I. Der Euro treibt einem Zusammenbruch mit unkalkulierbaren Kosten entgegen
II. Eine neue Strategie, die große gemeinsame Vorteile wahrnimmt
III. Eine Lösung auf lange Sicht, die Vergemeinschaftung begrenzt, ist erreichbar und ausreichend
IV. Dringende kurzfristige Maßnahmen
V. Nicht übereinstimmende Ansichten
I. Der Euro treibt einem Zusammenbruch mit unkalkulierbaren Kosten entgegen
Wir glauben, nach dem Stand Juli 2012, dass Europa schlafwandelnd auf ein Debakel unkalkulierbaren Ausmaßes zusteuert. Über die letzten Wochen hin hat sich die Situation in den Schuldenstaaten dramatisch verschlechtert. Dem Gefühl einer nicht-mehr-enden-wollenden Krise, in der ein Dominostein nach dem anderen fällt, muss entgegen getreten werden. Der letzte Dominostein, Spanien, ist nur Tage von einer Liquiditätskrise entfernt, wie sein eigener Finanzminister verlautbart. Diese dramatische Situation ist das Ergebnis eines Eurozonen-Systems, welches so, wie es gegenwärtig konstruiert ist, gründlich zusammengebrochen ist. Ursache ist ein systemischer Fehler, der einen Boom in den Kapitalbewegungen und Krediten verstärkt und in den Auswirkungen kompliziert hat, nachdem der Boom in einen Zusammenbruch überging. Es liegt in der Verantwortung aller europäischen Staaten, die teilhatten an dieser fehlerhaften Gestaltung, Konstruktion und Umsetzung, zur Lösung beizutragen. Das heißt nicht, dass die Kosten der Krise zwischen den Bürgern der Eurozone vergemeinschaftet werden sollten: systemische Fehler entlasten nicht Einzelpersonen, Banken und Aufsichtsbehörden von der Verantwortung, wenn sie unkluge Kreditvergabe- und Verleih-Entscheidungen trafen oder übersahen. Aber es bedeutet doch, dass das Ausmaß, mit dem die Märkte gegenwärtig bestimmte Länder bestrafen, die nationalen Verantwortlichkeiten nur schlecht widerspiegelt, und dass eine erfolgreiche Antwort auf die Krise gemeinsam getroffen werden muss und eine gewisse Lastenverteilung zwischen den Ländern vorzunehmen ist. Ohne solche gemeinsame konstruktive Antwort wird der Euro auseinander fallen.
Die europäischen Führungspersonen erkennen die Notwendigkeit einer gemeinsamen Antwort an. Dennoch treibt die Eurozone nun schon seit mehreren Monaten einem Zusammenbruch entgegen, trotz der unkalkulierbaren wirtschaftlichen Verluste und menschlichen Leiden, die er mit sich bringen würde. Grund ist das Versagen der Überschuss- und Defizit-Länder, sich auf einen Aktionsplan zu einigen, der sowohl die Finanzmärkte beruhigt als auch die Nöte und Befindlichkeiten der Öffentlichkeit in beiden Ländergruppen berücksichtigt. Die Vertiefung der Rezession und die hohe Arbeitslosigkeit zerren an den sozialen Netzen der Defizitländer und verursachen enorme und vermeidbare menschliche Leiden. Diese Leiden zu lindern sollte oberste Priorität bei den Eurozonen-Politikern haben. Außerdem untergräbt das Gefühl, dass kein Ende in Sicht ist, die öffentliche Unterstützung für fiskalische Anpassungen und Strukturreformen und heizt die Kapitalflucht an. Gleichzeitig haben wachsende krisenbezogene Haftungen und die Sichtweise, dass die Reformen in den Defizitländern nur unter Druck gelingen werden, die öffentliche Unterstützung in den Überschussländern für eine aufgestockte Krisenantwort unterminiert. Steigende Anpassungsmüdigkeit im Süden traf auf zunehmende Unterstützungsmüdigkeit im Norden.
Die Bewältigung der gegenwärtigen Krise ist kein Nullsummen-Spiel. Sie ist vielmehr eine win-win-Wahl sowohl für die Gläubiger- als auch die Schuldner-Staaten.1 Die wirtschaftlichen und politischen Verluste bei einer Euro-Auflösung werden wahrscheinlich eine Größenordnung über den möglichen Transfers liegen, die bei einer Lösung des Altlastenproblems erforderlich wären. Fehlendes Vertrauen zwischen Gläubigern und Schuldnern hält sie jedoch vom Treffen einer Lösung ab, die für beide Seiten von Nutzen wäre. Wenn die Defizitländer z.B. glaubwürdig Fiskalregeln zustimmen könnten, die das Verhältnis von Staatsschulden zum BIP auf lange Sicht auf ein vernünftiges Niveau absenken würden, würden die Überschussländer wenig gegen Schuldenausgaben auf kurze Sicht haben, um antizyklische Fiskalpolitik in den Defizitländern zu unterstützen, weil die zusätzlichen Schulden vorübergehend wären und zurückgezahlt werden könnten. Das Problem ist, dass es für die Defizitländer schwierig ist, eine glaubwürdige langfristige Bestätigung fiskalischer Klugheit abzugeben, da das zukünftige Wähler verpflichten würde. Nötig sind kreative Wege, um dieses Problem dadurch zu lösen, dass Unterstützung in genügendem Umfang verfügbar gemacht wird, aber auch unter Sicherheitsmaßnahmen und Bedingungen, die sowohl von den Wählern in den Schuldnerländern als fair angesehen werden als auch von den Wählern in den Gläubigerländern und den Finanzmärkten als glaubwürdig.
