­verdie­­nenden (unter 1500 € monat­lich) (→LLS06). Lauter­bach: „Gutver­­diener leben länger und lassen sich einen großen Teil ihrer Rente quasi von den Armen bezahlen” (→Lau07). Das lässt sich auch am Beitrags­satz ablesen, den jede Gruppe gebraucht hätte, wenn jede ihre eigene Renten­versi­cherung gehabt hätte:

Einkommen und erforderlicher Beitragssatz der Männer   (Quelle:→LLS06)
Monatliches Brutto­einkommen in €:  < 1500 €  1500–2500 € 2500–3500 € 3500–4500 €  > 4500 € 
Beitragssatz Männer: 15,0 % 17,6 % 19,1 % 20,7 % 23,1 %

Eine ähnliche Statistik nach Einkom­mens­gruppen (wobei die Abgren­zungen unklar bleiben), aber auch nach Bildungs­abschlüssen, wird von Marc Luy in →Luy06 aus Schät­­zungen anhand von Daten des Lebens­er­war­­tungs­­surveys des Bundes­­insti­­tuts für Bevöl­­kerungs­­for­schung gewonnen:

Renten­erleben nach Ein­kommen und Bildung Von den 45-Jährigen erreichen das Renten­­eintritts­­alter 65
(Jahr­­gänge 1934–1952)   (Quelle:→Luy06)
Durchschnitt  Ø niedrigste Einkommens-Gruppe höchste Einkommens-Gruppe nur Haupt­­schul-Abschluss nur Mitt­­lere Reife Abitur / Fach­­abitur
Frauen: 91,9 % 88,5 % 93,4 % 91,1 % 93,7 % 93,4 %
 Diff. zum Ø:   0,0 % -3,4 % +1,5 % -0,8 % +1,8 % +1,5 %
Männer: 77,8 % 64,4 % 81,7 % 74,2 % 86,9 % 87,5 %
 Diff. zum Ø:   0,0 % -13,4 % +3,9 % -3,6 % +9,1 % +1,5 %

Aus dem gleichen Material gewinnt Marc Luy eine entsprechende Statistik nach Berufs­gruppen, genauer nach der Zuge­hörig­keit zur Arbeiter- oder Ange­stellten-Versi­cherung bzw. Selbst­ständig­keit oder Beamtentum:

Renten­erleben nach Berufs­gruppen Von den 45-Jährigen erreichen das Renten­­eintritts­­alter 65
(Jahr­­gänge 1934–1952)   (Quelle:→Luy06)
Durchschnitt  Ø Arbeiter Angestellte Selbst­ständige Beamte
Frauen: 91,9 % 91,1 % 91,9 % 94,0 % 95,9 %
 Diff. zum Ø:   0,0 % -0,8 %  0,0 % +2,1 % +4,0 %
Männer: 77,8 % 69,8 % 82,0 % 82,9 % 86,2 %
 Diff. zum Ø:   0,0 % -8,0 % +4,2 % +5,1 % +8,4 %

Demnach haben 45-jährige Ange­stellte eine um 12,2% größere Chance als Arbeiter, das Renten­alter zu erleben.

Eva Kibele (→Kib08) konnte für ihre neueren Unter­suchungen Daten der Renten­­versi­­che­rung aus Voll­­erhe­­bungen des Renten­­wegfalls und des Renten­­bestandes nutzen und war so nicht auf Schät­zungen ange­wiesen. Sie kommt beim Abstand zwischen Arbeitern und Ange­stellten sogar auf 13%! Daten der Knapp­­schafts­­versi­­cherung zeigen, dass auch frühere Berg­­leute ein um 7% höheres Sterbe­risiko haben als die Ange­stellten. Pflicht­­versi­­cherte der gesetz­­lichen Kranken­­kassen haben ein um 36% höheres Sterbe­­risiko als privat oder frei­­willig Versi­­cherte. Das Sterbe­­risiko von Berufs­­unfähig­­keits- oder Erwerbs­­unfähig­­keits­­rentnern vor dem 60. Lebens­­jahr ist um 74% erhöht.

3. Rentensysteme und ihre Finan­zierung

3.1 Das Säulen-Modell der Welt­bank

Mit dem „World Bank Report on: Averting the Old Age Crisis” 1994 (→Rus02) hat die Welt­bank mit ihrem dort vorge­stellten Säulen­modell für Renten­systeme eine Lawine losge­treten, der zunächst viele Staaten gefolgt sind. Der Report sugge­riert, dass ein System dann der finan­ziellen Unter­stüt­zung der Alten und des wirt­schaft­lichen Wachs­tums am besten dienen könne, wenn es sich auf 3 Säulen verlässt:

1) ein staat­lich verwal­tetes System mit Pflicht­teilnahme und dem begrenzten Ziel, Armut unter den Alten zu vermin­dern,

2) ein privat verwal­tetes System zum verpflich­tenden Sparen,

3) ein System zum Kapital gedeckten frei­willigen Sparen mit persön­­lichen Vorsorge­­konten und Beitrags­­höhen-Orien­­tierung statt Renten­­höhen-Orien­­tierung.

Nachdem das „Welt­bank-Modell” von den Meisten als eine ganz spezi­fische Konstel­lation von Lösungen aufge­fasst wurde und einige Ansichten daraus abge­leitet wurden, sah sich die Welt­bank 1999 veran­lasst, ihre Posi­tion durch das Papier "Rethinking Pension Reform: Ten Myths About Social Security Systems" (→OrS99) der berühmten Wirt­schafts­wissen­schaftler Orszag und Stig­litz (Nobel­preis 2001) klar stellen zu lassen: das „3-Säulen-Modell” sei kein spezi­fischer politi­scher Maßnah­menka­talog, sondern es sei an sich genü­­gend dehnbar, um alle mögli­­chen Kombi­­nati­onen politi­­scher Maßnahmen wider zu spie­­geln. 10 Mythen werden ausdrück­lich bezwei­felt:

  1) dass persön­­liche Vorsorge­­konten die Spar­­quote erhöhen,

  2) dass bei persön­­lichen Vorsorge­­konten die Renditen höher seien,

  3) dass fallende Renditen der Umlage­­systeme grund­­sätz­­liche Probleme des UV wider spiegeln,

  4) dass das Inves­tieren staat­­licher Treu­­hand-Fonds in Finanz­­kapital keine makro­­ökono­mi­schen Auswir­­kungen hat,

  5) dass die Arbeits­­markt-Anreize bei persön­­lichen Vorsorge­­konten besser seien,

  6) dass Renten­­höhen-orien­­tierte Spar­­pläne notwen­­diger­­weise Anreize für einen frühen Renten­­eintritt geben,

  7) dass der Wett­­bewerb nied­­rige Verwal­­tungs­­kosten bei persön­­lichen Vorsorge­­konten sichert,

  8) dass korrupte und inef­fi­zi­ente Regie­­rungen für persön­­liche Vorsorge­­konten sprechen,

  9) dass die Politik der Rettungs­­aktionen schlimmer ist unter staat­­licher Renten­­höhen-Orien­­tierung,

10) dass das Inves­tieren unter staat­­lichen Renten­­fonds immer verschwen­­derisch und schlecht verwaltet ist.

Schluss­­­folge­­­rung der Autoren: Schritte hin zum privat verwal­­­teten, Renten­­­höhe-orien­­­tierten Renten­­­system können einen (oder auch keinen) nach­­­teiligen Effekt haben auf Spar­­­tätig­­­keit, Arbeits­­­angebot oder Staats­­­haus­­­halt.

Dass hier persön­­liche Vorsorge­­konten bei privaten Kapital gedeckten Versi­­cherungen betont werden, muss uns sehr verwun­­dern, denn wir führen in unserer GRV Konten mit Entgelt­­punkten nach den persön­­lichen Arbeits­­entgelten.

Die Idee eines über Finanz­märkte privat organi­sierten Sozi­alver­siche­rungs­systems wurde, unter Beschwö­rung demo­grafi­scher Kata­strophen, die Propa­ganda-Idee der Konser­vativen. Die Anwei­sungen dazu stehen in einer 2005 durch­gesi­ckerten E-Mail eines Peter H. Wehner (aus dem Stab von George W. Bush) (→Sozial­ver­siche­rungs­memo­randum des Weißen Hauses). Basis der Stra­tegie (über­setzt): „Das gegen­wärtige System fährt auf einen Eisberg zu. ... Wir müssen im öffent­lichen Bewusst­sein eine finan­zielle Tatsache veran­kern: jetzt gerade sind wir auf einem unhalt­baren Kurs.” Beto­nung, „dass persön­liche Konten, durch das Wunder des zusam­menge­setzten Zinses, Arbeiter mit höheren Renten­zahlungen versorgen werden, als sie gegen­wärtig von der Sozial­versi­cherung bekom­men.” „Die Debatte über Sozi­alver­siche­rung führt zu einem monumen­talen Zusammen­prall von Ideen ... Das erste Mal in sechs Jahr­zehnten ist die Sozi­alver­siche­rungs­debatte eine, die wir gewinnen können”.  Nobel­preis­träger (2008) Paul Krugman kommentierte dies (→Kru05, über­setzt): er hat die Um­stiegs­kosten komplett über­sehen — „die Priva­tisie­rung wird in den näch­sten 45 Jahren mehr kosten als bringen”.

3.2 Gestaltung des Umlage­verfah­rens (UV)

53% der Deut­schen glauben, dass es in der GRV eine Renten­kasse gibt, in der die laufenden Beiträge gesammelt werden und aus der im Alter die Rente ausge­zahlt wird — bei den Gebil­deten sind es noch mehr (→BBT01). Eine solche Renten­kasse gibt es nicht, jeden­falls keine, die diesen Namen verdient hätte. Die gesamten Renten­beiträge eines Jahres werden im gleichen Jahr — abzüg­lich geringer Verwal­tungs­kosten (1,4–1,6%) und zuzüglich erheb­licher staat­licher Zuschüsse (z.Zt. etwa 26% der GRV-Einnahmen, damit etwa 24% der Bundes­aus­gaben) — an die Rentner wieder ausge­geben. Dies ist das Umla­gever­fahren (UV). Genau genommen geschieht diese Umlage sogar monat­lich: dann dient eine kleine Nach­haltig­keits­rück­lage (früher tref­fender Schwan­kungs­reserve genannt) dem Ausgleich der kleinen Schwan­kungen zwischen den Beitrags­eingängen und den Renten­auszah­lungen. Sie darf am 31.12. eines Jahres nicht nied­­riger als 0,2 und nicht höher als 1,5 Monats­­aus­gaben sein (→vBr08), sonst ist der Beitrags­satz im Folge­jahr entspre­chend anzu­passen.

Der Renten­bedarf eines Jahres kann ein halbes Jahr vorher ziem­lich genau geschätzt werden. Dann muss evtl. ein neuer Beitrags­satz fest­gesetzt werden.

(Wiki­pedia: →GRV, Stand 29.12.2009:) Für erwerbs­tätige Pflicht­versi­cherte wird auf ihr Brutto­einkommen ein prozen­tualer Beitrag nach Maßgabe des geltenden Beitrags­satzes (z.Zt. 19,9%) an die GRV erhoben: zur Hälfte von den Arbeit­nehmern und zur Hälfte von den Arbeit­gebern. Es gibt in der GRV eine Bemes­sungs­grenze (in der DRV z.Zt. in den alten Bundes­ländern 5.400 € pro Monat bzw. 64.800 € pro Jahr, in den neuen Bundes­ländern 4.550 € pro Monat bzw. 54.600 € pro Jahr — in der Knapp­schafts­versi­cherung mehr). Liegt das Brutto­einkommen über diesem Betrag, wird nicht nach Beitrags­satz gezahlt, sondern nur genau dieser Betrag. Entspre­chend beschränkt sich aber auch der Renten­anspruch. Seit 1972 können sich auch Selbst­stän­dige und Haus­frauen frei­willig betei­ligen (mit vollem Beitrag). Für gering­fügig entlohnte Beschäf­tigte ist vom Arbeit­geber ein Pauschal­beitrag von 15% des vollen Beitrags­anteils zu zahlen. Eine Beschäf­tigung neben dem Bezug der Regel­alters­rente ist für den Beschäf­tigten versi­che­rungs­frei, aber der Arbeit­geber muss weiterhin den Beitrags­anteil abführen, der zu zahlen wäre, wenn der Beschäf­tigte versi­che­rungs­pflichtig wäre (ohne Auswir­kungen auf die Renten­ansprüche des Rentners).

Tritt bei einem Beschäf­tigten (teil­weise) Erwerbs­minde­rung ein (dazu muss das Leis­tungs­vermögen für alle Tätig­keiten auf weniger als sechs Stunden pro Tag herab gesunken sein), steht ihm seit 2001 eine Erwerbs­minde­rungs­rente zu (vorher Erwerbs­unfähig­keits­rente): damit beginnt für etwa ein Sechstel aller Rentner das Rentner­dasein (für weniger als 10% von ihnen nur teil­weise) (Wiki­pedia: →GRV). Sie müssen mit Abschlägen bis maximal 10,8% rechnen, bevor sie 60 Jahre alt sind. Genauso wie eine Alters­rente wird diese Rente von der GRV bezahlt; ebenso die evtl. notwen­dige Reha­bili­tation. Die GRV bezahlt auch die Renten an Hinter­blie­bene von Versi­cherten.

Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen der Versi­cherte aus bestimmten aner­kannten Gründen keine Beiträge zahlen konnte. Sie werden renten­stei­gernd ange­rechnet (→Anrech­nungs­zeiten, 2002; Wiki­pedia: →Anrech­nungs­zeit). Dazu zählen:

• Krank­heit (Arbeits­unfä­higkeit), Leis­tungen zur Reha­bili­tation (medi­zini­sche Heil­behand­lung oder Berufs­förde­rung) — außer bei Entgelt­fort­zahlung.

• Schwanger­schaft, Schutz­fristen bei Mutter­schaft.

• Arbeits­losig­keit (wenn dadurch eine versi­che­rungs­pflich­tige Beschäf­tigung unter­brochen wurde).

• Besuch einer Schule, Fach­schule, Hoch­schule oder Berufs­bil­dungs­maßnahme nach dem vollen­deten 17. Lebens­jahr (höch­stens 3 Jahre). Aber: Anrech­nungs­zeiten für Schul- und Hoch­schulaus­bildung werden ab 1. Februar 2005 schritt­weise von bisher 3 bewer­teten Jahren auf 0 gestri­chen. Neurentner ab 2009 sollen dann keine renten­erhö­henden Anrech­nungs­zeiten für Schul- und Hoch­schulaus­bildung mehr (wohl aber für Fach­schul­ausbil­dung und berufs­berei­tende Bildungs­maßnahmen) erhalten (→Sozial­verband Deutsch­land).

• Renten­bezugs­zeiten vor dem 55. Lebens­jahr bzw. die in einer früheren oder bishe­rigen Rente enthal­tene Zurech­nungs­zeit.

Anrech­nungs­zeiten können auch als Warte­zeit zählen, aller­dings nur für die Alters­rente für lang­jährig Versi­cherte und für die Erwerbs­minde­rungs­rente. Versi­cherte haben Anspruch auf die Regel­alters­rente, wenn sie das erfor­der­liche Lebens­jahr voll­endet und die allge­meine Mindest­versi­che­rungszeit (Warte­zeit) von 5 Jahren erfüllt haben.

Für Empfänger von ALG I zahlt die BA 80% der bisher gezahlten GRV-Beiträge: beim Durch­­schnitts­­verdiener entsteht für 1 Jahr Arbeits­­losig­­keit ein monat­­licher Renten­­anspruch von 21,25 € (West) bzw. 18,67 € (Ost) (→vdH09). Für länger­fristig Arbeits­lose (ALG II Bezieher) werden die Beiträge auf Basis von monat­­lich 400 € von der BA an die GRV gezahlt (2005, →Sch05a), das ergibt eine Einzah­lung von 40,80 € pro Monat: damit entsteht für 1 Jahr Arbeits­­losig­­keit ein zusätz­licher monat­­licher Renten­­anspruch von 2,17 € (West und Ost) (→vdH09), das sind 8% der Renten­­­anwart­­­schaft eines Durch­­­schnitts­­­verdie­­­ners (→AP09).

Einem erzie­henden Eltern­teil (meistens der Mutter) werden die ersten drei Lebens­jahre des Kindes als Kinder­erzie­hungs­zeit (kosten­freie Pflicht­beiträge) aner­kannt, bei Geburten vor 1992 nur das erste Lebens­jahr. Sie werden bewertet, als hätte das betrof­fene Eltern­teil ebenso viel verdient wie der Durch­schnitt aller Beschäf­tigten. Zeiten der Erzie­hung eines Kindes bis zur Voll­endung des 10. Lebens­jahres sind außerdem Berück­sichti­gungs­zeiten, die sich nur bei nicht­selbstständiger Tätigkeit auf die Höhe der Rente auswirken. Für Geburts­jahr­gänge der Mütter vor 1921 in den alten Bundes­ländern und für Geburts­jahr­gänge vor 1927 in den neuen Bundes­ländern gibt es keine Erzie­hungs­zeiten, sondern eine in der Höhe gleich­artige Kinder­erzie­hungs­leis­tung (→Erzie­hungs­zeiten).

Eckdaten der Rentenversicherung
Im Jahr Beitrags-
zahler  
Rentner Beitrags-
einnahmen 
Bundes­zuschüsse Rentenaus-
gaben usw.
Verwal-
tung
Über-
schuss
2007 35 Mio.  20 Mio.  173,9 Mrd. €  38,1+17,9=56,0 Mrd. €  218,9 Mrd. €  3,5 Mrd. €  1,2 Mrd. € 
 Quellen: →Sop08, →DRV08. 75,1 % 16,5 + 7,7 = 24,2 % 94,6 % 1,5 % 0,5 %
2009 35 Mio.  20 Mio.  *180,2 Mrd. €  *38,6+18,7=57,3 Mrd. €  *227,1 Mrd. €  *3,5 Mrd. €  *-0,1 Mrd. € 
 Quellen: →DRV10.  *) geschätzt *74,9 % *16,0 + 7,8 = 23,8 % *94,3 % *1,4 % *-0,1 %

Zahlungen oder die Gewäh­rung geld­werter Vorteile, zu denen die GRV-Träger verpflichtet sind, ohne dass Bei­trags­zahlungen seitens der damit Bedachten zugrunde liegen, nennt man Versi­che­rungs­fremde Leis­tungen (Wiki­pedia: →Versi­che­rungs­fremde Leis­tungen). Der Bundeszuschuss soll die GRV von Versi­che­rungs­fremden Leis­tungen entlasten: der Staat zahlt der GRV einen etwa kosten­deckenden Zuschuss für Aufgaben der Gesamt­heit der Steuer­zahler bzw. die der Bund der GRV aufer­legt hat („wer die Zeche bestellt, soll sie bezahlen”). Dazu zählen:
• Kinder­erzie­hungs­zeiten.
• Anrech­nungs­zeiten.
• Ersatz­zeiten (für Vertrei­bung oder DDR-Haft).
• Vereini­gungsbe­dingte Leis­tungen (Renten-Sonder­rege­lungen).
• Fremd­renten und Vertrags­renten (aus Sozial­versi­che­rungs­abkommen mit verschie­denen Ländern).
Der allge­meine Bundes­zuschuss ist keine Subven­tion der GRV! Er wird seit 1.4.98 um einen zusätz­lichen Bundes­zuschuss ergänzt, „damit der Beitragssatz um 1% nied­riger festge­setzt werden kann” als ohne ihn (→DRV: Bundes­zuschuss). Jetzt deckt der Zuschuss nach Ansicht vieler Experten fast (→Sch06, →Ses06, →Teu04: 2001 ca. 15 Mrd. € Ver­siche­rungs­fremde Leistungen nicht durch Bundes­mittel gedeckt) die Höhe der Versi­che­rungs­fremden Leis­tungen. Doch spart der Bund seit 2007 jähr­lich rund 2 Mrd. € an gerin­geren Beiträgen für ALG-II-Bezieher (→„Bundes­zuschuss zu Rente steigt”, 2006). Etwa 12,5 Mrd. € dienen zur steuer­lichen Förde­rung der Riester-Rente (→EnK08). Die Bundes­zuschüsse glie­derten sich 2007 in folgende Haus­halts­titel: allge­meiner Bundes­zu­schuss ca. 38 Mrd € (richtet sich nach der Entwick­­lung der durch­­schnitt­­lichen Brutto­­arbeits­­entgelte und des Beitrags­­satzes →Sch01), zusätz­licher Bundes­zu­schuss zur „Stabi­lisie­rung der Beitrags­sätze” 8,7 Mrd € (1 Prozent­punkt der Mehr­wert­steuer) und Erhö­hungs­betrag zum zusätz­lichen Bundes­zu­schuss (ursprünglich die volle Öko­steuer, aber seit 2004 nur mit der Ände­rungs­rate der Brutto­lohn­summe fortge­schrieben →Sch01) ca. 9,2 Mrd € (→SaR08).

Beiträge auf Arbeits­entgelte sowie Anrech­nungs­zeiten werden bei der Renten­versi­cherung in Entgelt­punkte umge­rechnet, im Laufe des Erwerbs­lebens aufsum­miert und bei Renten­eintritt in einen Renten­wert zurück gerechnet. →wiki10: Jeder Versi­che­rungs­nehmer führt aus seinem laufenden Gehalt (aus einer versi­che­rungs­pflich­tigen Tätig­keit) einen bestimmten Prozent­satz als Beitrag über die Einzugs­stelle bzw. als direkte Beitrags­zahlung an den Renten­versi­che­rungs­träger ab. Dafür errechnet der GRV-Träger Entgelt­punkte. 2008 ergibt ein Jahres­ver­dienst von 30.084 € (Durch­schnitts-Brutto-Entgelt 2008 der Versi­cherten) genau einen persön­lichen Entgelt­punkt. Wer genau so viel wie der Durch­schnitt aller Einzahler (das Durch­schnitts­entgelt ist nach neuen und alten Bundes­ländern getrennt) einzahlt, bekommt jähr­lich genau einen Entgelt­punkt; wer nur die Hälfte des Durch­schnitts einzahlt, nur 0,5 Punkte. Wer bis zur Beitrags­bemes­sungs­grenze einzahlt, bekommt derzeit ca. 2 Punkte. Für Kinder­erzie­hungs­zeiten für ab dem 1. Januar 1992 geborene Kinder werden i.d.R. 36 Monate (36 x 0,0833 = 2,9988 Entgelt­punkte) ange­rechnet. Renten­formel: Persön­liche Renten­höhe bei Renten­beginn = summierte Punkte mal Zugangs­faktor mal Renten­art­faktor mal Aktu­eller Renten­wert. Renten­anspruch an der Beitrags­bemes­sungs­grenze: 64800 € - 30879 € (vorläu­figes Durch­schnitts­einkommen West) = 2,0985 Entgelt­punkte · 26,56 € Aktu­eller Renten­wert (West) = 55,74 € mtl. Renten­zuwachs (→Max. Entgelt­punkte). Die Höchst­rente als höchste denkbar zu errei­chende Rente ergibt sich implizit aus dem gesetz­lich fest­geschrie­benen Maximal­wert der jähr­lich zu erwer­benden Entgelt­punkte und der maximal mögli­chen Einzah­lungs­dauer: z.Zt. 2200 € brutto (nur von theore­tischem Inter­esse). Höchst­rente lt. DRV im Westen derzeit 2113 €, im Osten 1857 € (→Höchst­rente, 2008).

Der Zugangs­faktor (seit 1992) richtet sich nach dem Alter der Versi­cherten bei Renten­beginn oder beim Tod (Wiki­pedia: →Zugangs­faktor). Bei Errei­chen der Regel­alters­grenze beträgt der Zugangs­faktor 1,000. Im Falle der vorzei­tigen Inan­spruch­nahme vor der Regel­alters­grenze (max. 60 Monate) ergibt sich eine Renten­kürzung um 0,3% pro Monat (Abschläge) — nach der Regel­alters­grenze erhöht er sich um 0,5% pro Monat (Zuschläge).

Der Renten­art­faktor (seit 1992) bestimmt die Renten­höhe in Abhän­gigkeit von den unter­schied­lichen Siche­rungs­zielen der Renten­arten (Wiki­pedia: →Renten­art­faktor). Er bewirkt, dass Renten mit Lohn­ersatz­funk­tion (z.B. Alters­renten) trotz der glei­chen zugrunde liegenden Beitrags­leis­tung höher sind als Renten mit Lohn­zuschuss­funk­tion (z.B. wegen teil­weiser Erwerbs­minde­rung) oder Unter­halts­ersatz­funk­tion (z.B. Witwen­renten).

Der Aktu­elle Renten­wert (seit 1992) ist der einer monat­lichen Alters­rente entspre­chende Betrag, wenn für ein Kalen­derjahr Beiträge in Höhe des Durch­schnitts­ver­dienstes aller Versi­cherten gezahlt worden sind (Wiki­pedia: →Aktu­eller Renten­wert). Für die neuen Bundes­länder gilt ein gerin­gerer Aktu­eller Renten­wert (Ost), der nicht schwächer steigen darf als der Aktu­elle Renten­wert (West): zur allmäh­lichen Anglei­chung der Renten. Der Aktu­elle Renten­wert wird nach der Renten­­anpas­­sungs­­formel fortge­­schrieben. Zum 1. Juli 2000 wurde er — abwei­chend von §69 SGB VI — durch das sogen. „Infla­tions­aus­gleichs­gesetz” bestimmt.

 Aktu­eller Renten­wert
jeweils ab 1. Juli Ost Entwicklung Ost West Entwicklung West
1999 21,61 € 24,84 €
2000 21,74 € 0,6% 24,99 € 0,6%
2001 22,06 € 1,5% 25,31 € 1,3%
2002 22,70 € 2,9% 25,86 € 2,2%
2003 22,97 € 1,2% 26,13 € 1,0%
2004 * 0,0% * 0,0%
2005 * 0,0% * 0,0%
2006 * 0,0% * 0,0%
2007 23,09 € 0,5% 26,27 € 0,5%
2008 23,34 € 1,1% 26,56 € 1,1%
2009 24,13 € 3,38% 27,20 € 2,41%
*) Zum 1. Juli 2004, 2005 und 2006 wurde die Renten­anpas­sung per Gesetz ausge­setzt („Nullrunden”).
 Quelle: Wiki­pedia: →Aktu­eller Renten­wert.

Per Renten­anpas­sungs­formel (oft fälsch­lich nur Renten­formel) wird der Aktu­elle Renten­wert fortge­schrieben:

Rentenanpas-  sungsformel Lohn-/Gehalts- kompo­nente   Beitrags­kompo­nente: Nachhaltigkeits- komponente
  Riester-Faktor   Beitrags­satz-Faktor  
Aktueller Rentenwert j = Aktueller Rentenwert j-1  ·  Bruttolohn je Arbeitnehmer j-1  ·  100% -  „Altersvorsor-  geanteil”-% j-1  -  GRV-Bei- tragssatz-% j-1  ·  [(1  Ä-Rentner- Quotient j-1 ) ·α+1]






modif. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2 100% -  „Altersvorsor-  geanteil”-% j-2  -  GRV-Bei- tragssatz-% j-2 Ä-Rentner- Quotient j-2

 Quellen: →Sach­verstän­digenrat: Gutachten 2008,  →Frankfurter Rundschau Spezial zum Thema Rente (1.7.2008)

Die Lohn-/Gehalts­kompo­­nente berechnet im Wesent­lichen die 1957 einge­führte dynami­sche Rente gemäß der Entwick­lung der durch­schnitt­lichen Brutto­löhne/-ge­hälter. Die Kompli­zie­rung mit dem modi­fi­zierten und dem beitrags­pflich­tigen Brutto­lohn dient einer Korrektur der Werte aus der VGR (die auch Beamte mitzählt) durch die Werte der Renten­versi­cherung (in der auch Arbeits­lose versi­chert sind) (→Sach­verstän­digenrat: 2008).

Die Beitrags­kompo­­nente wurde 2002 mit der Riester-Rente einge­führt und dämpft die späteren Renten stark und recht dauer­haft. Das dubiose am Riester-Faktor ist, dass auch Rentner und GRV-Versi­cherte, die gar keinen Riester-Vertrag abge­schlossen haben, davon betroffen sind. Damit schlägt sich die Verla­­gerung auf Kapital gedeckte Renten­­anteile für alle dämpfend in der Berech­­nung der umlage­­finan­­zierten Rente nieder (→Ses06).

Die Nach­haltig­keits­kompo­­nente („Nach­haltig­keits­faktor”) ersetzt seit 1. Juli 2005 Blüms 1998 nicht zur Anwen­dung gekom­menen „Demo­grafi­schen Faktor”. Der Demo­grafi­sche Faktor für das Jahr j berech­nete sich als DFj=(LE65j-9/LE65j-8-1)/2+1, wobei LE65j die Lebens­erwar­tung der 65-Jäh­rigen im Jahre j ist. Durch die Divi­sion durch 2 wird die multi­plika­tive Auswir­kung in der Renten­anpas­sungs­formel halbiert (→Lom04). Der Nach­haltig­keits­faktor passt die Entwick­lung des Renten­niveaus an die demo­grafi­sche Entwicklung an, wobei er im Unter­schied zum Demo­grafi­schen Faktor auch Effekte wie Ände­rungen der Erwerbs­quote, Wande­rungs­bewe­gungen und die aktu­elle Lebens­erwar­tung erfasst (→Lom04, →BRW04). Nach Ansicht des Sach­verstän­digen­rats kommt „der Größe α, die den Einfluss des Nach­haltig­keits­faktors auf die Renten­anpas­sung gewichtet, eine zentrale Bedeu­tung zu ... Bei einem α von 0 würde das Renten­niveau ... nicht von der Verän­derung der Erwerbs­tätig­keit oder der demo­grafi­schen Entwick­lung beein­flusst, während bei einem α von 1 Verän­de­rungen der Erwerbs­tätig­keit und Demo­grafie ... faktisch keinen Einfluss auf den Beitrags­satz hätten. Die Tatsache, dass der Nach­haltig­keits­faktor mit einem Gewicht von 0,25 versehen wurde, dokumen­tiert einen inter­genera­tiven Vertei­lungs­kompro­miss.” (→Sach­verstän­digenrat: Gutachten 2008). Es sorgt dafür, dass die Rentner zu einem Viertel an der Verän­derung der Relation Rentner / Beitrags­zahler beteiligt werden. Der mindernde Einfluss des Nach­­haltig­­keits­­faktors ist auch bei dieser Gewich­­tung (d.h. 0,25) größer, als der des Demo­­grafi­­schen Faktors gewesen wäre (→Lom04).

Mit dem Renten­­versiche­­rungs-Nach­­haltig­­keits­­gesetz 2004 wurde eine Schutz­­klausel einge­­führt, dahin­­gehend, dass die Rentner keine Renten­­kür­­zungen aufgrund der Dämp­­fungs­­faktoren (Nach­­haltig­­keits- und Riester-Faktor) hinnehmen sollen. 2006 ist die Schutz­­klausel um einen Nachhol­­faktor modifi­­ziert worden: die „ausge­­fallene Dämp­­fungs­­wirkung wird ab dem Jahr 2011 solange durch eine Halbie­­rung der sich dann erge­­benden posi­­tiven Renten­­anpas­­sungen reali­­siert oder nach­­geholt, bis die ausge­­fallene Dämp­­fungs­­wirkung ausge­­glichen ist.” (→Bun09). Dieses Zusammen­­wirken von Schutz­­klausel und Nachhol­­faktor ist am 19.6.2009 auch auf die Lohn- und Gehalts­­kompo­­nente erwei­­tert worden (Olaf Scholz' soge­­nannte „Renten­­garantie”). Insge­­samt hat die mehr­­fache Anwen­­dung von Schutz­­klau­­seln den Aktu­­ellen Renten­­wert um einiges höher gehalten, als er nach den Absichten der Erschaffer der Renten­­anpa­­sungs­­formel hätte sein sollen (→KrS09). Kritiker sprechen schon vom Nachhol­berg, der zu entspre­chenden Mehr­belas­tungen der Beitrags­zahler geführt hat, aber zukünf­tige Belas­tungen der Rentner verur­sachen wird (→Der Nachholberg in der GRV, 2009).

j bezeichnet das Jahr, für das der Aktu­elle Renten­wert berechnet wird, j-1 dann dessen Vorjahr.

Bruttolohn = Brutto-Lohn und -Gehalt je Arbeit­nehmer gemäß der Volks­wirt­schaft­lichen Gesamt­rech­nung (VGR).

modif. Bruttolohn = Brutto­lohn und -gehalt je Arbeit­nehmer unter Berück­sichti­gung der folgenden Verän­derung:

 modif. Bruttolohn  je Arbeitnehmer j-2 = Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2  · 
 Bruttolohn je  Arbeitnehmer j-2

 Bruttolohn je  Arbeitnehmer j-3

bpfl. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-2

bpfl. Bruttolohn je Arbeitnehmer j-3

bpfl. Bruttolohn = Brutto­­lohn und -gehalt, beitrags­­pflich­­tig, nach der Versi­­cherten­­statistik des Verbandes Deut­­scher Renten­­versi­­che­­rungs­­träger einschließ­­lich der Beiträge auf Arbeits­­losen­­geld.

„Altersvorsorgeanteil”-% = bekannt unter dem Namen Riester-Faktor, wurde 2003 einge­führt. Er berück­­sichtigt die "Belas­­tung" der Erwerbs­­tätigen durch verstärkte private Alters­­vorsorge (Riester-Rente). Offi­­zielle Begrün­­dung (→Bun09): „Beschäf­­tigte, die privat mit der Riester-Rente für ihre Alters­­vorsorge sparen ("riestern"), haben weniger netto für ihre private Lebens­­führung übrig. Da dies eine Belas­­tung für die Erwerbs­­tätigen bedeutet, müssen auch die Rentner Einschnitte hinnehmen. Jede Renten­­erhö­­hung wird daher durch den Riester-Faktor um etwa 0,6 Prozent­­punkte gemin­­dert.” Auf diese merk­würdige Aussage werde ich noch zurück kommen.
2004 wurde gesetz­­lich eine „Null­­runde” verordnet. Mit dem Renten­­anpas­­sungs­­gesetz 2008 wurde der Riester-Faktor in 2008 und 2009 jeweils ausge­­setzt. Die beiden ausge­­setzten Stufen sollen bei den Renten­­anpas­­sungen 2012 und 2013 nach­­geholt werden (→Bun09).

Jahr in Riester-Vertrag zu zahlender Mindest­anteil
des Brutto­gehalts („Riestersatz”)
„Riester-Faktor”
Alters­­vorsorge­anteil
(→Arbeit­­nehmer­­kammer: Renten­­anpas­­sung, →Bun08a)
ursprüng­lich geplant gemäß der Null­runde 2003¹ und RAG 2008²
vor 2002      0,0 % 0,0 % 0,0 %
2002 1,0 % 0,5 % 0,5 %
2003 1,0 % 1,0 %  0,5 %¹
2004 2,0 % 1,5 % 1,0 %
2005 2,0 % 2,0 % 1,5 %
2006 3,0 % 2,5 % 2,0 %
2007 3,0 % 3,0 %  2,0 %²
2008 4,0 % 3,5 %  2,0 %²
2009 4,0 % 4,0 % 2,5 %
2010 4,0 % 4,0 % 3,0 %
2011 4,0 % 4,0 % 3,5 %
ab 2012      4,0 % 4,0 % 4,0 %

GRV-Beitragssatz-% = berück­­sichtigt die "Belas­­tung" der Erwerbs­­tätigen durch die Beiträge zur GRV. Woher auch diese merk­würdige "beson­­dere Belas­­tung" kommt, wird noch zu erwähnen sein.

Beitragssätze in der Rentenversicherung Monatliche Beitragsbemessungsgrenzen
JahrBeitragssatzWestOst
197017,0 %1.800 DM
197518,0 %2.800 DM
198018,0 %4.200 DM
198518,7 %5.400 DM
198619,2 %5.600 DM
198718,7 %5.700 DM
198818,7 %6.000 DM
198918,7 %6.100 DM
199018,7 %6.300 DM 2.700 DM²
199117,7 %6.500 DM 3.000 DM¹
 3.400 DM²
199217,7 %6.800 DM4.800 DM
199317,5 %7.200 DM5.300 DM
199419,2 %7.600 DM5.900 DM
199518,6 %7.800 DM6.400 DM
199619,2 %8.000 DM6.800 DM
199720,3 %8.200 DM7.100 DM
199820,3 %8.400 DM7.000 DM
199919,5 %8.500 DM7.200 DM
200019,3 %8.600 DM7.100 DM
200119,1 %8.700 DM7.300 DM
200219,1 %4.500 €   3.750 €   
200319,5 %5.100 €   4.250 €   
200419,5 %5.150 €   4.350 €   
200519,5 %5.200 €   4.400 €   
200619,5 %5.250 €   4.400 €   
200719,9 %5.250 €   4.550 €   
200819,9 %5.300 €   4.500 €   
200919,9 %5.400 €   4.550 €   
201019,9 %5.500 €   4.650 €   
Quellen: →Entwick­­lung des Beitrags­­satzes, →Wiki­pedia:Beitrags­­bemes­­sungs­­grenze,
Beitrags­sätze und Beitrags­­bemes­­sungs­­grenzen
¹) 1. Halbjahr
²) 2. Halbjahr

Ä-Rentner­­quotient = Zahl der Äqui­­valenz­­rent­ner / Zahl der Äqui­­valenz­­­beitrags­­zahler.

Äqui­­valenz­rent­ner = um Verzer­­rungen aufgrund gering­­fügiger Beitrags­­zah­­lungen bzw. Renten­­leis­­tungen zu vermeiden, wird die Anzahl der Rentner in „Äqui­­valenz­­rentner” umge­­rechnet: Gesamt­­renten­­volumen / Stan­­dard­­rente (→BMAS Renten­lexikon: Äquiv.-Rentner und Äquiv.-­Beitrags­­zahler).

Äqui­­valenz­­­beitrags­­zahler = in analoger Weise wird die Anzahl der „Äqui­­valenz­­beitrags­­zahler” errechnet, indem das Gesamt­­volumen der Beiträge aller versi­­che­­rungs­­pflichtig und gering­­fügig Beschäftigten sowie der Bezieher von Arbeits­­losen­­geld durch den auf das Durch­­schnitts­­entgelt entfal­­lenden Beitrag divi­­diert wird.

Absteigende Entwicklung des Rentenniveaus in % des Einkommens eines Durchschnittsverdieners
JahrBrutto-Renten­niveauNetto-Renten­niveau
vor Steuern
JahrBrutto-Renten­niveauNetto-Renten­niveau
vor Steuern
1982↑ 50,5 %↓ 58,4 % 1998↓ 48,5 %↓ 53,6 %
1984↓ 50,9 %↓ 58,1 % 2000↑ 48,2 %↑ 52,8 %
1986↑ 50,7 %↓ 56,4 % 2002↓ 48,3 %↓ 52,9 %
1988↓ 51,0 %↓ 56,3 %   2004*↓ 47,0 %↓ 52,4 %
1990↓ 50,2 %↓ 55,0 %   2006*↓ 46,1 %↓ 51,0 %
1992↑ 48,5 %↑ 53,1 %   2008*↓ 44,7 %↓ 50,0 %
1994↓ 49,7 %↓ 54,7 %   2010*↓ 43,7 %↓ 48,1 %
1996→ 48,5 % ↑ 53,3 %   2012*↓ 43,5 %→ 47,5 % 
 *) Voraus­berech­nung  |  Quelle:→Bundeszentrale für politische Bildung, 2005 (nach Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, 11.2004)

Die Grund­sich­erung ist eine eigen­stän­dige Sozial­leis­tung (nicht aus den Mitteln der GRV) und der Hilfe zum Lebens­unter­halt vorrangig (→VsL08). Sie ist keine Sozial­hilfe. Die Regel­leis­tung für Allein­stehende beträgt 347 € im Monat, für (Ehe-)Paare 624 €. Dazu werden noch die (angemes­senen) Kosten für die Wohnung über­nommen, die unter­schied­lich hoch ausfallen (→Win08b). Der Vorteil gegen­über der Sozial­hilfe: es wird in der Regel nicht auf das Einkommen und Vermögen von Verwandten zurück gegriffen. Seit 2005 sind der bishe­rige Regel­satz und der 15%-Zuschlag zu einem einheit­lichen neuen Regel­satz zusam­menge­fügt. Anspruchs­berech­tigt sind Menschen mit gewöhn­lichem Aufent­halt in der BRD, die das 65. Lebens­jahr voll­endet haben oder die das 18. Lebens­jahr voll­endet haben und dauer­haft voll erwerbs­gemin­dert sind, wenn sie ihren Lebens­unter­halt nicht selbst bestreiten können. Als Grund­siche­rungs­leis­tung werden auch andere Mehr­bedarfe, etwa für Kinder­erzie­hung oder kosten­inten­sive Ernäh­rung, gewährt. Seit 2005 werden in Sonderfällen auch Mietschulden als Grundsicherungsleistung übernommen. Eigenes Einkommen und Vermögen wird ange­rechnet: u.a.
• Renten und Pensionen
• Wohngeld,
• Ehegattenunterhalt
• Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
• Zinsen und sonstige Kapitaleinkünfte

• tatsächliche Unterhaltszahlungen von Kindern oder Eltern, auch wenn deren Einkommen einen Jahresbetrag von 100.000 € nicht erreicht.