Obwohl sie Schritte in die richtige Richtung enthielten, erreichten die von den Eurozonen-Politikern am 29. Juni und noch einmal am 9. Juli angekündigten Maßnahmen nicht diese Schwelle. Eine Übereinkunft über einen Zeitplan zur Einrichtung einer gemeinsamen Banken-Aufsichtsbehörde für das Euro-Gebiet und die darauf folgende Erlaubnis zur direkten Banken-Rekapitalisierung durch den ESM würde bei der Beschäftigung mit kritischen Unvollkommenheiten der Eurozone und dem bisherigen Krisenmanagement helfen. Jedoch hat das Gipfeltreffen keinen überzeugenden Plan vorgelegt, wie die wirtschaftliche Spirale nach unten in den Defizitländern aufzuhalten wäre. Das Stabilisieren der Anleihe-Erträge, basierend nur auf existierenden ESM -Mitteln und Investitionsprojekte, die nur durch vorhandene EU-Strukturfonds und die Europäische Investitionsbank (EIB) finanziert werden, fügen sich nicht zu einem überzeugenden Paket zusammen. Außerdem lieferte der Gipfel keine gemeinsame Vision auf lange Sicht, jenseits der Vereinbarung über die gemeinschaftliche europäische Bankenaufsicht. Aber eine solche Vision wird für die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Währungsunion in den Augen sowohl der Investoren als auch der breiten Öffentlichkeit gebraucht, und daher für die Wiederherstellung des Vertrauens in Staatsanleihe-Märkten und zum Stoppen der Kapitalflucht aus den Defizitländern.
II. Eine neue Strategie, die große gemeinsame Vorteile wahrnimmt
Ein umfassender Aktionsplan muss vier Vorgaben erfüllen.
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Er muss den Glauben an das Eurogebiet und die Europäische Union durch ein glaubhaftes Versprechen einer besseren Zukunft wiederherstellen, welches die Aussicht auf größeres Gemeinwohl und mehr Stabilität enthält;
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Er muss die Zinskosten stabilisieren und den Rückgang von Wirtschaftsleistung und Beschäftigung in den Defizitländern umkehren;
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Er muss zu einer Verringerung der Schuldenhöhen in mittlerer Zeit dienlich sein — einschließlich der Staatsschulden in Italien und der Privatschulden in Spanien, aber auch anderswo — und die kontinuierliche Verringerung der Ungleichgewichte in den Zahlungsbilanzen innerhalb der Eurozone unterstützen;
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Er muss die fundamentalen Strukturfehler in der Währungsunion zum Gegenstand machen, um sowohl die gemeinsame Währung als Langzeit-Absicht wieder glaubhaft zu machen, als es auch weit weniger wahrscheinlich zu machen, dass eine Krise, wie wir sie jetzt erleben müssen, in der Eurozone jemals wiederkehrt.
Die Herausforderung, einen solchen Plan hervor bringen zu können, ist zum Teil verbunden mit den aktuellen oder gefühlten Konflikten zwischen diesen Zielen. Eine Stabilisierung der Wirtschaftsleistung und der Beschäftigung in den rezessionsbetroffenen Defizitländern ist unmöglich ohne eine Verzögerung einiger angelaufener fiskalischer Anpassungen und ohne die Umleitung stärkerer Unterstützung zu den Defizitländern. Aus der Perspektive der Überschussländer weckt das zwei Bedenken: wie soll Unterstützung gewährt werden, ohne die finanziellen Grundlagen in den Überschussländern selbst überzustrapazieren, und wie sollen die Anreize zur Anpassung erhalten bleiben, sobald die Stabilisierung gelungen ist. Eine ähnliche Sorge ist, ob die Währungsunion in Zukunft ohne permanente Transferzahlungen funktionieren kann. Außer im Zusammenhang mit einem europäischen Superstaat, in dem Finanzierung und Ausgabenkontrolle eng miteinander verknüpft sind, hält die Mehrheit der Bevölkerung in den Überschussländern eine dauerhafte „Transferunion” für einen zu hohen Preis für die Bewahrung einer Einheitswährung, selbst wenn die Alternative eine katastrophale Krise ist. Der Widerstand gegen eine verstärkte Unterstützung als Mittel, um aus der Krise heraus zu kommen, geht zum Teil darauf zurück, dass sie als erster Schritt in Richtung „Transferunion” angesehen wird.
Deshalb glaubt der Rat, dass es eine kritische Anforderung für das Vorgehen gegen die Krise ist, die Auflösung der „Altlasten” — Stopp der laufenden Rezession, Senkung der Schuldenhöhen und Senkung der Leistungsbilanz-Überschüsse und -Defizite innerhalb der Währungsunion — auf lange Sicht zu trennen von dem Problem, die strukturellen Fehler des Eurozone zu reparieren. Ersteres erfordert signifikante Lastenverteilung. Aber daraus folgt nicht, dass Letzteres dauerhafte Transfers oder gemeinsam und getrennt ausgegebene Schulden erfordert.
Soweit es die Altlasten betrifft, müssen die Politiker in den Überschussländern Anstrengungen unternehmen, ihre Wähler davon zu überzeugen, dass eine spürbare Lastenverteilung nicht nur notwendig ist, um die Krise zu stoppen, sondern auch gerecht, und dass es in Einklang gebracht werden kann mit einer — und in der Tat notwendig ist für eine — gute Motivation.
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Es ist notwendig, weil die Defizitländer sonst in einer Spirale festsitzen, in der fiskalische Anpassung die Wirtschaftsleistung auf kurze Sicht nieder drückt, was es dem privaten Sektor schwerer macht, seine Schulden zurückzuzahlen, was einen Druck auf die Wertpapier-Preise und die Wertpapier-Qualität der Banken ausübt, was den Kredit begrenzt und weiter Wirtschaftsleistung und Erlöse herunter drückt, was die fiskalische Anpassung untergräbt. Dies führt zum Auseinanderfallen der Eurozone, was großenteils vermeidbare aber sehr hohe wirtschaftliche und andere Kosten sowohl bei den Überschuss- als auch den Defizit-Ländern verursacht.