Zum Vermögen zählen u.a.:
• Haus- und Grundvermögen
• PKW
• Bargeld und Guthaben auf Konten bei Banken, Sparkassen, u.a. Wertpapiere
• Rückkaufwerte von Lebens- und Sterbeversicherungen.

Vom Einkommen abgesetzt werden können:
• auf das Einkommen entrichtete Steuern
• Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung
• gesetzlich vorgeschriebene und angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen
• beim Erwerbseinkommen die Werbungskosten.

Der GRV fehlt noch ein Über­­­obli­­­gato­­­rium*: die Möglich­­­keit, inner­­­halb der GRV frei­­­willig Zusatz­­­beiträge zu entrichten, um später eine entspre­­­chende Zusatz­rente zu erhalten — ohne auf Privat­renten auswei­chen zu müssen. Abrech­­­nungs­­­tech­­­nisch bereitet das keine Probleme, da ja indi­­­vidu­­­elle Konten geführt werden.
*) Dieser Begriff wurde aus dem Schwei­­­zeri­­­schen Renten-S­­ystem entlehnt.

3.3 Gestaltung des Kapital­deckungs­verfah­rens (KDV)

„Das Kapital­­deckungs­­verfahren ist eine Methode zur Finan­­zie­rung von Ver­siche­­rungen und Sozi­alver­siche­rungen, speziell der Alters­vorsorge ... Dabei werden Spar­an­teile aus Beiträgen der Versi­­cherten am Kapital­­markt angelegt und für jeden einzelnen Versi­­cherten ein Deckungs­­kapital gebildet, das nach dem Anspar­­ende die zu zahlenden Leis­­tungen abdecken soll. Alle laufenden und zukünf­­tigen Ansprüche werden aus diesem indi­­vidu­­ellen Deckungs­­kapital in entspre­­chender Höhe bedient.” (Wiki­pedia: →KDV)

Die deut­­sche GRV besaß ursprüng­­lich auch Elemente des KDV; sie wurden größten­­teils mit der Renten-Reform 1957 und endgültig 1968 aufge­­geben. In der Hyper­­infla­­tion 1923 und noch einmal bis Kriegs­­ende 1945 war der verblie­­bene Kapital­­stock fast wertlos geworden.

Wäh­rend das UV jeder­zeit quasi aus dem Stand einge­führt oder erwei­tert werden kann (was auch mit der Einglie­­derung der Ost-Rentner nach der Wieder­­verei­­nigung bewiesen wurde), braucht das KDV eine Anspar­­zeit von etwa einer Genera­­tion. Mit der Riester-Reform von 2001 gab es 2002 die teil­weise Wieder­­einfüh­­rung eines KDV.

Diese Entwick­­lung war nach dem Partei­­programm der SPD und ihren Wahl­­kampf­­aussagen 1998 über­­raschend. Im Partei­­programm: Die Senkung des Renten­niveaus wird abge­lehnt, das beitrags- und leis­tungs­bezo­gene Renten­system muss auf der Einnah­men­seite gestärkt und dann so weiter entwi­ckelt werden, dass es eine eigen­stän­dige Alters­siche­rung für Frauen bietet. Die Ideen der einzelnen SPD-Poli­tiker gingen aber weit ausein­ander (→Huj98). Im Wahl­­kampf 1998 bezeich­­nete Gerhard Schröder die Renten­­kürzungs­­pläne der Union wört­­lich als „unan­­ständig”. Diese Aussage trug wesent­­lich zu seinem Wahl­­sieg bei. Noch bevor die CDU/CSU-FDP-Koalition 1998 abgewählt wurde, hatte sie im Allein­­­gang Entschei­­­dungen über beträcht­­­liche Einschnitte in das Leis­­tungs­­­niveau der GRV getroffen: Reduk­­­tion des Eckren­­ten­ni­­veaus von 70% auf 64% des durch­­­schnitt­­­lichen Netto­­­arbeits­­­entgelts über den „demo­­­grafi­­­schen Faktor” in der Netto­­­anpas­­­sungs­­­formel (Prof. Schmähl in →NRS08).

Nach dem Regie­­­­rungs­­­­wechsel 1998 wurde der „demo­­­grafi­­­sche Faktor” zurück­­­­genommen und durch zwei andere, noch stärker niveau­­­­senkende Faktoren ersetzt. Schmähl hält die Wurzeln für den „Para­­­­digmen­­­­wechsel” für schon in der Zeit der Regie­­­­rung Kohl gelegt (Schmähl in →NRS08). Offi­­zielle Begrün­­dung des Schwenks zur KDV: eine angeb­­lich bessere Robust­­heit gegen­­über den Auswir­­kungen der Über­­alte­­rung der Gesell­­schaft. Begüns­­tigt wurde dies auch durch eine „moderne” Tendenz zur Finan­­ziali­­sierung der Wirt­schaft in der Schröder-Regie­­rung.

Diana Wehlaus sehr soziolo­­gisch orien­­tiertes Buch →„Lobby­­ismus und Renten­­reform” (2009) zeigt vor allem den starken Einfluss der Finanz­­­dienst­­­leis­­tungs­­­branche auf den Meinungs­­bildungs­­prozess der maßgeb­lichen Personen in Rich­tung der Teil-Priva­­­tisie­­­rung der Alters­­siche­­rung (bis hin zu indi­rekten perso­nellen Verflech­tungen: Verbun­denheit Gerhard Schröders mit dem Finanz­dienst­leister AWD, später Staats­minister Hans Martin Bury, Staats­sekre­täre Caio Koch-Weser und Ulrike Mascher, Regie­rungs­sprecher Béla Anda). Die Versiche­­rungs­­branche war früh präsent und betrieb inten­­sive Lobby­­arbeit, während die Banken­­branche erst später die unge­­heuren Chancen erkannte und sich betei­­ligte. Begüns­­tigt wurde dies durch einen einschnei­­­denden Eliten­­­wechsel bei den Sozi­­al­po­­liti­­kern von CDU und SPD im Sinne des „ideo­­­logi­­­schen Zeit­­­geists” (→Para­­digmen­­wechsel).

Durch hohe Vertriebs- und Abschluss­­kosten (Provi­­sionen!) entstehen für das KDV typi­sche hohe Verwal­­tungs­­kosten — bei Riester-Produkten durch­­schnitt­­lich 16% Risiko+Kosten-Anteil (→Anf08), also etwa das Zehn­fache der GRV-Verwal­­tungs­­kosten (so auch in der Schweiz: →Rec04)! Durch verschärfte gesetz­liche Anforde­rungen an die Bera­tung ab dem 1. Januar 2010 (§ 34 Wert­­papier­­handels­­gesetz, u.A. Protokollpflicht) ist in Zukunft mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. In Groß­­britan­­nien kommen sogar Verwal­­tungs­­kosten bis über 40% vor (→MOr99).

Gibt es über­­haupt ein vernünf­­tiges Risi­­koma­­nage­­ment für so große lang­­jährige Anlagen? Goldman Sachs® 2005: eine voll­­­ständige Anpas­­­sung der Ver­mö­­­gens­­­struk­tur der Pensions­­­fonds an die Struk­tur ihrer Zahlungs­­­ver­pflich­­­tungen würde Inves­­ti­ti­­onen in Höhe von 4,5 Billi­­onen $ in fest­­­verzins­­­lichen Wert­pa­­pieren mit einer Lauf­­­zeit von 10 Jahren erfor­­­dern — ein solches Volumen steht am Markt nicht zur Ver­fü­­gung (→bkv07). Das kann nur heißen: Lang­fris­tige Verpflich­tungen werden durch kurz­fris­tige Forde­rungen abge­deckt — bis evtl. zum Zusammen­bruch.

Wirk­lich horrend hohe Kosten verur­sacht eine Priva­tisie­rung oder Teil­priva­tisie­rung eines vorhan­denen UV-Systems durch die von Laien oft über­sehenen Extra­kosten des Umstiegs auf die KDV (Abschnitt 3.5.1). Sie über­steigen jeden denk­baren Vorteil, den das KDV selbst haben könnte.

3.3.1 Betriebsrenten

Die betrieb­­­liche Alters­­­versor­­­gung bein­­­haltet die Zusage des Arbeit­­­gebers, dass dem Arbeit­­­nehmer bei Alter, Invali­­­­dität oder Tod Versor­­­­gungs­­­­leis­­­­tungen aufgrund des Arbeits­­­­verhält­­­­nisses zustehen. Seit dem Alters­­­vermö­­­gens­­­gesetz von 2002 besteht für jeden Arbeit­­­nehmer ein Rechts­­­anspruch, aber nicht jeder Arbeit­­­geber ist verpflichtet, sich daran selbst finan­­­ziell zu betei­­­ligen (→vBr09a).

Es gibt fünf verschiedene mögliche Durch­führungs­wege, die alle mit dem KDV arbeiten:

1) Direkt­zusage: arbeitet ohne Versi­che­rungs­unter­nehmen, setzt Rück­stel­lungen in der Bilanz voraus, und der mit Abgaben finan­zierte Pensions-Siche­rungs-Verein haftet im Fall der Insol­venz.

2) Unter­stützungs­kasse: wie (1), jedoch als Betrieb­sausgaben geltende Beiträge an die Unter­stützungs­kasse, die eine recht­lich selbst­stän­dige Versor­gungs­einrich­tung ist, die nicht der staat­lichen Versi­che­rungs­aufsicht unter­liegt. Insol­venz­schutz wie in (1). Die Beiträge können als Betriebs­ausgaben abge­setzt werden.

3) Direkt­versi­cherung: eine Lebens­versi­cherung, die vom Betrieb mit einem privaten Versi­che­rungs­unter­nehmen abge­schlossen wird, das staat­licher Aufsicht unter­liegt. Es besteht kein Insol­venz­schutz.

4) Pensions­kasse: Die Beiträge gehen an ein Versor­gungs­unter­nehmen, das staat­licher Versi­che­rungs­aufsicht unter­liegt. Es besteht kein Insol­venz­schutz.

5) Pensions­fonds: wie (4), jedoch frei in der Anlage der Beiträge am Kapital­markt. Voller Insol­venz­schutz.

Zwei Drittel der Arbeit­­nehmer haben einen Versor­­gungs­­anspruch aus Betriebs­renten (→FR08d). 2003 bezogen 16% der Gesamt­­­bevöl­­­kerung ab 65 Jahren eine betrieb­­­liche Alters­­­versor­­­gung (→vBr09a). Ein beson­­­derer Anreiz besteht in der mit dem Alters­­­vermö­­­gens­­­gesetz von 2002 geschaf­­­­fenen Steuer und Sozial­­­abgaben sparenden Entgelt­­­umwand­­­lung, der Möglich­keit, einen Teil seines Arbeits­entgelts für die betrieb­liche Alters­versor­gung einsetzen zu können. Die zunächst bis Ende 2008 befris­tete Abgaben­frei­heit wurde 2007 entfristet. Diese beitrags­­­­freie Entgelt­­­­umwand­­­­lung verur­­­­sacht Ausfälle bei der GRV und trägt zur ungüns­tigen Einnah­­­­mesitu­­­­ation der GRV bei (→Sch06a).

Nach einem Ände­rungs­gesetz 2006 wird die gesetz­liche Insol­venz­siche­rung voll­ständig auf Kapital­deckung umge­stellt werden (bisher noch teil­­­­­weise Finan­­­­­zierung im UV).

Seit 1.7.2008 gilt die neue Veröf­­­­fentli­­­­chungs­­­­pflicht für Provi­­­­sions- und Abschluss­­­­kosten.

3.3.2 Die Riester-Rente

Die Riester-Rente ist eine 2001 beschlos­sene und 2002 einge­führte, vom Staat durch Zulagen und Sonder­­­­ausgaben­­­­abzugs­­­­möglich­­­­keiten (siehe AVmG, §§ 10a, 79 ff. EstG) geför­­­­derte, privat finan­­­­zierte, Kapital gedeckte Rente fast ausschließ­­­­lich für Arbeit­­­­nehmer (Wiki­pedia: →Riester-Rente). Jeder Anbieter von Riester-Produkten muss die Zerti­­­­fizie­­­­rungs­­­­anforde­­­­rungen erfüllen, d.h. er muss mindes­­­­tens die Summe der einge­­­­zahlten Beiträge garan­­­­tieren, Leis­tungen frühes­tens ab dem 60. Lebens­jahr und als lebens­lange Renten­zahlung erbringen (als Leib­rente oder als Auszah­lungs­plan mit einer Leib­rente vom 85. Lebens­jahr an), die Abschluss- und Vertriebs­kosten auf mindes­tens 10 Jahre (für Verträge ab 2005: 5 Jahre; für Verträge ab 2008: gleich­­­­mäßig mindes­­­­tens auf die ersten 5 Vertrags­­­­jahre) verteilen (→LFD Thüringen, 2009), Infor­mati­onen über die Verwen­dung der Vorsor­gebei­träge, die Höhe der Verwal­tungs­kosten, u.Ä. bereit stellen und eine ¼-jähr­liche Kündi­gungs- oder Ruhe­stel­lungs­möglich­keit gewähren.

Dem Riester-Sparer stehen folgende Riester-Produkte zur Wahl:

1) eine Rentenversicherung,

2) ein Banksparplan,

3) ein Fondsparplan.

4) Mit dem „Gesetz zur verbes­serten Einbe­ziehung der selbst­genutzten Wohn­immo­bilie in die geför­derte Alters­vorsorge” („Wohn-Riester”) wurde 2008 eine weitere Möglich­keit geschaffen (→Bundes­minis­terium der Finanzen: Fragen und Antworten zum Wohn-Riester) für selbst­genutzte Wohn­immo­bilien, die nach dem 31.12.2007 gekauft oder gebaut werden. Damit können künftig auch Tilgungs­leis­tungen für entspre­chende Darlehen steuer­lich geför­dert werden.  Details der Rege­lungen:

• Das geför­derte Alters­vorsor­geka­pital kann für den Erwerb oder den Bau selbst genutzter Wohn­immo­bilien einge­setzt werden.

• Der Erwerb weiterer Genossen­schafts­anteile wird geför­dert, wenn man in der betref­fenden Genossen­schaft wohnt.

• Zu Beginn der Auszah­lungs­phase kann der Berech­tigte das geför­derte Alters­vorsor­geka­pital auch für die Entschul­dung einer selbst­genutzten Wohn­immo­bilie einsetzen.

„Das in der Immo­bilie gebun­dene steuer­lich geför­derte Alters­vorsor­geka­pital wird auf einem geson­derten Konto – dem Wohn­förder­konto – erfasst. Die dort einge­stellten Beträge werden jähr­lich um 2 Prozent erhöht und dienen als Grund­lage für die spätere nach­gela­gerte Besteu­erung. Es wird somit nicht auf den konkreten Nutzungswert der Immo­bilie im Alter abge­stellt, sondern nur auf die vom Förder­berech­tigten tatsäch­lich bezogene Förde­rung.” So wird nur der Stand des Wohn­förder­kontos steuer­lich erfasst, auch wenn sich der Wert der Immo­bilie zwischen­zeit­lich erhöht hat. Neben den bishe­rigen Anbie­tern von Riester-Produkten (Versiche­rungen und Banken) können nun auch Bauspar­kassen und Wohnungs­genossen­schaften geför­derte Anlage­produkte auf den Markt bringen.

Es wird eine lebens­lange Rente in gleich­blei­bender oder stei­gender Höhe gezahlt. Bei Tod des Versi­cherten vor Ende der verein­barten Garan­tiezeit kann der Ehepartner die Rente für diese Zeit weiter beziehen. Das Kapital, das sich in einem Riester-Vertrag befindet, bleibt bei der Anrech­nung von Vermögen unbe­rück­sichtigt (→wiki6). Das Guthaben im Riester-Spar­konto ist pfän­dungs­sicher.

Der Riester-Sparer erhält als „Bonus” staat­liche Zulagen und Steuer­frei­beträge. Um die maxi­male Riester­förde­rung zu bekommen, muss man seit 2008 mindes­tens 4% des Brutto­gehalts in den Riester-Vertrag einzahlen. Wer jeweils den vollen Spar­betrag aufbringt, erhält folgende Höchst­zulagen: (→Förde­rung, →Riester­förde­rung):

Ab Jahr in Riester-Vertrag zu zahlender Mindest­anteil des Brutto­gehalts Höchst­zulagen
Allein­stehende Ehepaare (wobei jeder Partner einen eigenen Riester-Vertrag hat) je Kinder­geld berech­tigtes Kind
2002 1 % 38 € 76 € 46 €
2004 2 % 76 € 152 € 92 €
2006 3 % 114 € 228 € 138 €
2008 4 % 154 € 308 € 185 €
 Quellen: →http://www.riester-rente.net/riester-rente/foerderung.htm,  →www.ruerup-riester-rente.net/riesterfoerderung.html

Die Kinder­­zulage bekommt die Person, die auch das Kinder­­geld bezieht. Bei zusam­­menle­­benden Ehegatten wird sie automa­­tisch auf den Vorsorge­­vertrag der Frau über­­wiesen, kann aber auch dem des Mannes gutge­­schrieben werden, wenn beide Partner schrift­­lich einwil­­ligen. Zusätz­­lich lassen sich die Aufwen­­dungen zur Riester-Rente steuer­­lich als Sonder­­ausgaben geltend machen. Die Riester­­förde­­rung mit den staat­­lichen Zulagen und Steuer­­freibe­­trägen können alle gesetz­­lich renten­­versi­­cherten Arbeit­­nehmer und alle Beamten, außerdem alle Soldaten und Zivil­­dienst­­leis­­tende, Eltern im Erzie­­hungs­­urlaub, frei­­willig gesetz­­lich Renten­­versi­­cherte und Arbeits­­lose bekommen.

Nach Angaben der Deut­­schen Bundes­­bank wird ab 2009 die Förde­­rung der privaten Alters­­vorsorge zu Steuer­­ausfällen von 12,5 Mrd. € führen (etwa 2% der Beiträge) (→EnK08). Die Subven­­­tionie­­­rung der Förde­­­rung privater Vorsorge wird auf dem Wege indi­­­rekter Steuern auch von den Gering­­­verdie­­­nern mitfinan­­­ziert, die die Möglich­­­keit subven­­­tionierter Erspar­nis­­bil­dung gar nicht nutzen können (→Sch07a)

Riester-Zulagen sind kein „Geschenk” des Staates, sondern dazu da, doppelte Besteu­­erung zu ver­rin­gern (→wiki6), denn Leis­tungen aus der Riester-Rente sind in der Aus­zah­lungs­­phase voll ein­kommen­­steuer­­pflichtig (siehe nach­­gela­­gerte Renten­­besteu­­erung oben). Die schein­­baren Vorteile aus der Förde­­rung der Riester-Renten werden also im Renten­­alter wieder „einge­­sammelt”. Da die Beiträge in der Ein­zah­­lungs­­­phase stets sozial­­­versi­­che­­­rungs­­­pflichtig sind, kommt es in der Aus­zah­­lungs­­­phase für frei­­­willig Versi­­­cherte in der gesetz­­­lichen Kranken­­­versi­­­cherung sogar zur Doppel­­­verbei­tra­­gung in der Kranken­­­versi­­­cherung und Pflege­­­versi­­­cherung.