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Es ist gerecht, weil die Probleme, mit denen die Defizitländer kämpfen, nicht von diesen Ländern isoliert verursacht wurden, sondern das Ergebnis einer fehlerhaft entworfenen Eurozone waren, welche sowohl sorgloses Borgen (in den Defizitländern) als auch rücksichtsloses Verleihen (in den Überschussländern) ermutigte. Deshalb tragen alle Länder, die diesen Entwurf unterschrieben und an dem Boom des Verleihens und Borgens teilnahmen, Verantwortung für die Krise.
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Es ist im Einklang mit guten Anreizen, solange (1) die Last für das Bezahlen der Verluste des finanziellen Systems in erster Instanz nicht nur bei den Aktionären liegt, sondern auch bei den „Kreditgebern” der am übermäßigen Verleihen beteiligten Banken (sowohl in Überschuss- als auch in Defizit-Ländern) und erst in zweiter Instanz bei den Steuerzahlern, die hinter den Banken und Bank-Kreditgebern stehen; (2) auf mittlere Sicht Länder mit hohen Schulden Anpassungspfaden zustimmen und Unterstützung unter der Bedingung kontinuierlicher Anpassung erhalten.
Soweit es die langfristige Vorausschau anbetrifft, glauben wir nicht, dass Eurozonen-Bonds oder eine vollständige Fiskalunion nötig sind, um eine funktionierende Wirtschafts- und Geldunion abzusichern. Stattdessen muss das Ausmaß der Fiskalunion durch die Anforderungen einer Finanzunion (besonders der den integrierten EWU-Banksektor beherrschenden Institutionen) bestimmt werden, welche die nötige Ergänzung der EWU als Mittel zur Förderung des wirtschaftlichen Wohlstands bilden. Während viele Mitglieder des Rats glauben, dass weitere fiskalische und politische Integration in Europa wünschbar ist, glauben wir nicht, dass sie nötig sind, um ein Wirtschaftssystem mit einer gemeinsamen Währung lebensfähig zu machen. Unser Vorschlag zielt daher darauf ab, eine Minimalanzahl von Institutionen aufzubauen, wie sie notwendig ist, um aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen und eine solide Zukunftsgrundlage für den Euro zu errichten.
Im Einklang mit der Ansicht, dass jeder Plan zum Überwinden der Krise mit der Wiederherstellung des Vertrauens in ein wirtschaftlich blühendes System beginnen muss, das eine gemeinsame Währung verkörpert, beginnt der Rest dieses Berichts mit einer langfristigen Vorausschau. Diese repräsentiert die Ansicht des Rats zum minimalen institutionellen Rahmen, der die Funktionen einer Währungsunion so sichert, wie ursprünglich vorgesehen: d.h. als ein finanziell stabiles Gebiet, das einen gemeinsamen Markt und lang-anhaltendes Wachstum fördert und ohne dauerhafte Transfers von den Überschuss- zu den Defizit-Ländern funktioniert. Bei der kurzfristigen Vorausschau geht es um das Schaffen von Bedingungen zur Wiederherstellung des Wachstums von Wirtschaftsleistung und Beschäftigung, während die Anreize für Anpassung und Reform erhalten bleiben, um die fiskalische Zahlungsfähigkeit zu bestärken, die exzessiven Schulden abzubauen und die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen zu verringern.
III. Eine Lösung auf lange Sicht, die Vergemeinschaftung begrenzt, ist erreichbar und ausreichend
Obwohl es keine Übereinstimmung darüber gibt, welche spezifischen Mängel die Hauptursache der gegenwärtigen Krise sind, gibt es eine breite Übereinstimmung innerhalb des Rats (und außerhalb) über drei Kategorien von Problemen, die der Währungsunion innewohnen, so wie sie gegenwärtig eingerichtet ist.
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Ein Anheben der Geldpolitik auf ein supranationales Niveau bei gleichzeitigem Belassen von Fiskalpolitik und Bankenaufsicht auf nationalem Niveau kann große Störungen schaffen, die sowohl übermäßiges Borgen als auch übermäßiges Verleihen befördern kann, privat wie öffentlich. Aus einer Mitgliedschaft in einer Währungsunion folgt automatischer Zugriff auf die offizielle Finanzierung der Zahlungsbilanz. Dies lindert die Auswirkung einer plötzlichen Umkehr der Kapitalströme, wodurch auch immer ausgelöst, und damit die Kosten von Krisen auf Länderebene. Gleichzeitig führt eine Währungsunion zu engeren wirtschaftlichen und finanziellen Bindungen, die bewirken, dass Krisen auf Länderebene einen größeren Nachhall über Ländergrenzen hinweg haben. Dies spricht für eine stärkere zentralisierte Kontrolle sowohl über Fiskalpolitik und Bankenaufsicht; und möglicherweise auch die Koordinierung struktureller Maßnahmen, um zu vermeiden, dass Zahlungsbilanz-Ungleichgewichte chronisch werden.
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Das Aufgeben der Kontrolle der Geldversorgung auf Länderebene setzt die Mitglieder einer Währungsunion — besonders wenn das Zentralbank-Mandat monetäre Finanzierung öffentlicher Schuldenbildung verbietet — überschwappenden Krisen bezüglich ihrer Staatsschulden aus. Ohne Rückgriff auf die Notenpresse im Notfall könnten diese sich-selbst-verstärkende Fiskalkrisen auslösen. Eine Ansteckung durch Griechenland an andere Eurozonen-Mitglieder wie Spanien und Italien wird oft in diesem Licht dargestellt.
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Das Aufgeben der Wechselkurs-Anpassung setzt die Mitglieder einer Währungsunion schmerzhaften und langen Anpassungsprozessen aus im Fall einer realen Überbewertung (ausgelöst beispielsweise durch übermäßiges Verleihen im Immobiliensektor).
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Es sind drei Lehren daraus zu ziehen. Erstens könnten mehr fiskalpolitische Anpassungen auf der Ebene des Eurogebiets nötig werden, um den Auswirkungen einer Geldpolitik entgegen zu treten, die für den Durchschnittsstaat entworfen wurde, aber für einige Staaten zu eng ist und zu locker für andere. Zweitens, dass ein gesundes Maß an Regulierung, besonders von der makro-relevanten Art, sogar innerhalb des Eurogebiets noch wichtiger ist als außerhalb. Und drittens, dass die Ausübung von Geldpolitik innerhalb des Eurogebiets Nutzen ziehen könnte aus der Benutzung zusätztlicher Instrumente wie differenzierten Kredit-Reserve-Quotienten und antizyklischen Grundsteuern, die dem Politikentwurf helfen könnte, so dass er besser zugeschnitten ist auf die vorherrschenden wirtschaftlichen Umstände in den verschiedenen Mitgliedsstaaten.
Die Gründer der europäischen Währungsunion erkannten das Risiko fiskalischen Trittbrettfahrens, das sie durch das Auferlegen einer Reihe von Defizit- und Schulden-Regeln fern zu halten versuchten. Jedoch wurden die übrigen Risiken nicht vollständig gewürdigt, und es wurden keine Instrumente bereitgehalten, um sie einzudämmen. Das Ergebnis war exzessives privaten Borgen und Verleihen in Irland, Spanien und anderen Ländern, deren Währungsrisiko durch die Mitgliedschaft in der EWU scharf verringert worden war, angeheizt durch Kapitalströme aus den Überschussländern. Zur gleichen Zeit verfehlten die Fiskalregeln eine Begrenzung des öffentlichen Borgens in mehreren Ländern (einschließlich Frankreichs und Deutschlands) und erlaubten mindestens einem Land, Griechenland, untragbare Staatsschulden anzuhäufen. Diese Borge-Orgien wurden mit der Krise und Rezession von 2008–2009 abgebrochen, indem private Insolvenzen gezündet wurden und Druck auf die öffentlichen Finanzen ausgeübt wurde als Resultat sowohl von Einnahmezusammenbrüchen, automatischen Stabilisatoren als auch die Vergemeinschaftung von Bankverlusten. Fiskalische Anpassungen wurden auch noch kompliziert durch einen starken Anstieg in den Borgekosten, die wohl ein sich selbst-verstärkendes Element enthielten. Das klarste Beispiel dafür ist Italien, ein Land, das sowohl öffentliche als auch private Borge-Orgien vermied und dennoch verwundbar war wegen seines hohen Schulden-Niveaus. Schließlich erlitten die Defizitländer eine reale Aufwertung, die nur sehr kostspielig auszugleichen war, weil nur reale (und nicht nominale) Variablen durch individuelle Staaten korrigierbar waren durch das Fehlen flexibler Wechselkurse.
Im Lichte dieser Diagnose erfordert die finanzielle Abfederung in der Währungsunion Reformen auf fünf Gebieten. Diese können aufsetzen auf begonnenen, aber noch unvollendeten Reformen, die in der jüngsten Vergangenheit in Angriff genommen wurden.
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Banken-Union. Finanzielle Integration ist ein kritisches Element einer stabilen Union. Der Teufelskreis zwischen Banken und Regierenden zieht beide herunter, während jeder den anderen rettet, am deutlichsten in Spanien und Irland, und das könnte sich in jedem Land abspielen. Während das Vertrauen schwindet und Investoren davon laufen, finanzieren nur die Staaten die Banken und nur die Banken geben den Staaten Geld. Diese Verknüpfung aufzubrechen erfordert, dass die Stabilität der Banken eine Angelegenheit der gesamten Union wird. Eine gemeinsame Finanzaufsicht und Auflösungsagentur auf EU- oder Eurozonen-Ebene muss gegründet werden, entweder in der EZB oder sowohl in der EZB als auch in Form einer neuen Agentur mit Machtbefugnis gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden. Nationale Auflösungssysteme müssten vereint werden in einem System, das die Abschreibung aller Bankschulden oder Beteiligungen (außer Sichteinlagen bis zur versicherten Grenze) vornimmt, bevor Steuerzahler um Geld gebeten werden. Ein europäischer Einlagensicherungsmechanismus auf Basis von Industrieprämien sollte die existierenden Mechanismen auf nationaler Ebene entweder ersetzen oder rückversichern, nachdem diese überarbeitet worden sind (und falls nötig, aufgefüllt), um konsistente Anfangsabsicherungshöhen zu bieten. Ein zusätzlicher Fonds zur Auflösung systemisch wichtiger Institutionen sollte eingerichtet werden, finanziert durch eine „systemische Risikoabgabe”. Das übrige finanzielle Risiko würde zwischen der Länder-Ebene und der Eurozonen-Ebene aufgeteilt, in Würdigung der Tatsache, dass etwas an Politik- und Aufsichtsverantwortung bei der nationalen Ebene verbleiben würde. Die Auffanglösung auf EU-Ebene würde die Form einer „Versicherung katastrophaler Verluste” haben für den Fall, dass die fiskalischen Kosten einer Bankenkrise eine bestimmte Höhe überstiegen (z.B. 20% des BIP). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Auffanglösung zu strukturieren, beispielsweise über den ESM.