Riester-Renten sind ein Verlust­­­geschäft vor allem für Gering­­­verdiener, aber auch für längere Zeit Beschäf­­­­tigungs­­­­lose, da sie nicht der Grund­­­siche­­­rung zuge­­schlagen, sondern mit dieser verrechnet werden (→wiki6).  Sören Patzig (Vorstands­­­­vorsit­­­­zender des Cott­­­­buser Finanz­­­­dienst­­­­leisters AFA AG): „95% der Deut­­­­schen wissen nicht, was sie abge­­­­schlossen haben und wie viel ihnen davon im Alter bleibt.” (→AFA08).

Jeder Beitrags­­­zahler steht ange­­­sichts der abge­­­senkten Renten­­­niveaus vor der Frage, wie er im Alter seinen Lebens­­­stan­­­dard aufrecht erhalten will: es muss etwas zusätz­lich getan werden. Wer schon einen Riester-Vertrag hat, der sollte diesen auf keinen Fall auf­­lösen. Länger­­­fris­­­tige Versi­­­che­­­rungs­­­verträge sollte man niemals in der Früh­­­phase kündigen, da die Abschluss- und Vertriebs­­­­kosten dem Vertrag in den ersten Jahren belastet werden (bei Riester-Verträgen sind es per Gesetz seit 2005 die ersten 5 Jahre) und daher bei früher Kündi­gung nur einen Bruch­­­teil der einge­­­zahlten Beträge erbringen. Es wurden aber bis Ende 2007 950.000 Riester-Verträge aufgelöst (→Loo08)!

Solange es unser ange­strebtes Über­­­obli­­­gato­­­rium noch nicht gibt — also die Möglich­­­keit, inner­­­halb der GRV zusätz­­­lich (zwecks zusätz­­­licher Alters­­­vorsorge) einzu­­­zahlen — ist auch jedem noch nicht vor dem Ruhe­­­stand stehenden und nicht von der späteren Grund­­­siche­­­rung bedrohten Versi­­­cherten anzu­­­raten, zur Vermei­­­dung der drohenden Alters­­­armut beim zusätz­lichen Sparen auch einen Riester-Vertrag zu erwägen, wenn er sich der Rest­risiken bewusst ist. Dies wäre eine ratio­nale Entschei­dung inner­halb des vorhan­denen Riestersystems. Das hat nichts damit zu tun, dass die Riester-Reform als Ganzes (Riester-Rente, Riester-Faktor, usw.) abzu­lehnen sein wird.

3.4 Individueller Vergleich des UV mit dem KDV

Das Säulen­modell wirkt wohl deshalb so plakativ, „weil es sich auf mehreren Säulen sicherer steht”, also sich die unter­schied­lichen Risiken irgendwie ausglei­chen sollen. Dazu müssten diese Risiken aber auf unter­schied­lichen Gebieten liegen. Hat ein Verfahren alle Risiken des anderen Verfah­rens auch, aber darüber hinaus noch eigene Risiken, ist das Gesamt­risiko des Mehr­säulen­systems höher als das Risiko nur des risiko­ärmeren Verfah­rens.

Vergleich der Risiken  
Umlage­verfahren (UV) Kapital­deckungs­verfahren (KDV)
beide:   Abhängig­keit von der wirt­schaft­lichen Entwick­lung (Lohn­summe, Kapital­renditen)
beide:   Abhängig­keit von der demo­grafi­schen Entwick­lung (die Beitrags­zahler müssen in jedem Fall einen größeren Teil ihrer Wert­schöp­fung für die aktu­ellen Rentner bereit stellen)
beide:   Lang­lebig­keits­risiko* (medi­zini­scher Trend, der nur ungenau vorher­sagbar ist)
  Zinsrisiko*
  Wiederanlage-Risiko*
  Kursrisiko*
  Wechselkursrisiko (bei auslän­dischen Anlagen)
  Volatilitätsrisiko* (der Kurs am Tag des Renten­eintritts bestimmt die Renten­höhe)
  Inflationsrisiko*
  Risiko der allge­meinen Lebens­stan­dard-Entwick­lung nach dem Renten­eintritt (bei blei­bender Renten­höhe)
 Eigene Zusammen­stellung.       *) Ausdrück­lich aufgeführt vom Banken­verband: →bkv07.

Weshalb das Inflations­risiko und das der Lebens­stan­dard-Entwick­lung nach dem Renten­eintritt nicht auch für das UV bestehen, bedarf an dieser Stelle viel­leicht der Erläute­rung: die Umrech­nung der Arbeits­entgelte in Entgelt­punkte erfolgt mit Hilfe der Durch­schnitts­löhne des gleichen Jahres — dadurch wird der Wert quasi infla­tions­sicher und dynami­siert aufbe­wahrt und beim Renten­eintritt anhand der dann geltenden Durch­schnitts­löhne in eine Renten­höhe zurückge­rechnet. Durch die jähr­liche Renten­anpas­sung anhand der Renten­anpas­sungs­formel wird (von deren dämp­fenden Faktoren und dem möglichen Sinken der Lohn­quote abge­sehen) auch in der Ruhe­stands­phase eine verzö­gerte fort­laufende Anpas­sung an den allge­meinen Lebens­stan­dard bewirkt.

Staat­liche Systeme berück­sich­tigen also das Infla­tions­risiko und das Risiko der Unter­schät­zung künf­tiger Einkom­mens­entwick­lung, auch während der Ruhe­stands­phase. Private Systeme haben dagegen solche Risiken:

Kauf­kraft­verlust oder rela­tiver Einkom­mens­verlust bei privater Rente
Jahr bei jährlicher Infla­tions­rate von
1% 2% 3% 4%
  0   0,0%   0,0%   0,0%   0,0%
  5   4,9%   9,4% 13,7% 17,8%
10   9,5% 18,0% 25,6% 32,4%
15 13,9% 25,7% 35,8% 44,5%
20 18,0% 32,7% 44,6% 54,4%
 Quelle: Winfried Schmähl: →Soziale Siche­rung im Lebens­lauf ...

Ein Kauf­kraft­verlust von über 25% in 15 Jahren bei einer jähr­lichen Infla­tions­rate von 2% stei­gert sich bei einem zusätz­lichen Real­einkom­mens­wachstum von 1% pro Jahr zu einem „Renten­verlust” von ca. 36%. Dieser Aspekt wird in der Debatte über die Priva­tisie­rung von Alters­renten oft voll­ständig über­sehen (→Sch07a)!

Absiche­rung sozialer Risiken und Tatbe­stände für die Rente nach gegen­wärtigen Gesetzen:
Einkom­mens­verlust  oder -verringerung aufgrund von Renten­ansprüche nach dem UV Renten­ansprüche nach dem KDV
Krankheit Beiträge der Arbeit­geber (max. 6 Wochen) bzw. Kranken­versiche­rung
Invali­dität im Renten­system (wenn versi­chert)
Arbeits­losig­keit Beiträge durch Arbeits­losen­versiche­rung (zunächst propor­tional zum letzten Entgelt, später einheit­liches ALG II)
Weiter­bildung
Arbeits­zeit­verkür­zung
Kapital­markt­risiken
Inflation weitge­hend abgesi­chert (Entgelt­punkte) (in betriebl. Vorsorge begrenzt berück­sich­tigt, aber i.Allg. sinkt Rente real)
Firmen­insol­venzen ja (bei betrieb­licher Vorsorge)
Tod des Ehegatten ja (wenn versi­chert)
Schei­dung Teilung der Ansprüche Teilung der Ansprüche
nicht abgesi­cherte Selbst­ständig­keit ja (wenn Einkommen hoch genug)
Kinder­erzie­hungs­zeiten Beiträge durch den Staat
Pflege­zeiten für Angehö­rige Beiträge durch die Pflege­versiche­rung
Lang­lebig­keit ja (nur wenn in Annu­ität umge-
 wandelt oder versi­chert)
Entwick­lung der Real­einkommen (nach Renten­anpas­sungs­formel)
politi­sche Entschei­dungen
Quelle: →Sch07a, 2007  

3.5 Gesamtwirtschaftlicher Vergleich des UV mit dem KDV

Unser erster Bundes­finanz­minister, Fritz Schäffer (CSU), sammelte in dieser Eigen­schaft bis 1957 etwa acht Mrd. DM an Bar-Reserven an, um, wie er sagte, „Rück­lagen für unge­wisse Besat­zungs­kosten und die Anspa­rung der Erst­ausstat­tung der Bundes­wehr” zu bilden (→Korth: „Staatsverschuldung...”, 2004). Als ihm Volks­wirte später erklärten, dass er damit nicht „gespart”, sondern der Wirt­schaft Liqui­dität entzogen hatte, war er sehr erstaunt.

Der moderne Fritz Schäffer sammelt keine Bar-Reserven mehr, sondern Wert­papiere, Fonds­anteile, Hypo­theken usw., um den Auswir­kungen der Alte­rung der Bevöl­kerung ein vermeint­liches Schnipp­chen zu schlagen. Einzeln und privat mag ihm das sogar gelingen. Eine Tatsache bleibt aber damals wie heute: eine Volks­wirt­schaft als Ganzes kann nicht sparen (→Fla00). In einer geschlos­senen Volks­wirt­schaft stehen den angesam­melten Vermögen betrags­mäßig genau gleich hohe aufge­laufene Schulden gegenüber, verteilt auf Staat, Wirt­schaft und Privat­personen — da ist die Buch­haltung bzw. die Volks­wirt­schaft­liche Gesamt­rech­nung uner­bitt­lich.

Könnten nicht wenig­stens die Privat­personen für ihren Lebens­abend sparen, indem sie Schuld­titel von Staat und Wirt­schaft erwerben? Ja, aber was sie ersparen ist nicht Geld, sondern die Wirt­schafts­leis­tung, welche die Schuldner bei Fällig­keit aufbringen können. Die Gesamt­höhe dieser Wirt­schafts­leis­tungen ist begrenzt nach der sogen. Macken­roth-These (Prof. Gerhard Macken­roth: Sozio­loge, Bevöl­kerungs­wissen­schaftler, Statis­tiker, 1952):

„Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozial­aufwand immer aus dem Volks­ein­kommen der laufenden Peri­ode gedeckt werden muss. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozial­aufwand fließen könnte, es gibt keine Ansamm­lung von Fonds, keine Über­tra­gung von Ein­kommens­teilen von Periode zu Periode, kein „Sparen” im privat­wirt­schaft­lichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volks­ein­kommen als Quelle für den Sozial­aufwand. Das ist auch nicht eine beson­dere Tücke oder Ungunst unserer Zeit, die von der Hand in den Mund lebt, sondern das ist immer so gewesen und kann nie anders sein. Kapital­ansamm­lungs­verfahren und Umlage­verfahren sind also der Sache nach gar nicht so ver­schieden.” (→wiki2)
„Volks­wirt­schaft­lich gibt es nämlich keine Ansamm­lung eines Konsum­fonds, der bei Bedarf konsu­miert werden kann und dann gewis­sermaßen zum Volks­ein­kommen einer späteren Peri­ode eine will­kommene Zugabe wäre ... Jede Fonds­ansamm­lung wird in der Geld­wirt­schaft zur volks­wirt­schaft­lichen Kapi­talbil­dung, einmal gebil­detes Kapital kann man nicht mehr verzehren.” (→EKD, Her)

Damit daraus ein allge­mein­gültiges Macken­roth-Theorem wird, sind zwei Ergän­zungen nötig: „aus dem laufenden Volks­ein­kommen” ist zu ergänzen durch „oder den vorprodu­zierten Gütern bzw. den vorgezo­genen Inves­titi­onen”, und das Theorem ist zu begrenzen auf geschlos­sene Volks­wirt­schaften. Der letzte Punkt besagt immerhin, dass es zumin­dest im Welt­maßstab keine andere Quelle geben kann. Der erste Punkt bedeutet, dass Dienst­leis­tungen und verderb­liche Lebens­mittel nur aus dem laufenden Angebot stammen können, anson­sten ist Lagern die einzige theore­tisch mögliche Alter­native. „Es gibt nur zwei — nicht mehr — Wege” des inter­tempo­ralen Einkom­mens­­trans­fers: „Die Bürger können Konsum­güter physisch lagern, oder sie können sich einen Anspruch auf zukünf­tige Produk­tion sichern.” (→Rop03, Seite 216)  Beim Lagern von Produkten (über Jahr­zehnte!) sind auch Schwund, Korr­osion, tech­nisches Veralten und Unglücks­fälle (Feuer usw.) abzu­ziehen. Vorgezo­gene Inves­titi­onen können helfen, wenn anschlie­ßend Ersatz­inves­titionen unter­bleiben (Anlagen und Maschinen „verkommen lassen”).

Somit kann fest­halten werden, dass das KDV nur dann den Konse­quenzen der demo­grafi­schen Entwick­lung entgeht, wenn das Kapital in Ländern ange­legt wird, die eine umge­kehrte demo­grafi­sche Entwick­lung haben. Die folgende Tabelle zeigt, dass selbst in den letzten Winkeln der Welt ein Anstieg des Alten­quoti­enten erwartet wird:

Entwick­lung der Bevölkerungszahlen und der Altersstruktur auf der Welt
       Land 0-14 Jahre 15-64 Jahre 65+ Jahre Durch­schnitts­alter Zu­wachs­rate Alten­quo­tient 2008 ° Bevölk. 2008 ¹ Bevölk. 2050 ² Alten­quo­tient 2050 ³
Japan 13,7% 64,7% 21,6% 43,8 Jahre 0,139% 33,38% 127 Mio. 94 Mio. 74%  ª
Deutsch­land 13,8% 66,2% 20,0% 43,3 Jahre 0,044% 30,21% 82 Mio. 74 Mio. 55,8%
Italien 13,6% 66,3% 20,0% 42,9 Jahre 0,019% 30,17% 58 Mio. 50 Mio. 66,0%
Spanien 14,4% 67,6% 17,9% 40,7 Jahre 0,096% 26,48% 40 Mio. 36 Mio. 67,5%
Frank­reich 18,6% 65,2% 16,3% 39,2 Jahre 0,574% 25,00% 64 Mio. 70 Mio. 47,9%
Großbritannien 16,9% 67,1% 16,0% 39,9 Jahre 0,276% 23,85% 61 Mio. 64 Mio. 45,3%
Ukraine 13,9% 70,0% 16,1% 39,4 Jahre 0,651% 23,00% 46 Mio. 34 Mio. 46%  ª
Kanada 16,3% 68,8% 14,9% 40,1 Jahre 0,830% 21,66% 33 Mio. 41 Mio. 44%  ª
Russ­land 14,6% 71,2% 14,1% 38,3 Jahre 0,474% 19,80% 141 Mio. 109 Mio. 39%  ª
USA 20,1% 67,1% 12,7% 36,7 Jahre 0,883% 18,93% 304 Mio. 420 Mio. 34%  ª
Polen 15,2% 71,4% 13,4% 37,6 Jahre 0,045% 18,77% 38 Mio. 32 Mio. 51,0%
Irland 20,9% 67,3% 11,8% 34,6 Jahre 1,133% 17,53% 4 Mio. 5 Mio. 45,3%
Welt 27,3% 65,1% 7,6% 28,1 Jahre 1,188% 11,67% 11,67% 6692 Mio. 9539 Mio. 25%  ª 25%  ª
China 20,1% 71,9% 8,0% 33,6 Jahre 0,629% 11,12% 1332 Mio. 1424 Mio. 39%  ª
Türkei 24,4% 68,6% 7,0% 29,0 Jahre 1,013% 10,20% 72 Mio. 86 Mio. 29%  ª
Indo­nesien 28,4% 65,7% 5,8% 27,2 Jahre 1,175% 9,50% 238 Mio. 313 Mio. 29%  ª
Mexiko 29,6% 64,3% 6,1% 26,0 Jahre 1,142% 9,49% 110 Mio. 148 Mio. 34%  ª
Brasi­lien 27,0% 66,8% 6,3% 28,3 Jahre 1,228% 9,43% 192 Mio. 261 Mio. 31%  ª
Süd­afrika 29,2% 65,5% 5,3% 24,2 Jahre 0,828% 8,91% 44 Mio. 49 Mio. 14%  ª
Vietnam 25,6% 68,6% 5,8% 26,9 Jahre 0,990% 8,45% 86 Mio. 108 Mio. 30%  ª
Indien 31,5% 63,3% 5,2% 25,1 Jahre 1,578% 8,21% 1151 Mio. 1808 Mio. 21%  ª
Ägypten 31,8% 63,5% 4,7% 24,5 Jahre 1,682% 7,40% 82 Mio. 128 Mio. 21%  ª
Pakistan 37,8% 58,0% 4,2% 20,5 Jahre 1,999% 7,24% 168 Mio. 295 Mio. 16%  ª
Philippinen 35,5% 60,4% 4,1% 22,3 Jahre 1,991% 6,79% 93 Mio. 172 Mio. 19%  ª
Bangladesch 33,4% 63,1% 3,5% 22,8 Jahre 2,022% 5,55% 154 Mio. 280 Mio. 17%  ª
Nigeria 41,7% 55,3% 3,0% 18,9 Jahre 2,025% 5,42% 138 Mio. 264 Mio. 9%  ª
Äthio­pien 46,0% 51,4% 2,7% 16,9 Jahre 3,212% 5,25% 79 Mio. 278 Mio. 9%  ª
Angola 43,6% 53,6% 2,7% 18,0 Jahre 2,136% 5,04% 13 Mio. 25 Mio. 6%  ª
Eigene Zusammenstellung aus den Quellen →The World Factbook° (2008), →Current world population¹ (2000–2008), →Historic, current and future population² (2000–2008), →Population projections³ (2007), →Old-age populationª (medium variant) (2006)

Der →Report des IMK 2009 beleuchtet diese und andere gesamt­wirt­schaft­liche Wirkungen des KDV anhand der Riester-Rente. Kern­aussage: der gewählte Über­­gang zu verstärkter Kapital­­deckung erzeugt Wachs­­tumspro­­bleme und führt zu ungenü­­gender Siche­­rung im Alter, ist also zur Kompen­­sation demo­­grafi­­scher Belas­­tungen unge­eignet (die jeweils Jungen müssen immer für die Renten­­zah­lungen eines Jahres aufkommen — per Sozial­­abgaben oder per Zinsen und Divi­­denden — egal welches Renten­­system gilt). Verstärkte private Spar­­­anstren­­­gungen mit realen Kürzungen bei den Renten­­­zahlungen haben zur Dämp­­­fung des realen Konsums um fast 1,5% geführt, die nicht durch höhere Unter­­­­nehmens­­­­inves­ti­­­ti­onen auszu­­­­gleichen waren: das dämpfte das Wirt­­­schafts- und Beschäf­­­tigungs­­­wachstum; das reale BIP stieg 2002–2007 um 1% weniger als ohne Riester­­­reform. Die indu­­­­zierte Wachs­tums­verschlech­­­­terung (so auch CESifo in →KaM08) hat die Einspa­­­­rungen bei den Ausgaben der GRV wieder zunichte gemacht (zu Lasten der Gebiets­­­­körper­­­­schaften und anderer Sozi­al­­­ver­si­­­che­rungs­zweige). Auch die private Inves­­­­ti­tions­­­­tätig­­­­keit litt unter dem Nach­­­­frage­­­­mangel. Durch die Renten­­­­reformen wird die Gefahr von Alters­­­­armut zunehmen. Ein volles Erwerbs­­­­leben zu 50% des Durch­­­­schnitts­­­­einkom­­­­mens reicht heute nur zu 59,2% des früheren durch­­­­schnitt­­­­lichen Netto­­­­einkom­­­­mens, während es im OECD-Durch­­­­schnitt 82,1% sind. Viele glauben fälsch­­­­­lich, dass sie durch Kombi­­­­­nation aus GRV und Riester­­­­­sparen noch ein akzep­­­­­tables Renten­­­­­niveau errei­­­­­chen werden — dazu darf das gesetz­­­­­liche Renten­­­­­niveau aber nicht so stark abge­­­­­senkt werden! Das System der GRV als Lebens­­stan­­dard­­siche­­rung wurde „bewusst geschwächt, um so die Erwerbs­­tätigen zum Aufbau eines indi­­vidu­­ellen Finanz­­kapi­tal­­stocks” zu zwingen. Es wäre effi­­­zienter gewesen, die Stärken der GRV zu erhalten und das UV zu unter­­­stützen.

3.5.1 Die (oft übersehenen) Extrakosten des Umstiegs

Prof. Winfried Schmähl (→SWR08): „Der parti­elle Ersatz der umlage­finan­zierten Renten durch kapi­talfun­dierte private Renten macht insgesamt die Alters­siche­rung teurer. Und zwar nicht nur teurer, weil mehr alte Menschen da sind und die Lebens­erwar­tung steigt, das betrifft also auch kapi­talfun­dierte private wie auch umlage­finan­zierte Renten. Nein. Dieser Umstieg von dem einen zum anderen System erhöht insgesamt den Vorsorge­bedarf bei gleichem Absiche­rungs­niveau verglichen mit dem, was sonst in der umlage­finan­zierten Renten­versiche­rung an Beiträgen aufzu­bringen wären.”

Wieso das? — Ein kleines Beispiel erklärt das Prinzip: Die Eltern eines Land­wirts ziehen, wie seit Genera­tionen üblich, nach Errei­chen ihrer Alters­grenze auf das Alten­teil, um fortan von ihrem Sohn versorgt zu werden. Als Land­wirt ohne Kinder muss er die Alters­versor­gung für sich und seine Frau über einen Finanz­dienst­leister zusammen­sparen. Der Wechsel des Vorsor­gever­fahrens erzwingt eine doppelte Alters­siche­rungs­belas­tung.

Das soll zuerst am hypo­theti­schen Voll­umstieg vom UV auf das KDV erklärt werden. Die Generation der Beitrags­zahler muss dann nicht nur ihr Deckungs­kapital für das KDV ansparen, sondern zu Lebzeiten der voran­gegan­genen Genera­tion (jetzt Rentner­genera­tion) auch das UV durch Beiträge in Funk­tion halten. Wegen dieser Doppel­belas­tung (ohne Kosten­betei­ligung der Arbeit­geber, wie nämlich bei der Riester-Rente, ist es für Arbeit­nehmer sogar eine Drei­fach­belas­tung) spricht Rürup von der „Sand­wich-Gene­ration” (→Rue06), weil sie von zwei Seiten dem Druck ausge­setzt ist. Ich nenne sie „Opfer­genera­tion”, weil sie insge­samt keinen Vorteil aus dem Umstieg zieht, sondern nur als Opfer für das Ziel KDV dient. Prof. Hans-Werner Sinn bezif­ferte 1999 (→Sin99, →SiW00) die Extra-Belas­tung (den Barwert bereits aufge­­laufener Anwart­­schaften) auf 10 bis 12 Billi­onen DM (heute etwa 6 bis 7 Billionen € — etwa das 20- bis 23-fache des Bundes­haus­halts 2009 mit 303,3 Mrd. € →Ergebnis Haushalt 2009) !. Selbst der einge­fleischte Neoli­berale Sinn lehnte daraufhin einen Umstieg ab: „Da der Umstieg in die Kapital­­deckung ohnehin keine länger­­fris­tigen Effi­­zienz­­gewinne ermög­­licht, kann man dieses Szenario getrost ad acta legen.” (→Sin99)

Wie verhält es sich beim Umstieg in Etappen über einen längeren Zeit­raum? Beim Umstieg in drei Gene­rati­onen wäre jede der Opfer­genera­tionen mit etwa einem Drittel, beim Umstieg in fünf Genera­tionen mit etwa einem Fünftel dessen belastet (ich schreibe „etwa”, weil bei so langen Zeit­räumen auch Zinses­zins­effekte eine Rolle spielen). Drei bis fünf Genera­tionen müssten es wohl sein für eine erträgliche Belas­tung, wie uns die Riester-Rente lehrt (die wohl mal als Vollum­stieg in 40 Jahren geplant war: „Denn ein voll­­stän­­diger Über­­gang wäre zwangs­­weise mit einer mindes­­tens 40-jäh­­rigen Über­­gangs­­phase verbunden.” Es müssten „die Beitrags­­zahler inner­­halb dieser Über­­gangs­phase eine Doppel­­belas­­tung in Kauf nehmen ...” →RuS01, S. 274). Das Riester-System wirkte zu heftig und schlug sich in mehreren Null­runden und weiterem Nach­holbe­darf nieder. Eine Alter­native wäre: drei bis fünf Opfer­genera­tionen, oder etwa 90 bis 150 Jahre Aufop­ferung für das Ziel KDV, von dem die Betrof­fenen selbst nichts haben! Selbst wenn das KDV einen Vorteil gegen­über dem UV haben sollte, wird es diesen erst danach ausspielen können.

Wie löste das die Riester-Reform? Nehmen wir an, wir wollten von einer GRV-Rente mit einem Beitrags­satz von 20% der Brutto­entgelte teil­weise umsteigen auf eine private Kapital gedeckte Rente, deren Beitrags­satz 4% der Brutto­entgelte beträgt. Um wieviel würde sich dadurch der Beitrags­satz zur GRV verrin­gern? Antwort: über­haupt nicht. Es sind immer noch die gleichen alten Renten­anwart­schaften aus der GRV aufzu­bringen wie vorher! Die sind ja noch nicht geringer geworden, sondern werden es erst in etwa einer Genera­tion sein. Es gab zwei Lösungs­alter­nativen nach der Stan­dard-Lehr­buch-Weisheit. Die erste bedeutet hier: die Über­gangs­genera­tion der Beitrags­zahler zahlt zwar zusätz­lich 4% des Brutto­entgelts zum Ansparen der Riester-Rente, aber weiterhin 20% in die GRV, wobei für ein Fünftel dieser Beiträge (entspre­chend der Rela­tion der 4% im Verhält­nis zu 20%) keine Renten-Anwart­schaften erwachsen (sonst wäre es kein Um­stieg). Eine zweite Alter­native sieht vor, dass ein Fünftel der Beiträge aus Steuern finan­ziert wird. Dazu wäre ein Anstieg der Mehr­wert­steuer um etwa 4 Prozent­punkte nötig.

Im Fall der Riester-Rente wird die Lage noch kompli­ziert durch die Tatsache, dass die (ursprüng­lich als obli­gato­risch vorge­sehene) Riester-Rente auf frei­williger Basis abge­schlossen wird. Die GRV weiß also gar nicht, wer zu wieviel Prozent auf die Privat­rente umsteigt. Statt also nur den Riester-Sparern ihre GRV-Anwart­schaften zu kürzen — was vermut­lich nicht verfas­sungs­konform gewesen wäre — hat sich Riester bzw. sein Minis­terium eine andere Lösung ausge­dacht: es wird allen GRV-Beitrags­zahlern die Renten-Anwart­schaft und darüber hinaus auch noch allen Rent­nern die Renten­höhe über den Riester-Faktor in der Renten­anpas­sungs­formel mittel­fristig von netto 70% des bishe­rigen Lebens­stan­dard-Niveaus auf etwa 67% gekürzt. Dies hat das Bundes­sozi­alge­richt erstaun­licher­weise als verfas­sungs­gemäß eingestuft (→BSG09), weil es wohl den Umstiegs­effekt und Demo­grafie-Effekte (die über den Nach­haltig­keits­faktor das Renten­niveau weiter senkten) in der Formel nicht klar ausein­ander halten konnte.

Für den riesternden Arbeit­nehmer, der 10% des Brutto­entgelts als Arbeit­nehmer­beitrag an die GRV zu entrichten hat und, da es bei der Riester-Rente keinen Arbeit­geber­beitrag gibt, volle 4% seines Brutto­entgelts für die Riester-Rente, fallen nun 40% höhere Kosten an, um genau die Rente zu erhalten, die er ohne die Riester-Reform sowieso erhalten hätte! Für alle anderen — nicht riesternde Beitrags­zahler ebenso wie alle Rentner — wird die Rente/der Renten­wert um mehr als 4%* nied­riger ausfallen als vor der Reform (dies wirkt sich für alle Beitrags­zahler und Rentner als dauer­hafte Absen­kung aus). Darauf geht der größte Teil (0,6% jähr­lich →BSG09) der rela­tiven Renten­verluste der letzten Jahre und der Null­runden zurück, und nur ein Rest (0,5% in 2005 →BSG09) beruht auf Demo­grafie-bedingten Renten-Absen­kungen (Nach­haltig­keits­faktor). Bis 2030 sollen es insge­samt sogar 6% zu 2,2% sein (→KNF03)!

*)  4% von 70% = 2,8 Prozent­punkte; Netto­niveau-Redu­zie­rung: 70%-67% = 3 Prozent­punkte ≈ 4,3%

% vom Zu den Kosten des Teilumstiegs vom UV zum KDV durch die Riester-Reform % v. Nettoniveau
Brutto-
entgelt
  vor Ab-
senkg.³
nach Ab-
senkg.³
  —70 %
      Aufstockung durch Riester-Rente
     
       
22 %—   —70 % —67 %
  zus. Arbg.ant. vorher 18 Mrd.€ zus. Bun-
deszusch.¹ nachher
zus. Rente aus
GRV vorher
zus. Rente aus Bun-
deszuschuss nachher
20 %— zus. Arbn.ant. vorher    
  Arbeitgeber-Beiträge Rente aus GRV-Beiträgen
nach der Riester-Reform
18 %—    
 
16 %—    
 
14 %—    
 
12 %—    
 
10 %—    
  Arbeitnehmer-Beiträge
8 %—    
 
6 %—    
 
4 %— ——ca. 1 Mrd. €  Riester-Zulagen²——  
 
2 %— Riester-Beiträge  
 
0 %—    
Beiträge private Versicherung Beiträge gesetzliche Versicherung GRV-Renten und Riester-Renten    
 Eigene Darstellung  ¹) zus.Bundeszusch.+Erhöh.betr. →SaR08
    (2 Mrd. € ≈ 0,2% Beitrags­satz →Sch08c)
 ²) Riester-Zulagen 2007 laut →Rie08a
³)  Rentenniveau-Absenkung durch den Riester-Faktor  
inkl. noch ausstehender Stufen der „Riester-Treppe“ 
(ohne die Absenkung durch den Nachhaltigkeitsfaktor)

Die dann umge­setzte Lösung verdeckt diesen Zusam­menhang weiter dadurch, dass ohne den zusätz­lichen Bundes­zu­schuss die GRV-Beitrags­sätze mittel­fristig um fast 2 Prozent­punkte höher ausfallen würden. Den bezahlen die Konsu­menten aus der Mehr­wert­steuer und (z.B. beim Tanken) aus der Ökosteuer. Nur dadurch sinken die Extra­kosten der Riester-Sparer von 40% auf etwa 27%  (4+10=14% / 11% Arbeit­nehmer­anteil). Es bleibt dabei, dass der Teil­umstieg eine Opfer­genera­tion erfor­dert, die selbst keinen abso­luten Vorteil aus dem Umstieg ziehen kann.

Das Riester-System benach­teiligt sie alle: Von den Riester-Sparern for­dert es einen bis 40%* erhöhten Gesamt­beitrag, nur um das gleiche Renten­niveau zu erhalten wie ohne die Reform. Die anderen Beitrags­zahler und die Altrentner erhalten dagegen mittel­fristig ein um mehr als 4% gerin­geres Renten­niveau.
*) Etwas gesenkt nur durch den Verbrauchs­steuer-finan­zierten „zusätz­lichen Bundes­zuschuss mit Erhö­hungs­betrag”

Das Problem der Umstiegs­kosten ist in der Finanz­wissen­schaft wohl­bekannt. Lange wurde gestritten, ob es einen sogen. Pareto-verbes­sernden Umstieg geben kann. Pareto-optimal nennt man einen Zustand, wenn sich keine Gene­ra­tion durch einen System­wechsel verbess­sern kann, ohne dass eine oder mehrere Gene­rati­onen benach­teiligt würden. Seit 1995–1998 weiß man, dass es keinen Pareto-verbes­sernden Über­gang geben kann (→Wre98, →Stk04, →Thu05, →Tof06, →BaD08), man also mindes­tens eine Opfer­genera­tion braucht. Axel Börsch-Supans Papier (→Boe00) ist kein Gegen­beweis, weil es unrea­listisch hohe Renditen des KDV voraus­setzt. Aus volks­wirt­schaft­lichen Gründen ist lang­fristig eine Rendite vom Drei­fachen der Wachs­tums­rate der Wirt­schaft unmög­lich.

Von einem System­­wechsel sei kein Netto­­gewinn zu erwarten, schreibt die Bundes­­bank in einem Monats­­bericht 2008 (→Hag08). Jochen Pimpertz vom Institut der Deut­­schen Wirt­­schaft: „Wenn man die anfal­­lenden Kosten betrachtet, ist ein Umstieg wenig reiz­­voll” (→Hag08). Prof. Rürup damals: „Dies bedeutet, dass” diese Belas­tung „einen (allen­falls in der Theorie vorteil­haften) System­wechsel zum Kapital­deckungs­verfahren verbietet” (→Rue95). Prof. Heiner Ganßmann (→Gan02): die ökono­­mi­schen Bedin­­­gungen der Alters­­­versor­­­gung werden nicht verstanden. „Wäre der Gesamt­­vorgang trans­­parent, würde sich keine Genera­­tion frei­­willig aus dem Lock-In des Umlage­­systems bewegen.”

Die meisten volks­wirt­schaft­lichen Vertei­lungs­prozesse lassen sich auch umkehren. Mir ist für die schnelle Rück­wälzung der Effekte der Riester-Reform noch keine gang­bare Lösung einge­fallen. Die argen­tini­sche Lösung (→Nie09), nämlich alle Kapital gedeckten Verträge durch den Staat (zwangs­weise) einzu­sammeln und gegen Ansprüche aus dem UV tauschen zu lassen, wäre hier sicher nicht verfas­sungs­konform.

4. Stär­kung und Erweiterung der Basis der GRV

„Wenn man den Krug erst zerschlägt, dann ist es leicht zu beweisen, dass man nicht daraus trinken kann.”

Wilhelm Gerloff (1880–1954, Finanz- und Sozial­wissen­schaftler), 1932  (zitiert in →Sch01)

 

Eine Reihe von Maßnahmen und Entwick­lungen hat zu einer allmäh­lichen Austrock­nung der GRV geführt. Es gibt gute Gründe, die finan­zielle Basis der GRV wieder zu stärken und zu erwei­tern.

Die Entgeltgrenze, bis zu der eine versiche­­­­rungs­­­­freie gering­­­­fügige Beschäf­­­­tigung vorliegt, liegt bei 400 € monat­­­­lich (→Mini­­­­jobs). Diese Höhe entschei­­­det, ob die Beschäf­­­­tigung sozial­­­­versi­­­­che­­­­rungs­­­­frei ist. Es gibt: a) gering­­­­fügig entlohnte Mini­­­­jobs, b) Mini­­­­jobs in Privat­­­­haus­­­­halten, c) kurz­­­­fris­­­­tige Mini­­­­jobs. Für gering­­­­fügig entlohnte Mini­­­­jobs zahlen Arbeit­­­­geber pauschal 15% an die GRV (erbringt für einen Arbeits­monat monat­­­­lichen Renten­­­­anspruch von etwa 0,25 € →Pauschal­­­­beiträge). Siehe auch →Aufsto­ckung der GRV zur Erlan­­­­gung vollwer­­­­tiger Beitrags­­­­zeiten.

Der Anteil der Einzahler in die Soli­­dar­sy­­steme sinkt, „unten” fällt das immer größere Heer der Niedrig­­­verdiener aus dem Kreis der Einzahler heraus, es gibt immer mehr Freibe­­­rufler und Selbst­­­­­stän­­­­dige, und die Löhne der Einzahler steigen wesent­­­lich geringer als die Gesamt­­­einnahmen der deut­­­schen Bevöl­­­kerung (→Ber08). Sinkende Renten­­­­niveaus werden durch Rück­­­­gang von Normal­­­­erwerbs­­­­biogra­­­­fien und Zunahme selbst­­­­stän­­­­diger Tätig­­­­keit verschärft, aber die Selbst­­­­stän­­­­digen-Armuts­­­­­quote ist höher als die von Erwerbs­t­­­­ätigen insge­­­­­samt (→StK04).

Interview mit „Rentenpapst” Winfried Schmähl (→Sch00a): Es ist sinn­­­­voll, wenn jeder Erwerbs­­­­tätige obli­­­­gato­­­­risch in ein Alters­­­­siche­­­­rungs­­­­system einbe­­­­zogen wird, auch Selbst­­­­stän­­­dige. Bei den Beamten ist das wohl nur machbar, wenn man den Beamten­­­­status ganz abschafft. Im 5. Alten­­­­­bericht der Bundes­­­­­regie­­­­­rung (→Sch05): Einbe­­­­­ziehung aller bislang nicht obli­­­­­gato­­­­­risch abge­si­­­­cherten Selbst­­­­­stän­­­­digen (zur Vermei­­­­­dung von Alters­­­­­armut und Belas­­­­tung des Staates durch die Grund­­­­siche­­­­rung). Ähnlich auch der Sach­­­­­verstän­­­­­digenrat (→SaR08).

Franz Ruland (→NRS08): 2–3 Milli­onen Selbst­­­­stän­­­dige sind ohne obli­­­­­gatori­­­­­sche Alters­­­­­siche­­­­­rung. Vorschlag: Solo-Selbst­­­­stän­­­dige so lange versi­­­­­­ch­­­­­erungs­­­­­­pflichtig machen, als ihre Renten­­­­­­anwart­­­­­­schaft 30 Entgelt­­­­­­punkte nicht über­­­­­­schreitet (ergäbe knapp 800 € Rente). Einbe­­­­­ziehung der Selbst­­­­­stän­­­­digen würde auch Verzicht auf die bisher notwen­dige Prüfung auf Schein­selbst­­­­­stän­­­­dig­­keit bedeuten (→VdK06). Schein­selbst­­­­­stän­­­­dig­­keit bzw. Selbst­­­­­stän­­­­dig­­keit in Form von „Ein-Mann-Unter­­neh­men” (Ich-AGs) führt zu Minder­­­einnahmen der GRV. Lang­­­fristig alle Erwerbs­­­­tätigen in die GRV einzube­­­­ziehen: zuerst die gering­­­­fügig Beschäf­­­­tigten, dann Selbst­­­­­stän­­­­dige ohne adäquate Absi­che­rung (→VdK08). Eine Studie der Prognos AG für die Hans Böckler Stif­tung zeigt: Durch Einbe­ziehung von Beamten und Selbst­stän­digen in die GRV wäre eine gerin­­gere Belas­tung älterer Beitrags­­zahler und von Rentnern möglich: fast 10 Geburts­­jahr­­gänge würden von Umver­­tei­lungs­­verlie­­rern zu Gewin­nern (→Eit01). Verlierer: vornehm­lich Beamte.

Eine Ausweitung des Versi­cherten­kreises bewirkt immer nur eine vorüber­gehende Entlas­tung des Renten­sytems (→Rue06). Die Einbe­ziehung Selbst­stän­diger in die GRV wäre zwar mit einer Senkung des Beitrags­satzes verbunden – nach 30 Jahren würde sich der Beitrags­satz dem vorherigen Pfad wieder nähern. Die Befriedi­gung von Schutz­bedürfnissen (Armuts­risiko von Solo-Selbst­stän­digen) kann ein Grund für eine Auswei­tung sein. Auch durch Anhe­bung oder Abschaf­fung der Bemes­sungs­grenze lässt sich ein finan­zieller Schub für die GRV von etwa 15 bis 30 Jahren erzeugen, ehe auch dem entspre­chende Renten­ansprüche gegen­über stehen.