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Finanzreform. Viele, wenn nicht alle der in der Eurokrise aufgetretenen Probleme lassen sich direkt oder indirekt einer Fehlfunktion des finanziellen Sektors zuschreiben. Die Europäische Union hat angefangen, ein substantielles Programm finanzieller Reformen aufzulegen, welches versucht, das finanzielle System stabiler, transparenter und weniger renditegierig zu machen. Aber an dieser Front muss weit mehr getan werden. Es ist dringend nötig, diese Frage zu stellen und zu beantworten: „Welche Art von Finanzsystem dient der Realwirtschaft am besten?” Nur durch Umsetzung weitreichender Reformen, die notwendigerweise strukturelle Veränderungen am Finanzsystem einschließen werden, kann die EU hoffen, die Probleme der chronisch niedrigen Wachstumsraten und der finanziellen Instabilität anzugehen. Diese Reformen sind eine Voraussetzung für jegliche Form einer finanziellen Union, um für die Bürger politisch annehmbar zu sein.
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Fiskalische Kontrollen. Ein bedeutsamer Schritt zur Abschreckung fiskalischer Trittbrettfahrer ist das „Fiscal Compact” vom März 2012, das versucht, die EU-Fiskalregeln in der nationalen Gesetzgebung zu verankern und dabei ein gewisses Maß an antizyklischer Politik beizubehalten. Im Zusammenhang mit nationalen Demokratien kann man sich jedoch nicht zu 100% auf die Fiskalregeln verlassen, weil die nationale Gesetzgebung jederzeit geändert werden kann durch ein Handeln des Parlaments — dies ist das Wesen der Demokratie. Das Fiscal Compact hat sich so weit wie möglich vorgewagt bei der Übereinstimmung mit der Regel und der Glaubwürdigkeit der Regel innerhalb des demokratischen Kontexts jedes souveränen Staates. Dieses Spannungsverhältnis würde verringert, wenn nicht sogar ganz beseitigt, im Zusammenhang mit einer föderalen politischen Union. Einige Mitglieder des Rats sehen eine föderale politische Union als notwendige Weiterentwicklung des Eurogebiets an. Auf kurze Sicht müssen die mit Abweichungen von national verabschiedeten Fiskalgesetzen verbundenen externen Effekte über automatische Anpassungsebenen auf Eurozonen-Ebene eingedämmt werden. Zum Beispiel könnten einige Mehrwertsteuer-Sätze automatisch geändert werden, um mindestens einen teilweisen Korrekturmechanismus anzubieten, oder es könnten alternativ Grenzen für Staatsausgaben gesetzt werden. Der Rat ist überzeugt, dass das Fiscal Compact mehr Raum für antizyklische Fiskalpolitik geben sollte: vorausgesetzt, dass die automatischen Anpassungen auf Eurozonen-Ebene vorhanden sind, ist wenig dagegen einzuwenden, Ländern in tiefer Rezession die Möglichkeit zu lassen, einen größeren fiskalischen Stimulus zu geben als mit dem gegenwärtigen Fiscal Compact. Um die demokratische Verantwortung sicher zu stellen, sollte die mit der fiskalischen Überwachung befasste Institution dem Europäischen Parlament verantwortlich sein.
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Ein Kreditgeber der letzten Zuflucht in der Eurozone für Regierungen, die dem Fiscal Compact unterstehen. Idealerweise wäre dies die EZB. Der ESM wird ebenfalls in der Lage sein, diese Rolle zu übernehmen, trotz seines begrenzten Umfangs im stabilen Zustand, sobald die Staatsschuldenhöhen aus dem jetzigen Zustand verringert sind, und sobald die Kapitalflucht über die Grenzen abgemildert ist durch ein gemeinsames risikoloses Wertpapier (siehe unten). Wenn der ESM dafür genügend „Feuerkraft” haben soll, muss er eine Banklizenz erhalten, damit er auf das „Diskontfenster” der EZB zugreifen kann.
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Eine Schulden restrukturierende Ordnung für Länder, die für eine ESM-Finanzierung nicht in Frage kommen. Solange es innerhalb der Eurozone keine Regelung für eine geordnete Alternative zum chaotischen Zahlungsausfall gibt, wird der Ausschluss von Krisenländern, die das Fiscal Compact verletzen, durch spontane Rettungsaktionen des offiziellen Sektors umgangen werden. Es ist genau diese Furcht, welche die „Fass ohne Boden”-Theorie der Währungsunion bezüglich einigen Schuldenländern anheizt.