Maßnahmenkatalog für Erwei­terung und gegen Austrock­nung der Basis der GRV:
Zustand, Tatsache Maßnahme Wirkung
Durch die Bemes­sungs­grenze wird der GRV eine Quelle aus dem Kreis der Versi­cherten vorent­halten Anhe­bung oder Abschaf­fung der Bemes­sungs­grenze Ein finan­zieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis sich der höhere Renten­anspruch voll auswirkt
Solo-Selbst­stän­dige verdienen im Durch­schnitt wenig; Hilfs­bedürftig­keit im Alter Obli­gato­rische Versi­cherung für Solo-Selbst­stän­dige Verschlech­terung für die GRV, aber all­mäh­liche Entlas­tung des Staates bei der Grund­siche­rung; erhöhte Verwal­tungs­kosten: Prüfung von Formu­laran­gaben
Sinkende Lohn­quote schmälert Basis; Selbst­stän­dige verdienen im Durchschnitt viel Obli­gato­rische Versi­cherung auch für alle nicht berufs­stän­disch abge­sicherten Selbst­stän­digen sinkende Lohn­quoten­abhän­gigkeit; finan­zieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis durch die längere Lebens­erwar­tung die Lage der GRV sogar schlechter wird; kein Problem „Schein­selbst­stän­digkeit” mehr
Sinkende Lohn­quote schmälert Basis; Beamte verdienen im Durchschnitt mehr als Arbeiter/Ange­stellte Obli­gato­rische Versi­cherung in der GRV auch für alle Beamten sinkende Lohn­quoten­abhän­gigkeit; finan­zieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis durch die längere Lebens­erwar­tung die Lage der GRV sogar schlechter wird; Verein­heit­lichung des Ruhe­stands­rechts; beamten- und verfas­sungs­recht­liche Probleme
Sinkende Lohn­quote schmälert Basis, der Anteil anderer Ein­kommen nimmt hingegen zu Prozen­tuale Abgaben­pflicht an die GRV auf alle steuer­pflich­tigen Einkommen Ende der Lohn­quoten­abhän­gigkeit; Verwal­tungs­aufwand in der Finanz­verwal­tung
Versi­­­­­­ch­­­­­e­rungs­­­­­­­freie Tätig­keiten und nied­rige Löhne schwächen die GRV und die Versi­cherten Eindämmung versi­­­­­­ch­­­­­e­rungs­­­­­­­freier Tätig­keiten und gesetz­liche Mindest­löhne Ein finan­zieller Schub von etwa 15 bis 30 Jahren, bis sich der erhöhte Renten­anspruch voll auswirkt; allmäh­liche Entlas­tung des Staates bei der Grund­siche­rung
Die BA zahlt für ALG-II-Arbeits­lose monat­­lich nur 40,80 € an die GRV (1 Jahr ergibt zus. 2,17 € mtl. Renten­anspruch) Statt an monat­­lich 400 € soll sich die BA an ½ Durch­schnitts­entgelt orien­tieren (2008: 2507 /2 = 1253,50 € monat­lich) Ermög­licht spür­bare Renten­erhö­hung oder Beitrags­senkung
Die abgaben­freie Entgelt­umwand­lung senkt Rendite der GRV für lange Zeit (→SaR08) und belastet die Rentner und die Beitrags­zahler, die diese Möglich­keit nicht haben Been­digung der steuer- und sozial­beitrags­freien Entgelt­umwand­lung bei den Betriebs­renten Verbes­serungen für die Rentner und die nicht Begüns­tigten (und die Steuer­zahler)
Das Riestersystem senkt das Renten­niveau durch die Beitrags­kompo­nente (Riester-Faktor, Beitrags­satz­faktor) in der Renten­anpas­sungs­formel Einstellung der Förde­rung der Riester-Rente für Neuver­träge (es gilt Bestands­schutz), Heraus­nahme der Beitrags­kompo­nente aus der Renten­anpas­sungs­formel Allmäh­lich wieder Anstieg des Renten­niveaus; zusätz­liche Vorsorge fließt wieder der GRV zu
(Eigene Formulierung und Zusammenstellung)    

5. Kommende Altersarmut und Lösungs­wege dazu

Kürzere Lebens­arbeits­zeiten (durch längere Ausbil­dungs­zeiten und unstetige Erwerbs­biogra­fien), Arbeits­losig­keit (mit sehr nied­rigen Einzah­lungen durch die BA) oder Erwerbs­minde­rung, prekäre Beschäf­tigungs­verhält­nisse (Mini­jobs, Niedrig­lohn­verhält­nisse →AP09) und vor allem die „dämp­fenden” Faktoren (Riester-Faktor, Beitrags­satz­faktor und Nach­haltig­keits­faktor) in der Renten­anpas­sungs­formel werden zur Rück­kehr weit verbrei­teter Alters­armut führen — ein Phänomen, das man seit der großen Renten­reform von 1957 über­wunden glaubte.

Wer mit der Rente nur ein Einkommen unter der Grund­siche­rung erhält, dem wird das Einkommen auf das Grund­siche­rungs­niveau aufge­stockt. Das Grund­siche­rungs­niveau liegt mit 630–750 € deut­lich unter der rechne­rischen Armuts­grenze von 937 € für 1-Personen-Haus­halte (→Par07). In Deutsch­­land bekommen derzeit nur insge­samt 371.000 Menschen Grund­­siche­­rung im Alter (laut →vBN08) bzw. 410.000 Rentner (laut →Boe09). Nur 2% der 64-Jäh­­rigen bekommen staat­­­liche Grund­­­siche­­­rung — Menschen im Berufs­­­leben sind 5-mal häufiger auf diese ange­­­wiesen (→vBN08), vor allem aber Allein­­­­erzie­­­­hende (Armuts­­­­quote 2002: 29% →Bae02).

Da seit den 80er Jahren die Lang­zeit- und Mehr­fach­arbeits­losig­keit rasant zunahm, ist mit dem Hinein­wachsen dieser Gruppe ins Renten­alter eine stei­gende Alters­armut zu erwarten. 2004 gingen im Westen 20% der Neurentner, im Osten über 41% nach Arbeits­­losig­­keit in Rente, mit durch­­schnitt­­lichen Abschlägen von rund 10% (→Sch05). Bei diskon­tinu­ierlichen Erwerbs­biogra­fien oder Niedrig­lohn (z.Zt. mehr als 6 Millionen Menschen →Boe09) können immer weniger Menschen die Absen­kung des Renten­niveaus kompen­sieren. Der Präsi­dent der Deut­schen Renten­versi­cherung, Herbert Rische, mahnte in einem Inter­view (→Vet09) die Politik, zur Verhin­derung von Alters­armut den Niedrig­lohn­sektor einzu­dämmen. Eine Simula­tion am Zentrum für Sozial­­politik der Univer­sität Bremen ergab ohne ergän­zende Vorsorge eine spür­bare Abnahme des Renten­niveaus: für Jahr­gang 1970 z.B. ein Netto­renten­niveau unter 58% (→Vie04) statt der gewohnten 70%.

Eine Auswir­kung der Absen­­kung des Renten­­niveaus durch die aktu­elle Renten­anpas­sungs­formel (um 17% bis 2030, →Franz Ruland 2008): während 2005 ein Durch­­schnitts­­verdiener 26 Beitrags­­jahre aufweisen musste, um eine Grund­siche­rung in Höhe von etwa 40% des durch­­schnitt­­lichen Arbeits­­ent­gelts zu erhalten, werden die Jahr­­gänge, die nach 2030 in Rente gehen, dafür bereits rund 35 Beitrags­­jahre aufweisen müssen (→Par07). Mit dem Renten­­eintritts­­alter 67 brauchen sie sogar 37 Beitrags­­jahre, um eine Absi­­cherung in Höhe der Grund­­siche­­rung zu erhalten. Da die nicht-obli­­­ga­to­­­ri­sche private Alters­­­­vorsorge nicht flächen­­­­deckend ist und nicht sozial aus­glei­­­chend wirkt, werden sich die Ein­kom­­­mens­­­­unter­­­­schiede im Alter enorm vergrö­­­ßern (→Bae02). Wer nur 1.500 € monat­­­lich verdient, muss bereits heute 43 Jahre arbeiten, um das Niveau der Grund­­­siche­­­rung zu errei­­­chen (→Boe09). Ein volles Erwerbs­­­leben zu 50% des Durch­­­schnitts­­­einkom­­­mens reicht heute nur zu 59,2% des früheren durch­­­schnitt­­­lichen Netto­­­einkom­­­mens, während es im OECD-Durch­­­schnitt 82,1% sind (→IMK09)!

Ausge­hend von rund 20 Milli­onen Älteren in 2025 würde eine Quote von 10% Grund­siche­rungs­bezie­hern 2 Milli­onen Menschen umfassen. Bei heute schon über 10% Armen (Hartz IV plus Grund­siche­rung) mit einer geschätzten Dunkel­ziffer von 2,4 Milli­onen kämen wir dann 2025 auf eine Gesamt­armuts­quote von 20% (→Par07).

Das Ziel im Wahl­programm der CDU und im Koali­tions­vertrag — wer ein Leben lang in Voll­­­zeit gear­­­beitet hat, soll eine Rente ober­­­halb der Grund­siche­rung bekommen — ist nicht wirk­­lich eine Lösung gegen allge­­meine Alters­­armut: das ärmste Fünftel der künf­­­tigen Rentner wird im Schnitt nur 18 Jahre sozi­al­­ver­siche­­­rungs­­­pflichtig in Voll­­­zeit gear­­­beitet haben, und das sind zumeist weib­­­liche Teil­­­zeit­­­kräfte (→RiW09). Die FDP fordert ein bedürf­­tigkeits­­geprüftes Bürger­­geld in Höhe von 662 €, das alle steuer­­finan­­zierten Leis­­tungen bündelt, und zugleich soll die GRV lang­­fris­tig an Gewicht verlieren (System­­wechsel zum KDV!). Die AfA in der SPD, die Deut­­­sche Renten­­­versi­­­cherung, der DGB und die Wahlpro­­­gramme von Grünen und Links­­­partei sprechen sich für eine Versi­che­­rungs­­­pflicht aller Erwerbs­­­tätigen aus. Alle diese Vorschläge betreffen oder lösen nur Rand­­­probleme der Alters­­­armut.

Drei Grund­typen von Lösungen gegen die Alters­armut finden sich in den west­lichen Indu­strie­ländern (→RiW09): 1) die Grund­­rente, eine für alle Versi­­cherten gleich hohe Basis-Rente ohne Bedürf­­tigkeits­­prüfung separat von der einkom­­mens­­bezo­­genen Rente: Norwegen, Groß­bri­tan­nien, Nieder­­lande, Däne­­mark; 2) die Mindest­­rente, ein aus der Renten­­kasse gezahlter garan­­tierter Sockel: z.B. Frank­­reich, Schweden, die Schweiz; 3) eine bedarfs­­geprüfte Leis­­tung inner­­halb des Renten­­systems (Grund­­siche­­rungs-Säule außer­­halb der Sozial­­hilfe mit Anrech­­nung der regu­­lären Rente): Beispiel Öster­­reich.

Eine steuer­­finan­­zierte Grund­­rente über der Grund­­siche­­rung als Absiche­rung zu der leis­­tungs­­bezo­­genen gesetz­­lichen Rente scheint sehr populär zu sein und taucht in vielen Vari­­anten auf. Wie der Wissen­­schaft­­liche Beirat beim Bundes­­­minis­­­terium für Wirt­­­schaft fest­­stellte, bräuchte man eine Mehr­­­wert­­­steuer-Erhö­­­­hung von 15 bis 20 Prozent­­­­punkten, um eine solche Grund­­­­rente zu finan­­­­zieren (→WiB98). Rürup hielt 1995 fest, dass eine Einheits­­­­rente von nur 12.000 DM im Jahr (für die ein Durch­­­­schnitts­­­­verdiener sonst 26 Jahre lang Beiträge zahlen müsste) im Jahre 2030 einen Mehr­­­wert­­­steuer­­­satz von 30% erfor­­­dern würde (→Rue95). Bei allen Grund­­renten­­vorschlägen besteht zudem die Gefahr, dass schließlich nur eine steuer­­finan­­zierte Sockel­­rente übrig bleibt und die Erwerbs­­tätigen zur Aufsto­­ckung an die Privat­­rente verwiesen werden (→Sch05, →EnK08) nach dem Muster des Welt­bank-Papiers von 1994 (→Rus02). Eine Mindest­­rente nach Maßgabe der Renten­an­sprü­che allein ist auch proble­­matisch, da so z.B. die Ehefrau eines Gutver­­dienenden die Mindest­­rente erhalten kann (→Tof06).

Martin Staiger (→Sta09) gibt eine ausführ­­liche Über­­sicht über vier viel­­disku­­tierte alter­native System­­vorschläge:

1) Die Bürger­versi­cherung, wie sie in der Schweiz prakti­ziert wird: alle Einkommen werden mit Beiträgen belegt und es gibt keine Einkom­mens­ober­grenze für die Erhe­bung von Beiträgen. Die Prognos AG kam für das Modell für Deutsch­land auf einen um 2 Prozent­punkte gerin­geren Beitrag als heute. Die wach­sende Zahl von Selbst­stän­digen mit geringen Einkommen hätte dann auch ein wesent­lich gerin­geres Alters­armuts­risiko. Es würde aber große Schwierig­keiten bereiten, die verschie­denen Systeme der Alters­siche­rung in eine Bürger­versi­cherung zu inte­grieren. Schließ­lich stünden den Renten­beiträgen später auch Renten­ansprüche von Selbst­stän­digen gegen­über.

2) Die Mindest­rente für Beschäf­tigte — Rütt­gers Garantie­rente für lang­jährig Voll­zeitbe­schäftigte — soll über der Grund­siche­rung liegen, wobei heute nicht klar ist, um wie viel (auf dem Leip­ziger Parteitag hieß es noch: 15%). Eine solche Rente stünde aber im Wider­spruch zum Äqui­valenz­prinzip des gegen­wärtigen Renten­systems. Sie würde auch das Bedarfs­deckungs­prinzip aushebeln als „Grund­siche­rung plus” für lang­jährig Berufs­tätige. Da sie steuer­finan­ziert sein soll, bedeutet sie eine Zusatz­belas­tung künftiger Steuer­zahler.

3) Die „Cappuc­cino”-Rente ist aus zwei Schichten aufge­baut. Eine Sockel­rente soll das Existenz­minimum sichern. Kosten für Unter­kunft und Heizung kämen dazu. Finan­ziert wird sie aus Beiträgen auf alle steuer­pflich­tigen Einkünfte bis zur Beitrags­bemes­sungs­grenze. Bei einem Existenz­minimum von 410 € pro Monat wäre eine Abgabe von 5,5% nötig. Dazu sollen die Beiträge für die Arbeit­nehmer-Pflicht­versi­cherung wie heute zu gleichen Teilen von Arbeit­gebern und Arbeit­nehmern erbracht werden — sie könnten aber auf etwa 11,5% sinken. Zudem sollen Zeiten für die Erzie­hung von Kindern und der Arbeits­losig­keit stärker ange­rechnet werden. Die Cappuc­cino-Rente bewahrt Menschen mit brüchigen Erwerbs­biogra­fien vor Armut im Alter und schließt ohne radi­kale Reformen an das heutige System an; zudem sinken die Arbeits­neben­kosten.

4) Die Wert­schöp­fungs­abgabe (nach dem früheren österreichischen Sozialminister Alfred Dallinger †) soll die nega­tiven Auswir­kungen der Automa­tisie­rung auf die Lohn­quote ausgleichen. Der Arbeit­nehmer­beitrag wird wie bisher durch eine prozen­tuale Abgabe auf die Brutto­einkünfte erhoben. Der Arbeit­geber­beitrag wird nach der Wert­schöp­fung der Unter­nehmen erhoben, also Umsatz minus Ausgaben für Waren und Dienste. Eine Wert­schöp­fungs­abgabe läge heute deut­lich unter 5%, even­tuell sogar nur bei 4%. Sie fördert personal­inten­sive Unter­nehmen relativ und belastet maschinen­inten­sive Unter­nehmen stärker. Kritiker sehen aller­dings Schwierig­keiten bei der genauen Berech­nung der Wert­schöp­fung. Ein direkter Zusam­menhang mit der Alters­armut ist nicht ersicht­lich.

Die bisherigen Vorschläge, soweit sie zur Bekämp­fung der Alters­armut gedacht sind, waren sämt­lich „Stufen­lösungen”, d.h. sie boten Lösungen bis zu einer bestimmten Höhe an. Dies verschiebt das Gerech­tigkeits­problem nur auf eine andere Höhe. Direkt ober­halb dieser Höhe gibt es Versi­cherte, die evtl. das Doppelte geleistet haben, nun aber nur gering­fügigst mehr bekommen. Gerechter sind konti­nuier­liche Lösungen, die ebenso das Armuts­problem entschärfen und gleich­zeitig eine gewisse Leis­tungs­äqui­valenz garan­tieren.

Ein solcher Vorschlag ist der Reform­­vorstoß von Prof. Fried­­rich Breyer: Wer sehr wenig verdient, erhält bei seiner Monats­­rente etwas mehr als den „einge­­­zahlten Euro” — bei Spitzen­­­verdie­­­nern umge­­­­kehrt (→DIW09). Aufgrund der syste­­­­mati­­­­schen Unter­­­­schiede in der Lebens­­­­erwar­­­­tung für die verschie­­­denen Einkom­­­­mens­­­­gruppen ist das bishe­rige Konzept der Teil­­­­habe­­­äqui­­­­valenz unge­­­­recht. Bisher sollte die Teil­­­­­habe­­­­­äqui­­­­­valenz eine syste­­­­­mati­­­­­sche Umver­­­­tei­lung in der GRV verhin­­­­dern. Vertei­­­­­lungs­­­­­neutra­­­­­lität herrscht aber erst, wenn die gesamte erwar­­­­­tete Renten­­­­­leis­­­­tung auf die gesamten gezahlten Beiträge bezogen wird. Daher schlagen Fried­­rich Breyer und Stefan Hupfeld eine neue Renten­­­­formel zur Wahrung der tatsäch­lichen Vertei­­­­lungs­­­­neutra­­­­lität vor (→BrH09).

Die wirklich verteilungsneutrale Breyer-Hupfeld-Rentenformel
alte Formel   neu: Korrektur­faktor
monatliche Rentenhöhe j = erworbene Ent-
 geltpunkte j
 ·  Versicherungs-
  dauer
 ·  volkswirtschaftliche Kom-
ponente der Renten­höhe j
 ·  10,16

5,17+4,05 · erworbene Entgeltpunkte j

 Quelle: → F. Breyer, S. Hupfeld: Neue Rentenformel – mehr Gerechtig­keit und weniger Alters­armut, 2009

Erläu­­­­­terung der Formel:  j bezeichnet das Jahr, für das berechnet wird. Die volks­­­­­wirt­­­­­schaft­­­­­liche Kompo­­­­­nente ist propor­tional zum Aktu­­­­­­ellen Renten­­­­­­wert. Die Zahlen im Korrek­­­­­turfaktor beziehen sich auf die statis­­­­­tischen Werte von männ­­­­­lichen Rentnern (nur deren Daten wurden unter­­­­­sucht). 10,16 Jahre ist die durch­­­­­schnitt­­­­­liche Rest­lebens­­­­­erwar­­­­­tung eines 65-jäh­­­­­rigen Versi­­­­­cherten. Ein Rentner mit null Entgelt­­­­­punkten pro Jahr kann mit 65 Jahren nur noch 5,17 Lebens­­­­­jahre erwarten, während es für jeden Entgelt­­­­­punkt pro Jahr mehr weitere 4,05 Jahre sind. Indem diese in den Nenner gesetzt werden, wird die Renten­­­­­höhe eines Niedrig­­­­­verdie­­­­­ners z.B. so mit dem Kehr­­­­­wert seiner gerin­­­­­geren Lebens­erwartung aufge­­­­­wertet, dass seine zu erwar­tende Lebens­­­­­rente seiner Leis­tung äqui­valent wird — für die lang­­­­­lebigen Gutver­­­­­diener wirkt sie umge­­­­­kehrt.