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Ein gemeinsames risikoloses Wertpapier, das nicht an ein bestimmtes Land gebunden ist oder von ihm ausgegeben wird. Dies würde sicherstellen, dass reine Paniken — plötzliches Nachlassen des Risiko-Appetits der Investoren — die Form von Fluchtbewegungen zwischen Wertpapierklassen hin zu mehr Sicherheit annehmen statt zwischen den Ländern. Darüber hinaus sind solche Wertpapiere unverzichtbar in modernen Finanzsystemen, sowohl als Pfand für Derivategeschäfte als auch für Zwecke vorsichtiger Bankregulierungen. Ein wesentlicher Teil jeder Bankbilanz muss in sicheren Papieren gehalten werden, wie durch den Finanzregulator festgelegt, und wenn es sie als Wertpapier des Eurogebiets gibt, würde es helfen, die Verbindung zwischen dem Staat und seinem Bankensystem zu lösen. Außerdem fordert die Leitlinie für Geldpolitik, dass die Zentralbank sichere Anleihen gegen Geld umtauschen muss. Schließlich eröffnet die Bereitstellung solch eines sicheren Wertpapiers den Mitgliedern der Eurozone die Möglichkeit, die Liquiditätsprämie einzustreichen, die mit der Bereitstellung dieses sicheren Wertpapiers fällig ist, und würde eine bedeutsame Quelle neuen Einkommens darstellen. Solche Wertpapiere könnten ohne unbeschränkte und gesamtschuldnerische Haftung zwischen den Ländern ins Leben gerufen werden.2
Während diese Reformen die Institutionen der Eurozone entscheidend über den status quo (speziell die Banken-Union und die Schulden-restrukturierende Ordnung) hinweg bringen würden, ist es wichtig festzustellen, was nicht in dem Vorschlag enthalten ist: ein dauerhafter Mechanismus für die Staatsfinanzierung in der Eurozone und ein Mechanismus für antizyklische Finanztransfers.3 In der Tat gibt es keine gemeinsame Haftung in irgendeinem unserer Langzeit-Vorschläge jenseits derjenigen, die nötig ist, um die Banken-Union und den ESM zu errichten und abzusichern, und beide sind Gegenstand strenger Sicherheitsvorkehrungen. Während einige Ratsmitglieder über dieses minimale Niveau der „Fiskal-Union” hinaus gehen wollten (beispielsweise durch eine unbeschränkte und gesamtschuldnerische Garantie für einen Teil der Schulden der Mitgliedsländer oder über eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung), hielten andere Ratsmitglieder dies für praktisch und/oder politisch extrem schwierig, besonders zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
IV. Dringende kurzfristige Maßnahmen
Die oben beschriebenen institutionellen Reformen wären ausreichend, um die Eurozone auf feste Füße zu stellen, wenn sie von einem erfolgreichen Anpassungsprozess begleitet würden, der die in den Vorkrisen- und Krisen-Zeiten in einer Reihe von Ländern angesammelten hohen Schuldenstände und Verluste an Wettbewerbsfähigkeit kompensiert. Das Dilemma ist, wie all dies mitten in der Rezession geschehen soll, die einige Gesellschaften bis an den Zusammenbruch zu belasten beginnt, und im Lichte der überwältigenden Größe, Macht und (bis jetzt) Skepsis der Finanzmärkte. Die Antwort muss eine Kombination von außerordentlichen Maßnahmen umfassen, welche fiskal-strukturelle Reformen enthalten, die Folgendes anstreben: eine Minimierung der unmittelbaren Gesamtkosten des realen Wechselkurses und fiskalischer Anpassungen, Unterstützung existierender Finanzierungen (die EFSF und den ESM), zusätzliche Unterstützung von Seiten der Überschussländer, freiwillige Schulden-Restrukturierung, eine hervorgehobene Rolle der EZB und herausragende makroökonomische und monetäre Politikmaßnahmen.
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Partielle und zeitweise Teilung der Altschulden. Die Altschulden sind zum Teil das Ergebnis der schlechten Ausgestaltung des Euro und auch schlechter Politik der Mitgliedsstaaten, in Kombination mit mächtigem Druck, den die globale Finanzkrise von 2007–2008 erzeugte. Unsere Gruppe verneinte die Notwendigkeit einer dauerhaften Aufteilung der Staatsschulden in großem Umfang als notwendiges Merkmal der Eurozone. Die Behandlung der Altprobleme verlangt jedoch eine offizielle Unterstützung für Länder, die eine angemessene finanzielle Anpassung verfolgen. Unser Rat befürwortet den Vorschlag des deutschen Sachverständigenrats, eine fortschreitende Garantie auf die Altschulden für Länder vorzusehen, die eine angemessene finanzielle Anpassung nach der EU-Prozedur für übermäßige Defizite vornehmen. Um die richtigen Anreize zu setzen, müsste dies die Form einer Garantie für neue Schuldenstände bis zu einer vorher festgelegten Höhe annehmen. Jene Agentur, die diese Käufe zu Anfang tätigt, könnte der EFSF/ESM sein, abgesichert durch eine Verpflichtung auf EU-Ebene, entweder durch zusätzliches Kapital oder die Fähigkeit, Rechnungen unter einer unbeschränkten und gesamtschuldnerischen Garantie auszustellen, wenn sich dies als nötig erweisen sollte. Der ESM könnte auch eine Banklizenz erhalten, um sicher zu gehen, dass er eine angemessene Feuerkraft hat, oder wenn sein direktes Leihen von der EZB als Verstoß gegen den Vertrag angesehen wird, könnten seine Schulden als vorrangiges Instrument sekundärer Käufe der EZB eingesetzt werden.
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Freiwillige Schulden-Restrukturierung könnte die Form von Angeboten zum Tausch existierender Anleihen gegen neue Anleihen mit gleichen Nennwerten und Koupons, aber längeren Laufzeiten (sagen wir Original-Zahldatum plus 5 Jahre) annehmen. Während solche Operation nicht das Gesamt-Schulden-zu-BIP-Verhältnis berührt, könnte sie den Gegenwartswert der Schuldenlast verringern und eine Cash-Flow-Erleichterung verschaffen in der kurzen und mittleren Frist (möglicherweise über den für die offizielle Unterstützung von Schuldenständen vorgesehenen Horizont hinaus). Um Anreize für den privaten Sektor zu schaffen, das Austauschangebot anzunehmen, würden die Schulden unter ausländisches Recht gestellt. Außerdem könnte ein kurzfristiger „Versüßer” angeboten werden (Bargeld oder eine ESM-Abrechnung), besonders für Halter von Anleihen mit kürzerer Restlaufzeit, was durch langfristige Staatsanleihen vom ESM finanziert werden könnte. Als weiterer Anreiz könnten die neuen Schulden als pari passu mit der ESM behandelt werden; während die existierenden Schulden den ESM-Anleihen, die zur Finanzierung der „Versüßer” benutzt würden, untergeordnet bleiben würden.
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Fiskal-strukturelle Reformen mit dem Fokus auf:
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Reformen, die auf die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit abzielen, ohne direkte Kosten in der Wirtschaftsleistung zu verursachen (z.B. Erhöhung des Rentenalters);
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Reformen , die kurzfristig Kosten in der Wirtschaftsleistung verursachen, aber bleibende Verbesserungen in der fiskalischen Zahlungsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit schaffen (z.B. Personalkürzungen in aufgeblähten öffentlichen Verwaltungen, Arbeitsmarktreform); und
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„fiskalische Abwertungen”, die Finanzinstrumente benutzen, um die Arbeitskosten in fiskalisch neutraler Weise zu senken (im Wesentlichen durch Ersatz von Lohnsteuern durch indirekte Steuern).
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Die zweite Gruppe von Maßnahmen könnte durch eine Kombination sofortiger Transfers aus dem EU-Budget und Niedrigzins-Anleihen vom EFSFS/ESM finanziert werden (und damit ihr Schrumpfungseffekt gedämpft werden).
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Eine temporäre Rolle für die EZB in der Krise. Die Einrichtung aller oben genannten Mechanismen wird Zeit brauchen. Überzeugende Schritte hin zu einer Banken-Union und ein mittelfristiger Schuldenabbauplan, abgesichert durch zeitweilige Garantien, sollten der EZB Raum geben, um kräftiger zu agieren auf dem Markt für Staatsschulden und auch dazu, dem Markt zu verdeutlichen, dass dieses Instrument aktiv angewandt werden wird. Vor allem glauben wir, dass, wenn der Fiscal Compact genügend weit gereicht hat, um das Einhalten einer fiskalischen Regel und die Verlässlichkeit innerhalb des demokratischen Zusammenhangs jedes einzelnen souveränen Staates sicherzustellen, und wenn wir es für Spanien und Italien mit sich von selbst verstärkenden Krisen zu tun haben, wir überzeugt sein können, dass die EZB viel größere Eingriffe in den Markt für Schulden von Staaten, die ihre Pflichten erfüllen, erlauben könnte und sollte. Wir glauben, dass diese Intervention eine Bedingung dafür ist, um den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik in allen Mitgliedsstaaten funktionsfähig zu machen, und sie daher im Einklang mit ihrem Mandat ist.
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Makroökonomische und monetäre Notfall-Politikmaßnahmen: Die letzten 10 Jahre haben der Eurozone eine Altlast als wirtschaftliche Krise und eine Altlast von finanziellen Problemen hinterlassen, und wie oben festgestellt, hat die Lösung dieser Krise oberste Priorität bei den Politikern. Ohne Lösung dieser Krise kann die Eurozone in der Tat schließlich zusammenbrechen. Der Rat stellt fest, dass selbst der Goldstandard implizit Notfallklauseln enthielt, die es erlaubten, in Krisenzeiten die normalen Regeln außer Kraft zu setzen, und dies ist eine Zeit der existentiellen Krise für die Eurozone. Der momentane Mangel an Gesamtnachfrage lässt viele Ressourcen unnötig ungenutzt, verkleinert die Steuerbasis zu Zeiten finanzieller Belastung und ist dabei, das Eurozonen-System sozial untragbar zu machen. Dazu kommt, dass die Eurozone sich der Herausforderung stellen muss, die große aufgebaute Kluft in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Mitgliedsländern zu reduzieren. Jeder Plan, um die Anpassung der relativen Preise in dieser Größenordnung zu erreichen, muss in jeglichem Land absolute Deflation vermeiden, welche die Schuldenlast verschlimmern wird. Deshalb darf der Anstieg des Preisniveaus in den Überschussländern nicht so langsam sein, dass er Deflation in ein breites Spektrum von Defizitländern bringt, die ohnehin kurz vor der Deflation stehen. Die EZB muss alle (konventionellen und unkonventionellen) Instrumente einsetzen, um eine homogenere Übertragung der Geldpolitik sicherzustellen. Wie der IWF empfohlen hat, sollte Geldpolitik während dieser Notzeit anpassungsfähig sein und sowohl konventionelle als auch unkonventionelle Politik betreiben, um das nominale BIP zu stützen und die benötigten realen Wechselkursanpassungen zu erleichtern. Überschussländer mit fiskalischem Spielraum sollten diesen Spielraum dazu nutzen, die Gesamtnachfrage in der Eurozone ingesamt hoch zu halten. Und Eurozonen-Mitgliedsstaaten sollten dringend untersuchen, ob es für die EU-Institutionen größere Möglichkeiten gibt, EU-weites Wachstum anzuregen.
Der für diese außergewöhnlichen Maßnahmen ins Auge gefasste Zeithorizont könnte ungefähr fünf Jahre ausmachen. Nach dieser Anfangsphase müsste die Verringerung der Staatsschulden in Übereinstimmung mit den EU-Fiskalregeln in einigen der gegenwärtigen Hochschulden-Ländern wie Italien fortgesetzt werden. Es besteht jedoch die Annahme, dass mit dem Nutzen aus der wirtschaftlichen Erholung und der bereits unternommenen fiskal-strukturellen Maßnahmen ein kontinuierlicher Schuldenabbau stattfinden könnte auch ohne externe Unterstützung. Um daher der Öffentlichkeit in den Überschussländern zu bestätigen, dass finanzielle Unterstützung — besonders in Bezug auf Unterstützung der Ausgabepreise für neue Schulden in den Defizitländern — sich nicht in ein „Fass ohne Boden” verwandelt, könnte es einen vereinbarten Deckel für solche Unterstützung geben, von der Erwartung gelenkt, dass eine Preisunterstützung sich nicht über mehr als fünf Jahre erstrecken darf.