Nach dieser Formel ist der monat­liche Renten­anspruch wie bisher proportional zu den Versiche­rungs­jahren, nimmt aber mit dem jähr­lich erzielten Einkommen nur degressiv zu: die resul­tierende Kurve ist also oben gewölbt, wenn man nach oben das Einkommen und nach rechts die Versiche­rungs­jahre abbildet. Natürlich kann nach Auswer­tung entspre­chender Daten für Frauen auch eine spezi­fische Frauen-Formel aufge­stellt werden; das ist sogar so möglich, „dass das rela­tive Niveau der Renten von Frauen im Vergleich zu Männern nicht verän­dert wird” (→BrH09, S. 86). Da sich die durch­schnitt­liche Lebens­erwar­tung und die Sterb­lich­keit nach Einkommen im Laufe vieler Jahre ändern können, wäre es bei einer gesetz­lichen Rege­lung sinn­voll, statt der Zahlen Vari­ablen in der Formel zu haben. Der Verwal­tungs­aufwand einer solchen Berech­nung wäre sehr gering, da das Einkommen in Form der Entgelt­punkte in den admi­nistra­tiven Daten der Renten­versi­cherung bereits enthalten ist.­­­­

Wäre die Formel bereits 2004 ange­wandt worden, dann wäre der Anteil der Bezieher von Grund­siche­rung statt 1,2% nur 0,26% gewesen. Durch Anwen­­­­­dung der neuen Formel auf das im Jahre 2030 um 15% gesun­­­­­kene Renten­­­­­niveau würde der Anteil der Bezieher von Grund­­­­­siche­­­­­rung von 2,4% auf 0,6% sinken (→BrH09). Drei Ziele werden mit der Formel gleich­­­­­zeitig erreicht: Reduk­­­­­tion des Risikos für Alters­­­­­armut, Stär­­­­­kung der (neuen) Teil­­­­­habe­­­­äqui­­­­­valenz und Vermei­­­­­dung einer zusätz­­­­­lichen Belas­­­­­tung. „Es kann also auf ein weiteres, teures Instru­­­­­ment zur Bekämp­­­­­fung der Alters­­­­­armut — neben der Grund­­­­­siche­­­­­rung im Alter — verzichtet werden, wenn mit dem Prinzip der Vertei­­­­­lungs­­­­­neutra­­­­­lität im deut­­­­­schen Renten­­­­­system ernst gemacht wird: Bezieht man die Lebens­­­­­erwar­­­­­tung der verschie­­­­­denen Einkom­­­­­mens­­­­­gruppen in die Berech­­­­­nung der Renten­­­­­ansprüche ein und beendet damit die Umver­­­­­teilung zu Gunsten der Besser­­­­­verdie­­­­­nenden auf Grund ihrer längeren Renten­­­­­bezugs­­­­­zeiten, so lässt sich auch der drohenden Alters­­­­­armut unter lang­­­­­jährigen Beitrags­­­­­zahlern wirksam begegnen”.

6. Arbeitsbelastung, Altersgrenze und Genera­tionen­gerech­tigkeit

Die Gesamt­dauer der beitrags­pflich­tigen Erwerbs­tätig­keit hängt ab von den Ausbil­dungs­zeiten, der (Un)Ste­tigkeit der Erwerbs­biogra­fien und dem vorzei­tigen oder regu­lären Renten­eintritt.

Der Berufs­ein­stieg der Anfänger vari­iert zwischen 15 und über 25 Jahren. Tenden­ziell verspätet er sich leicht wegen längerer Ausbil­dungs­zeiten, beson­ders im Westen.

Lebensalter im Jahr der Beendigung der Berufsausbildung
Abschluss-Jahr West-Deutschland Ost-Deutschland
untere 25 % untere 50 % untere 75 % untere 90 % untere 25 % untere 50 % untere 75 % untere 90 %
1993–1995 19 Jahre 20 Jahre 22 Jahre 24 Jahre 19 Jahre 20 Jahre 21 Jahre 22 Jahre
Quelle: Berechnungen von D. Konietzka (→Kon01) nach Daten der IAB-Beschäftigtenstichprobe 1975-1995

Auch nach Abschluss der Ausbil­dung findet nicht jeder gleich eine Beschäf­tigung.

Anteil der Ausbildungs­absolventen (mit/ohne formellen Abschluss), die nach der Ausbil­dung
bis Ende 1995
keine sozial­versicherungs­pflichtige Beschäftigung aufgenommen hatten
Abschluss-Jahr West-Deutschland Ost-Deutschland
Gesamt Männer Frauen Gesamt Männer Frauen
199312,8 %13,1 %12,8 % 14,1 %11,7 %17,3 %
199417,9 %18,3 %17,9 % 18,1 %13,5 %23,9 %
 1995*31,7 %31,6 %31,7 % 40,5 %36,5 %45,2 %
*) im Osten nur Personen mit Ausbil-
    dungs­ende bis November 1995
Quelle: Berechnungen von D. Konietzka (→Kon01) nach Daten der IAB-Beschäf­tigten­stichprobe 1975-1995

Versi­cherte mit 45 Berufs­jahren (nach denen der „Eckrentner” und das frühere Siche­rungs­ziel „Lebens­standard” berechnet wurden) werden so immer seltener (nur 43% der Rentner bzw. 5% der Rentne­rinnen →Netto­renten­niveau in Bezug auf Beitrags­jahre, 2002). Ab 2012 (mit Beginn des Über­gangs zur „Rente mit 67”) kann die Alters­rente für beson­ders lang­jährig Versi­cherte bekommen, wer 65 Jahre alt geworden ist und 45 Jahre mit Beitrags­zeiten zurück­gelegt hat (→The09): Das ist der bisher einzige Fall einer an Beitrags­jahre gekop­pelten Rege­lung für die sonst am Lebens­alter orien­tierte Regel­alters­grenze.

Für rund ein Sechstel aller Rentner beginnt das Rentner­dasein früher wegen einer Erwerbs­minde­rungs­rente, mit Abschlägen bis maximal 10,8% vor Voll­endung des 60. Lebens­jahres (Wiki­pedia: →GRV). Schwer­­behin­­derte benötigen eine Mindest­­versi­­che­­rungs­­zeit von 35 Jahren und die Aner­­kennung als Schwer­­behin­­derter, um eine frühere Rente bean­­tragen zu können. Das Renten­­eintritts­­alter dafür soll ab dem Jahr­­gang 1941 Schritt für Schritt bis auf 63 Jahre angehoben werden (→Karriere­­ende Ratgeber). Darüber hinaus gingen 2004 im Westen 20% der Neurentner, im Osten über 41% nach Arbeits­­losig­­keit in Rente, mit durch­­schnitt­­lichen Abschlägen von rd. 10% (→Sch05). Dieser frühere Renten­­eintritt aufgrund von Arbeits­­losig­­keit wurde seit 2006 bis 2008 in Monats­­schritten auf 63 Jahre erhöht und soll in abseh­­barer Zeit über­­haupt nicht mehr möglich sein (→Karriere­­ende Ratgeber). Bei vorzei­­­tiger Inan­­­spruch­­­nahme der Rente vor der Regel­­­alters­­­grenze (max. 60 Monate) ergibt sich eine Renten­­­kürzung (Abschlag) um 0,3% pro Monat (das macht 18% in den maximal mögli­chen 5 Jahren); bei verspä­teter Inan­­­spruch­­­nahme nach der Regel­­­alters­­­grenze erhöht er sich (Zuschlag) um 0,5% pro Monat (Wiki­pedia: →Zugangs­faktor). Diese Abschläge gelten lebens­­­lang — auch bei anschlie­­­ßend gezahlten Hinter­­­blie­­­benen­­­renten. Wer eine Alters­rente vorzeitig in Anspruch nimmt oder eine Rente wegen vermin­derter Erwerbs­fähig­keit bezieht, darf bis zu 400 € hinzu­verdienen, ohne dass seine Rente gekürzt wird. Verdient er mehr, kann er seinen Renten­anspruch ganz oder teil­weise verlieren. Ab der Regel­alters­grenze gibt es keine Hinzu­verdienst­grenzen mehr (→DRV: häufige Irrtümer).

Die unter­schied­lichen beruf­lichen Belas­tungen lassen sich am Auszug aus der Renten­eintritts­statistik ablesen:

Renten­ein­tritts­gründe nach Berufs­gruppen   (Quelle: →Ses07 nach Daten des  iso-Instituts)
Beruf Männer Frauen
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wegen Alters wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wegen Alters
Ärzte/Ärztinnen  4,2 %95,8 %   4,1 %95,9 %
Apotheker/Apothekerinnen   4,7 %95,3 %
Maschinenbauingenieure5,6 %94,4 %
Chemiker6,0 %94,0 %
Verbandsleiter6,0 %94,0 %
Architekten8,0 %92,0 %
Unternehmer/Unternehmerinnen8,2 %91,7 % 14,6 %85,4 %
Leitende Verwaltungsfachleute9,3 %90,7 %
Bibliothekare/Bibliothekarinnen 13,6 %86,4 %
Buchhalter/Buchhalterinnen 14,5 %85,5 %
Bürofachkräfte 15,1 %84,9 %
Techniker/Technikerinnen 15,3 %84,7 %
Rohrinstallateure35,8 %64,2 %
Schlosser36,1 %63,9 %
Köche/Köchinnen 37,0 %63,0 %
Maurer37,6 %62,4 %
Krankenpfleger/Krankenschwestern39,0 %61,0 % 38,1 %61,9 %
Betonbauer38,4 %61,6 %
Hilfsarbeiter/Hilfsarbeiterinnen 39,0 %61,0 %
Sozialarbeiter/Sozialarbeiterinnen 39,2 %60,8 %
Krankenpflegehelferinnen 40,4 %59,6 %
Kellner/Kellnerinnen 40,4 %59,6 %
Montierer/Montiererinnen 41,3 %58,7 %
Fliesenleger42,0 %58,0 %
Dachdecker50,3 %49,7 %

Ähnliches lässt sich auch aus der Früh­verren­tungs­statistik ablesen:

Arbeitsbedingte Frühverrentung nach Berufs­gruppen   (Quelle: →DGB05)
Beruf Männer Frauen
Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt Arbeitsbedingter Anteil Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt Arbeitsbedingter Anteil
Kindergärtnerinnen
Verkäuferinnen   +6 %  5 %
Raumpflegerinnen +23 %19 %
Maler+32 %24 %
Bürofachkräfte+45 %31 %
Maurer+44 %30 %
Krankenpfleger / Krankenschwester+139 %  58 % +37 %27 %
Bergleute+385 %  79 %
Arbeitsbedingte Frühverrentung nach besonderen Belastungen   (Quelle: →DGB05)
Tätig­keit Männer Frauen
Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt Arbeitsbedingter Anteil Erhöhtes Risiko im Vgl. zum Durchschnitt Arbeitsbedingter Anteil
immer Schichtarbeit+38 %27 % +58 %37 %
sehr schwere körperliche Arbeit+62 %38 % +78 %44 %
geringer Handlungspielraum hoch+161 %  62 % +60 %38 %
geringer Handlungspielraum gesamt+61 %38 % +27 %21 %

Viele, die wegen Gesund­­heits­­pro­blemen ihren Arbeits­­platz verlieren, bekommen gar keine Erwerbs­­minde­­rungs­­rente und rutschen in Hartz IV ab (→Wie09): auf zwei bean­­­tragte Erwerbs­­­minde­­­rungs­­­renten kommt eine Bewil­­­ligung. Da für Bezieher von Erwerbs­­minde­­rungs­­rente vor dem 60. Lebens­­­­jahr auch das Sterbe­­­­risiko um 74% erhöht ist (→Kib08), könnte man geneigt sein, dies zum Ausgangs­­­­punkt einer Gutma­­­­chung für die entgan­­­­gene Rente nach einzelnen Berufs­­­­gruppen zu nehmen. Eine noch bessere Entschä­­­­digung wäre es, den beson­­­­ders betrof­­­­fenen Berufs­­­­gruppen die entge­­­­hende Lebens­­­­zeit durch eine frühere Regel­alters­grenze auszu­­­­gleichen.

Prinzi­­­­piell ist es möglich, für jede Berufs­­­­gruppe anhand entspre­­­­chender Sterbe­­­­statis­­­­tiken eine eigene versiche­­­­rungs­­­­mathema­­­­tisch errech­­­­nete Regel­alters­grenze festzu­legen. Aber dafür braucht man genaue Sterbe­­­­statis­­­­tiken — der Rück­­­­griff auf Erwerbs­­­­minde­rungs­­­­statis­­­­tiken reicht dazu nicht. Solche Sterbe­­­­statis­­­­tiken sind in den im Abschnitt über unter­­­­schied­­­­liche Lebens­­­­erwar­­­­tungen vorge­­­­stellten Daten von Marc Luy (→Luy06) und noch präziser von Eva Kibele (→Kib08) enthalten, aller­­­­dings nur für die (frühere) Zuge­­­­hörig­­­­keit zur Arbeiter- oder Ange­­­­stellten-Versi­­­­cherung — eine Unter­­­­schei­­­­dung, die man eigent­lich über­­­­winden wollte (siehe dazu →Gibt es den Status Arbei­terIn noch?, ver.di). Da diese Unter­­­­schei­­­­dung noch bis vor 2005 getroffen wurde und die Daten für die schon damals Versi­­­­cherten zurück verfolgt werden könnten, ist eine Basis für eine „Arbeiter”-Versi­cherung (rein abrech­nungs­tech­nisch natür­lich) vorhanden, um den „Arbeitern” eine eigene (und wesent­lich niedri­gere) Regel­alters­grenze zu geben. Nur für die Neuversi­cherten, die ab 2005 ins beitrags­pflich­tige Erwerbs­leben neu einge­treten sind (und damit zufällig auf die Renten­versiche­rungs­träger verteilt wurden), müsste ein Weg gefunden werden, sie aufgrund ihres Berufs einer der beiden Kate­gorien zuzu­weisen. Das würde die jetzige „Umver­teilung“ der Renten zu Lasten der „Arbeiter“ beenden.

Diese Maßnahme löst nicht alle Probleme der Arbeits­belas­tung im Zusammen­hang mit dem Renten­eintritt, ent­schärft sie aber sehr. Eine abrech­nungs­tech­nisch feinere Aufteilung nach einzelnen Berufs­gruppen wäre wün­schens­wert und sollte auch das Fern­ziel sein. Solange entspre­chende präzise Sterbe­statis­tiken nicht vorliegen, sollte bei einem so krassen Unter­schied in den Renten­erle­bens­raten von 13% zwischen Arbeitern und Ange­stellten (bei nur 1% Unter­schied zwischen Ange­stellten und Selbst­stän­digen sowie 3% Unter­schied zwischen Selbst­stän­digen und Beamten) dennoch gehan­delt werden. Nach erst­maliger Fest­legung von geson­derten gesetz­lichen Renten­eintritts­alters­grenzen sollte eine even­tuelle Neujus­tierung nur in größeren Abständen (und immer in ganzen Alters­jahren) erfolgen — eine versiche­­­­rungs­­­­mathema­­­­tisch faire Feinjus­tierung kann zwischen­durch über den jewei­ligen Beitrags­satz geschehen.

Die Früh­­verren­­tungs­­mög­lich­­keiten führten zu einem tatsäch­­lichen durch­­schnitt­­lichen Renten­­eintritts­­alter, das mit gut 60 Jahren weit unter dem gesetz­­lichen lag (→Ses06). Die groß­zügigen Vorruhe­stands­regeln der Vorgänger­regie­rung baute Rot-Grün nur zaghaft weiter ab (→Neuan­fänge). Bis Ende 2005 gab es den Vorruhe­­stand ab dem 60. Lebens­­jahr für alle, die arbeitslos waren oder unter die Alters­­teil­­zeit-Rege­­lung fielen. Es musste nur auf etwas Rente verzichtet werden — maxi­maler Abschlag: 18%. In den Jahren 2006 bis 2008 stieg die Eintritts­schwelle in Monats­schritten auf das 63. Lebens­jahr (→Alters­­grenze Vorruhe­­stand). Heute kann die Alters­­rente wegen Arbeits­­losig­­keit von Versi­­cherten bezogen werden, die vor 1952 geboren sind und nach dem Lebens­­alter von 58 Jahren und 6 Monaten insge­­samt 52 Wochen (fast genau ein Jahr) arbeitslos (möglichst gemeldet) waren und in den letzten zehn Jahren davor minde­stens acht Jahre Pflicht­beiträge an die GRV gezahlt haben (→DRV/BA).

Prof. Axel Börsch-Supan: Ein sehr teurer nega­­tiver Anreiz­­effekt wurde durch das Fehlen einer versi­che­rungs­­mathe­­matisch fairen Anpas­­sung der Rente an das Renten­­eintritts­­alter bewirkt. Arbeit­­nehmern, die später in Rente gingen, entgingen dadurch mehr als 50% des Einkom­­mens (nach 2004 werden es noch 20% bis 30% sein). Das führte zu einer Vermin­­derung des Durch­­schnitts­­renten­­alters um 2,5 bis 3,5 Jahre und damit etwa 20% der Renten­­ausgaben. Am wirk­sam­sten hilft gegen Alters­­struktur­ände­­rungen eine Erhö­­hung des fakti­­schen Renten­­eintritts­­alters — mehrere Gesetzes­ände­­rungen dazu nach 1992 könnten eine Erhö­­hung um bis zu 3 Jahre bewirken. Prognos (1998): ein Drittel der Beschäf­­tigten wird sich dem durch eine Inva­li­ditäts­­rente entziehen (→Boe02).

Zur „Förde­rung eines glei­tenden Über­gangs in den Ruhe­stand” wurden durch das sogen. Alters­teil­zeit­gesetz mit Wirkung zum 1. August 1996 Rahmen­bedin­gungen für Verein­barungen der Arbeit­geber und Arbeit­nehmer über Alters­teil­zeit­arbeit geschaffen (→Alters­teil­zeit). Es bietet älteren Arbeit­nehmern die Möglich­keit, ihre Arbeits­zeit nach Vollen­dung des 55. Lebens­jahres auf die Hälfte zu redu­zieren. Den Unter­nehmen bleiben die Erfah­rungen der Älteren erhalten, während die Arbeits­zeit nach den Bedürf­nissen der Unter­nehmen wie den Wünschen der Arbeit­nehmer verteilt werden kann. Arbeits­zeit: täglich mit vermin­derter Stunden­zahl oder an bestimmten Tagen der Woche oder im wöchent­lichen oder monat­lichen Wechsel. Bedingung: über einen Gesamt­zeit­raum von bis zu drei Jahren wird die Arbeits­zeit im Durch­schnitt halbiert. Die Alters­teil­zeit­verein­barung muss immer mindes­tens bis zum Renten­alter reichen. Mindest­netto­beträge: Für Altfälle, welche die Alters­teil­zeit vor dem 1. Juli 2004 begon­nen haben, muss der Arbeit­geber das Teil­zeit-Arbeits­entgelt um 20% auf­stocken, jedoch min­destens auf 70% des um gesetz­liche Pauschal­abzüge vermin­der­ten bishe­rigen Arbeits­entgelts (→Mindest­netto­beträge). „Die neuere und heute fast ausschließ­lich genutzte Form der Alters­teil­zeit ist das Block­modell. Hierbei wird die Alters­teil­zeit in zwei gleich lange Beschäf­tigungs­phasen unter­teilt: in der ersten, soge­nannten Arbeits­phase bleibt die wöchent­liche Arbeits­zeit unge­kürzt. In der zweiten Phase, der Frei­stel­lungs­phase, wird der Arbeit­nehmer von seiner Arbeits­leis­tung freige­stellt. Über die Gesamt­dauer ergibt sich also auch hier eine Reduzie­rung der Arbeits­zeit.” „In der Praxis wird die Alters­teil­zeit aber auch zur Reduzie­rung von Arbeits­plätzen genutzt.” (Wiki­pedia: →Alters­teil­zeit). Die Alters­teil­zeit im Block­­modell ist proble­­matisch: sie fördert die Früh­­verren­­tung (→VdK08).

Die SPD wollte 2009 die Möglich­­keit der Alters­­teil­­zeit neu beleben und den Vorruhe­­stands­­zuschuss der BA, der eigent­­lich Ende des Jahres auslaufen sollte, bis 2015 verlän­­gern. Prof. Axel Börsch-Supan: „... lang­­fristig wäre es ange­­sichts der demo­­grafi­­schen Entwick­­lung reiner Wahn­­sinn, über die Alters­­teil­­zeit den Weg in die Früh­­rente wieder zu erleich­­tern.” Die Älteren würden, da die gebur­­tenschwa­­chen Jahr­­gänge bald auf den Arbeits­­markt kämen, drin­­gend gebraucht, um den Fach­­kräfte­­bedarf zu decken. (→Verlän­gerte Alters­teil­zeit?, →SaS08). Aber mit dem Jahres­­ende 2009 ist die staat­­liche Förde­­rung der Altersteilzeit nun tatsäch­­lich ausge­­laufen (→Aus).

Mit dem Alters­­grenzen­­anpas­­sungs­­gesetz von 2007 wurde beschlossen, das gesetz­liche Renten­ein­tritts­alter über 18 Jahre hin in Stufen von 2012 bis 2029 von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen. Es sieht eine jähr­liche Erhö­hung um einen Monat bis 2023 vor, danach um jeweils zwei Monate bis 2029. Es soll laut Gesetz 2010 über­prüft werden.

Renten-    
eintrittsalter
Stei­gendes gesetz­liches Renten­ein­tritts­alter in Deutsch­land
nach dem Alters­­grenzen­­anpas­­sungs­­gesetz von 2007
Jahre   Monate  
67—— 0      
  10      
  8      
  6      
  4      
  2      
66—— 0      
  11      
  10      
  9      
  8      
  7      
  6      
  5      
  4      
  3      
  2      
  1      
65—— 0          
     
Erhöht im Jahr: seit 1916 ... 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 ...
Geburtsjahrgang:  ... vor 1947 ... 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 ...
  Eigene Darstellung.   Quelle: Bundesagentur für Arbeit

So wie sich bei gege­­­bener Situ­­­ation ein gewünschtes Renten­­­niveau durch einen entspre­­­chend berech­­­neten Beitrags­­­satz erzielen lässt oder ein gewünschter Beitrags­­­satz durch ein entspre­­­chendes Renten­­­niveau erkauft wird, so lässt sich durch ein Verschieben des Renten­­­alters im Prinzip fast jede gewünschte Kombi­nation von Beitrags­­­satz und Renten­­­niveau erreichen. Prof. Werner Sessel­meier: Eine Herauf­setzung des Renten­eintritt­salters entlastet die GRV über zwei Wege: mehr Einnahmen auf Grund längerer Lebens­arbeits­zeit und weniger Ausgaben auf Grund kürzerer Renten­bezugs­dauer (→Ses06). Zielt man nur auf die Renten­höhe ab, gilt die Aussage von Prof. Rürup (jetzt „Chef­ökonom” des Finanz­­dienst­­leis­­ters AWD): die Rente mit 67 bedeutet ein Renten­­plus von 4,5% (→Pre09). Das wäre dann auch ein Beitrag zur Bekämp­fung der Alters­armut. Prof. Schmähl (→Sch05): Eine Anhe­­­bung des abschlag­­­freien Renten­­­alters wäre auch deshalb vertretbar, da sie die Gefahr unzu­rei­­chender Ansprüche im Alter verrin­­­­gert.

Es scheint auf den ersten Blick auch angemessen, die ständig stei­gende fernere Lebens­erwar­­tung (die bis 2029, wenn das gesetz­­liche Renten­­eintritts­­alter um zwei Jahre ange­­hoben sein wird, nach den Schät­­zungen bereits um weitere drei Jahre ange­­stiegen sein wird) durch eine Anhe­­bung des gesetz­­lichen Renten­­eintritts­­alters auszu­­gleichen. Seit 1960 haben sich die Renten­­­lauf­­­zeiten um im Durch­­­schnitt fast 74% verlän­­gert (→NRS08). Das aber ist eine stati­­sche Sicht­weise, die annimmt, dass es inzwi­schen keinen Produk­­tivitäts­­fort­­schritt (und eine gleich­­blei­­bende Lohn­­quote) geben wird. Ist nämlich bis dahin die Wirt­­schaft genü­­gend gewachsen, können wir uns dann beides leisten: die Beibe­­haltung des jetzigen Renten­­eintritts­­alters und die gestie­­gene Lebens­erwar­­tung.­­

Die folgende Tabelle zeigt, dass darüber hinaus der Anstieg der durch­­schnitt­­lichen Renten­­bezugs­­dauer (in der die Lebens­­erwar­­tung zum Tragen kommt) von einem gleich­­zeitigen Anstieg des durch­schnitt­­lichen Renten­­eintritts­­alters insbe­­sondere der west­deut­­schen Männer begleitet wurde. Die gestie­­gene Lebens­erwar­­tung war per Saldo also kaum eine Belas­tung der GRV!

Rentenbezugsdauer und Renten­ein­tritts­alter (West-Deutschland), Durchschnitt:
Jahr Männer Frauen
Rentenbezugsdauer Renten­ein­tritts­alter Rentenbezugsdauer Renten­ein­tritts­alter
198111,1 Jahre58,2 Jahre14,1 Jahre59,5 Jahre
198311,5 Jahre58,6 Jahre14,5 Jahre59,6 Jahre
198511,9 Jahre58,7 Jahre14,9 Jahre60,4 Jahre
198713,2 Jahre59,0 Jahre16,2 Jahre61,7 Jahre
198913,6 Jahre59,3 Jahre16,9 Jahre61,7 Jahre
199113,9 Jahre59,6 Jahre17,5 Jahre61,4 Jahre
199314,0 Jahre59,9 Jahre17,6 Jahre61,5 Jahre
199514,0 Jahre59,6 Jahre17,7 Jahre61,1 Jahre
199714,1 Jahre59,6 Jahre18,1 Jahre60,7 Jahre
199914,1 Jahre59,9 Jahre18,2 Jahre61,0 Jahre
200114,3 Jahre60,1 Jahre18,3 Jahre60,9 Jahre
200314,8 Jahre60,8 Jahre18,8 Jahre61,4 Jahre
 Quelle: →bpb04  nach Verband deutscher Rentenversicherungsträger, 2004
Tatsächliches Rentenzugangsalter
Jahr Alter
 1960*59,2 Jahre
 1970*61,9 Jahre
 1980*59,0 Jahre
 1990*60,7 Jahre
200060,2 Jahre
200361,1 Jahre
200663,2 Jahre
 *) bis 1990 alte Bundesrepublik, danach Bundesrepublik Deutschland
 Quelle: H.-U. Deppe (→Dep08) nach FAZ 24.10.05 und 30.11.06

Dieser Trend hat sich fort­gesetzt: Heute liegt das tatsäch­liche Renten­zugangs­alter sogar bei 63,5 Jahren (→Kus09). Das heißt: Seit 2003 hat sich das tatsäch­liche Renten­zugangs­alter (und nur darauf kommt es an!) um etwa 2,5 Jahre erhöht — es ist also der Effekt für die GRV bereits über­troffen worden, der mit der Anhe­bung des gesetz­­lichen Renten­­eintritts­­alters um zwei Jahre bis 2029 erreicht werden sollte!

Kann dieser Stand dauer­haft sein? Vier Gründe für den Anstieg kommen in Frage: die Eindäm­mung der Früh­verren­tung, die Erschwe­rung des vorzei­tigen Ruhe­stands durch entspre­chende Abschläge, gestie­gene Fitness der Versi­cherten und die Anhe­bung der Regel­alters­grenze für Frauen von 60 auf 65 Jahre über den Zeitraum 1997 bis 2009. Die letzte These wird durch die Entwick­lung des durch­schnitt­lichen Renten­eintritts­alters bei den Frauen (obere Tabelle) nicht bestä­tigt, ja, sie scheint dem eher zu wider­sprechen. Das lässt uns hoffen, dass es sich beim Anstieg des durch­schnitt­lichen Renten­eintritts­alters nicht um einen nur zeit­weiligen Sonder­effekt handelt. Den anderen Gründen brauchen wir nicht nach­zugehen.

Dieje­nigen, die aus verschie­denen Gründen nicht bis zum Alter von 67 Jahren warten können, werden durch die neue Rege­lung stark benach­teiligt. Prof. Schmähl: Wenn das Renten­­alter jetzt auf 67 ange­­hoben wird und ein Versi­­cherter mit 65 ausscheiden will, hat er noch Abschläge von 7,2% hinzu­­nehmen (→Sch06a). In einer Zeit großer Arbeits­losig­keit beson­ders der Älteren kommt eine solche Reform denkbar unpas­send. VdK-Präsi­­dentin Ulrike Mascher (früher Staats­­sekre­­tärin unter Walter Riester): nach langen Jahren ALG-II-Bezug für Arbeits­­lose bedeutet die Rente mit 67 prak­­­tisch eine Renten­­­kürzung (→Mas09). Während also die Anhe­­bung des tatsäch­­lichen Renten­­eintritts­­alters renten­­­finanz­­­poli­­tisch Sinn macht, verschärft die Anhe­­bung der gesetz­­lichen Alters­­­grenzen die Beschäf­­­tigungs­­­probleme (→Bae02). Diese Debatte zeigt übri­gens auch, dass eine möglichst frühe Berufs­­­­aufgabe selbst dann nicht erstre­­­­bens­­­­wert ist, wenn damit Ent­las­­­tungs­­­­effekte auf dem Arbeits­­­­markt verbunden sind (→Bae04).

Das wirft auch die Frage nach der Gene­­rati­­onen­­gerech­­tigkeit auf. Darüber ist viel geschrieben worden. Grund­­lage der GRV ist das Verständnis, dass der Sozial­­­staat die sich am Markt erge­­bende Vertei­­lung so zu korri­­­gieren habe, dass auch Nicht-Markt­­­teil­­­nehmer am allge­­­meinen Ein­kom­­mens­­­niveau ange­­­koppelt seien. Davon berührt ist das Finan­­­zierungs­­­poten­­­zial: nur rund 50% der Personen im erwerb­­s­tätigen Alter zahlt tatsäch­­­lich Beiträge zur GRV: die anderen sind arbeits­los, in Ausbil­­­dung, früh­­­verrentet, Haus­­­frauen oder nicht-sozial­­­versi­che­­­rungs­­­pflich­tig erwerbs­­­tätig (Selbst­­­stän­­­dige, Beamte, gering­­­fügig Beschäf­­­tigte) (→Bae02). Bei der kaum bewert­­­baren Unter­­­schied­­­lich­­­keit der von den Gene­­­rati­­­onen durch­­­lebten Geschichte kann Gene­­­ra­ti­­­onen­­­­gerech­­­­tigkeit nur als Auftrag verstanden werden, allen Alters­­­­gruppen in der Gesell­­­­schaft heute Anspruch auf gleich­­­­berech­­­­tigte Teil­­­­habe am gesamt­­­­wirt­­­­schaft­­­­lichen Wohl­­­­stand einzu­­­­räumen (→Bae04). Der über­kommene Gene­­­­­rati­­­­onen­­­­vertrag hat ein Problem: Es fehlen nicht nur Kinder zum Gene­­­­­rati­­­­onen­­­­­erhalt, und Erwerbs­­­­­tätige müssen nicht nur „Kinder” und „Groß­­­­­­­eltern”, sondern zuneh­­­­mend auch „Urgroß­­­­­­­eltern” alimen­­­­­­tieren: aus dem 3-Gene­­­­­­rati­­­­­onen-Vertrag wird ein 4-Gene­­­­­­rati­­­­­onen-Vertrag (→DRV06).

Die Zurech­nung einzelner renten­­­­­­­poli­­­­­­­tischer Probleme an die eine oder andere Gene­­­­­­­ration kann berech­­­­­­­tigt oder proble­­­­­­­matisch sein. Den „Pillen­­­­­­­knick” nach 1965 z.B. — Haupt­­­­­­­ursache unserer unaus­­­­­­­gewo­­­­­­­genen Alters­­­­­­­struktur — könnte man der dama­­­­­­­ligen „Eltern­­­­­­­gene­­­­­­­ration” anlasten, natür­­­­­­­lich vor allem jenen, die keine Eltern wurden — doch: schon immer haftet jeder für seine gesamte Gene­­­­­­­ration (wie z.B. auch bei der Wehr- / Zivil­dienst­dauer). Umge­kehrt könnte man der jüngeren Gene­­­­­­­ration mit ihren Riester-Möglich­­­­­­­keiten stärker anlasten, dass die Rentner­­­­­­­gene­­­­­­­ration so sehr durch den Riester-Faktor und damit einen zu großen Anteil an den Extrakosten des Umstiegs belastet wird, dass die Jüngeren mit einer „besseren” Rendite davon kommen (→FeJ01, →Ohs04, →LRW06, →Wie01a, →Vie04) (obwohl insge­samt alle beim Umstieg verlieren). Aber: es wird immer die Vorteil­­­­­­­­haftig­­­­­­­­keit der Privat­­­­­­­­vorsorge für die jüngeren Jahr­­gänge betont — dabei werden deren Netto­­­­­­­­alters­­­­­­­­einkünfte meist unter denen ohne die Reform liegen (insbe­­­­­­­­sondere, weil Privat­­­­­­­­renten in der Regel nicht dyna­­­­­­­­misch sind →Sch05).

Die in einer Befra­­­­­­gung durch das Max-Planck-Institut für demo­­­­­­­grafi­­­­­­­sche Forschung in Rostock fest­gestellten Ansichten müssen uns aber verstö­­­­­­ren: Vertei­­­­­­­lungs­­­­­­­konflikte zwischen den Gene­­­­­­rati­­­­­­onen schlagen sich in sozial­­­­­­­poli­­­­­­ti­schen Meinungen nieder — je älter ein Bundes­­­­­­­bürger ist, desto weniger fami­­­­­­­lien­­­­­­­freund­­­­­­­lich ist seine Wunsch­­­­­­­politik. Ältere sind vermehrt gegen mehr Unter­­­­­­­stüt­­­­­­­zung für Fami­­­­­­­lien, aber für ein Renten­­­­­­­system zu Lasten der Jungen. Eigene Eltern­­­­­­­­schaft, Groß­­­­­­­eltern­­­­­­­­schaft oder Ehe können diese Alters­­­­­­­­effekte über­­­­­­­­lagern. Der Einfluss von Bildung und Bundes­­­­­­­­­land: Abitur bzw. Westen mindert die Zustim­­­­­­­­­mung zu höherem Kinder­­­­­­­­­geld (→WiL09).

Prof. Sessel­meier (→Ses06, Das Parla­ment, 2006) beleuchtet einen anderen Aspekt, weshalb die Reformen nicht zu einem späteren Zeit­punkt kommen dürften. Im Jahre 2020 wird sich das Durch­schnitts­alter der Bevöl­kerung auf etwa 44 Jahre erhöht haben, aber der durch­schnitt­liche Wähler wird bereits über 54 Jahre alt sein — Renten­reformen werden dann zunehmend schwie­riger durchsetzbar. Und gene­rell haben Reformen sozi­aler Siche­rungs­systeme einen hohen Erklä­rungs­bedarf, wenn sie akzep­tiert werden sollen. Sinn und Uebel­messer (→SUe02) sagen es noch drasti­scher (über­setzt): Bis 2016 kann eine Renten­reform noch demo­kra­tisch durch­gesetzt werden. Danach haben wir in Deutsch­land eine „Geronto­kratie” (Herr­schaft der Alten). — Verhin­dern kann das neben einem soli­dari­schen Verant­wortungs­gefühl der Älteren nur eine höhere Wahl­betei­ligung und Politik-Engage­ment der Jüngeren.

Verweise auf die Definitionen (werden nicht ausgedruckt)

A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
Ä-Rentnerquotient
Aktueller Rentenwert
Altenquotient
Altersarmut, Rückkehr der
Altersentlastungsbetrag für Alters­einkünfte
Altersgrenzenanpassungsgesetz
Altersrente für besonders langjährig Versicherte
Altersteilzeit
Altersvorsorgeanteil-%
Anrechnungszeiten
Äquivalenzbeitragszahler
Äquivalenzrentner
Arbeitslosenbeiträge
Arbeitsproduktivität
Ausbil­dung, Abschluss der
Ausland, Kapitalanlage im
Austrocknung der GRV
Ausweitung des Versichertenkreises
Basis­rente („Rürup-Rente”)
Beitrag zur GRV
Beitragskomponente der Renten­anpas­sungs­formel
Beitragssumme
berufliche Belastungen
Berufs­ein­stieg der Anfänger
berufsgruppenspezifische Regelaltersgrenzen
Beschäftigtenquote (Erwerbstätigenquote)
Besteuerungsanteil für Renten
Betriebsrenten
Blockmodell der Altersteilzeit
Breyer-Hupfeld-Formel für das Altersarmutsproblem
Bruttolohn, beitragspflichtiger, in der Renten­anpas­sungs­formel
Bruttolohn, modifizierter, in der Renten­anpas­sungs­formel
Bruttolohnanpassung, modifizierte
Bundeszuschuss, allgemeiner, für versicherungsfremde Leistungen
Bundeszuschuss, zusätzlicher, für das Einfrieren der Beiträge
Bürgerversicherung
„Cappucino”-Rente
Deut­sche Renten­­versi­che­rung, Gründung, Organisation
Eckrente, Eckrentner
Einkommensverlust, relativer, bei privater Rente
Entgeltpunkte
Entgeltumwandlung, beitragsfreie
Erwerbsminderung
Erwerbsminderungsrente
Erwerbsquote
Erwerbstätigenquote (Beschäftigtenquote)
Fehlen einer versi­che­rungs­­mathe­­matisch fairen Anpas­­sung der Rente an das Renten­­eintritts­­alter
Fertilität
Frühverrentung nach Berufsgruppen und besonderen Belastungen
Geburtenrate
Gene­­rati­­onen­­gerech­­tigkeit
„Gerontokratie”
Gesamtarmutsquote 2020
Gesamtquotient
gesamtwirtschaftliche Wirkungen des KDV (Riester-Rente)
GRV, Finanzierung
GRV-Beitragssatz-%
Grundrente
Grundsicherung, Einführung
Grundsicherung, Definition
Grundsicherungsniveau
Hausfrauen, freiwillige Versicherung
Hinterbliebenenrente für Männer
Ich-AGs
Jugendquotient
Kapital­deckungs­verfah­ren
Kaufkraftverlust bei privater Rente
Kindererziehungszeiten
kinderreiche Familien
kontinuierliche Lösung des Altersarmutsproblems
langjährig Versicherte
Lebenserwartung nach Berufsgruppen
Lebenserwartung nach Bildung
Lebenserwartung nach Einkommen
Lebenserwartung, statistische Grundlagen
Lobbyismus zur Einführung der Riester-Reform
Lohn-/Gehaltskomponente der Renten­anpas­sungs­formel
Lohnquote
Mackenroth-These
Mackenroth-Theorem
Mindestrente
Mindest­­versi­­che­­rungs­­zeit
Minijobs
nachgelagerte Rentenbesteuerung
Nachhaltigkeitskomponente der Renten­anpas­sungs­formel
Nachholfaktor im Renten­­versiche­­rungs-Nach­­haltig­­keits­­gesetz
Opfergeneration(en) beim Umstieg auf das KDV
Ostrentner
Pareto-Optimalität und die Unmöglichkeit des Pareto-verbessernden Umstiegs
Produktivität
Renten­anpas­sungs­formel
Renten­anpas­sungs­formel: Nettorenten-Niveauabsenkung durch die
Rentenartfaktor
Rentenbeiträge für Arbeitslose
Rentenbesteuerung, nachgelagerte
Rentenbezugsdauer
Renten­ein­tritts­alter der Frauen, Anhebung
Renten­ein­tritts­alter, Anhebung des gesetz­lichen
Renten­ein­tritts­alter, faktisches durchschnitt­liches
Renten­ein­trittsgründe nach Berufsgruppen
Rentenformel
„Rentenkasse”
Renten­niveau, Stan­dard-
Rentenzugangsalter, tatsächliches
Riester-Förderung
Riester-Produkte
Riester-Rente
Risi­­ko des Mehrsäulensystems, erhöhtes
Risi­­koabsicherung nach gegenwärtigen Gesetzen
Risi­­koma­­nage­­ment für große lang­­jährige Anlagen
Risi­­kovergleich zwischen UV und KDV
Rürup-Rente (Basis­rente)
Rüttgers Garantierente
Scheinselbstständigkeit
Schutz­­klausel im Renten­­versiche­­rungs-Nach­­haltig­­keits­­gesetz
Selbstständige, freiwillige Versicherung
Schwerbehinderte
Solo-Selbstständige
Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgebeiträge
Sozial­gesetz­buch VI
Sozialversicherungsmemorandum der Republikaner von P.H. Wehner
Sparen, volkswirtschaftliche Unmöglichkeit
Überobligatorium
Umlageverfahren
Unisex-Tarife für Riester-Versi­che­rungen
Versi­che­rungs­fremde Leis­tungen
Versorgungsfreibetrag für Renten
Vertei­­­­­­­lungs­­­­­­­konflikte zwischen den Gene­­­­­­rati­­­­­­onen
Vertriebs- und Abschluss­­kosten für Riester-Produkte
Vorhersage von Lohnquote und Produktivität
Vorruhestand, zu großzügige Regeln
Vorsorgebedarf, erhöhter, durch Teilumstieg auf das KDV
Wartezeiten
Weißes Haus: Sozialversicherungsmemorandum
Weltbank: Säulen-Modell
Weltbank: Klärung von Mythen
Wertschöpfungsabgabe
Zugangsfaktor
Zwangs­system, Begründung
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z