Ein komplizierender Faktor in dem oben beschriebenen Anpassungsprozess ist die Ungewissheit über das Ausmaß des Preisrückgangs bei Häusern und daher die Qualität des Hypotheken-Portfolios in Bankensystemen von Ländern wie Spanien. Um mit dieser Ungewissheit umzugehen, muss eine Balance gefunden werden zwischen dem Prinzip, dass nicht wiederherstellbare Bankensystem-Verluste, die unter der Federführung nationaler Aufsichtspersonen auftraten, in erster Linie auf nationaler Ebene aufgefangen werden sollten, und der Tatsache, dass es Grenzen der nationalen Kapazität zum Auffangen solcher Verluste ohne die Gefahr für die gesamte Anpassung und den Reformprozess gibt. Gemäß der Logik des vorgeschlagenen Paragraphs 7 für eine zukünftige Banken-Union wird vorgeschlagen, diese Spannung durch das Bestimmen eines nationalen „ersten Verlust”-Limits aufzufangen und dem ESM zu gestatten, direkte Kapitalspritzen in das nationale Bankensystem zu geben, wenn die nationalen Rekapitalisierungskosten dieses Limit übersteigen. Diese Verpflichtung zu einer „Katastrophenverlust-Versicherung” auf der Euro-Ebene sollte von Beginn an von der Vorbedingtheit eines nationalen Bewätigungsprozesses auf Eurozonen-Ebene abhängig gemacht werden. Sie sollte auch rückwirkend auf andere Länder wie Irland angewandt werden.
V. Nicht übereinstimmende Ansichten
Eine Mehrheit der Ratsmitglieder ist der Ansicht, dass fiskalische Abwertungen in den Defizitländern unterstützt werden sollten durch fiskalische Neubewertungen in Deutschland und einigen anderen Überschussländern (z.B., um reale effektive Wechselkurse anzugleichen in Frankreich, Deutschland und Italien).
Eine Minderheit der Ratsmitglieder glaubt, dass es zur Vermeidung zukünftiger Krisen erforderlich ist, die Statuten der EZB hin zu einem doppelten Mandat zu ändern, das Wirtschaftsleistung und Beschäftigungsziele einschließt, und dass das Ziel der Preisstabilität so umgeändert werden sollte, dass nominales BIP-Wachstum das Ziel würde.
Patrick Artus
Global Chief Economist , NATIXIS - Banque de Financement et d’Investissement
Erik Berglof
Chief Economist and Special Adviser to the President, European Bank for Reconstruction and Development
Peter Bofinger
Professor, Universität Würzburg
Giancarlo Corsetti
Professor, University of Cambridge
Luis Garicano
Professor of Economics and Strategy, London School of Economics
Paul De Grauwe
Professor, London School of Economics and Political Science
Guillermo de la Dehesa
Chairman, Centre for Economic Policy Research (CEPR)
Lars Feld
Professor for Economic Policy, University of Freiburg
Jean-Paul Fitoussi
Professor Emeritus, Institut d'Etudes Politiques de Paris
Daniel Gros
Director, Centre for European Policy Studies (CEPS)
Kevin O'Rourke
Professor of Economic History, University of Oxford
Lucrezia Reichlin
Professor of Economics, London Business School
Hélène Rey
Professor of Economics, London Business School
Andre Sapir
Senior Fellow, Bruegel
Dennis Snower
President, Kiel Institute for the World Economy
Hans-Joachim Voth
ICREA Research Professor, Universitat Pompeu Fabra
Beatrice Weder di Mauro
Professor of Economics, Johannes Gutenberg University of Mainz
1 Dieser Bericht benutzt die Begriffe „Überschussländer”, „Gläubigerländer” oder „Norden” austauschbar zum Bezug auf Länder wie Österreich, Finnland, Deutschland, die Niederlande und die Slowakische Republik; und „Defizitländer”, „Schuldnerländer”, „Krisenländer” oder „Süden”, um sich hauptsächlich auf Italien und Spanien zu beziehen. Irland, Portugal, Griechenland und Zypern könnten auch zu dieser Gruppe gerechnet werden, aber ihre Situation ist etwas unterschiedlich, da sie in IWF-EU unterstützten Anpassungsprogrammen sind. Wir vermeiden die „Zentrum” gegen „Peripherie” Terminologie, die sich im letzten Jahr verbreitet hat, weil ein Land wie Italien zu zentral für Europa ist — geografisch, ökonomisch und historisch — als dass es als Teil der „Peripherie” betrachtet werden sollte.
2 Siehe Brunnermeier et al. “European Safe Bonds (ESBies)”, Euro-nomics group, September 2011.
3 Für einen jüngeren Vorschlag, der diese beiden Elemente enthält, siehe Enderlein et al., “Completing the Euro”, Report of the Tommaso Padoa-Schioppa Group, Juni 2012.
4 Diese Erklärung basiert auf dem konstituierenden Treffen des Rats am 26.–27. Juni in Brüssel und nachfolgenden Diskussionen, an denen sich die folgenden Ratsmitglieder beteiligten: Erik Berglöf, Peter Bofinger, Giancarlo Corsetti, Paul De Grauwe, Guillermo de la Dehesa, Lars Feld, Jean-Paul Fitoussi, Luis Garicano, Daniel Gros, Kevin O’Rourke, Lucrezia Reichlin, Hélène Rey, André Sapir, Dennis Snower, Hans-Joachim Voth und Beatrice Weder di Mauro; Berater Sergei Guriev, Harold James, Rob Johnson, Leif Pargrotsky, Adam Posen, George Soros; und Heather Grabbe, Peter Jungen, Olli Rehn, Guntram Wolff, Philippe Legrain und André Wilkens, Sony Kapoor und Jeromin Zettelmeyer als Gäste oder Berichter. Dieses Dokument wurde geschrieben von Luis Garicano und Jeromin Zettelmeyer und spiegelt die Kommentare von Ratsmitgliedern wider.